Die derzeitige Eskalation der Situation in Afghanistan aufgrund versehentlich verbrannter Koranexemplare auf dem US-Stützpunkt Bagram offenbart eine neue Stufe der westlichen Schwäche. Während amerikanische Politiker den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai wegen der unbeabsichtigten Verbrennung unterwürfig um Verzeihung bitten, wurden auf der anderen Seite auf Befehl der amerikanischen Armee im Mai 2009 Bibelexemplare einer amerikanischen Missionskirche, die diese nach Afghanistan geschickt hatten, wegen einer befürchteten Verschlechterung der Sicherheitslage verbrannt. Anstatt die versprochen Freiheitsrechte, zu denen auch die Religions- und Meinungsfreiheit gehören, für das afghanische Volk durchzusetzen, erlebt man einen Rückfall in die historischen Zeiten des Dhimmitums, als Nichtmuslime unter islamischer Herrschaft alles unterlassen mussten, was die Gefühle der sie beherrschenden Muslime verletzen könnte.
Da der Islam nach klassischer Lehre spätestens seit dem 11. Jahrhundert nicht nur eine Religion darstellt, sondern auch ein alles umfassendes Moral- und Rechtssystem, regelt das islamische Kriegs-, Fremden- und Völkerrecht (Siyar) das Verhältnis der Muslime zu Angehörigen anderer Religionen. Siyar zählt zum rechtlichen Teil (al-mu amalat) des den Muslimen von Allah auferlegten Gesetzes (Scharia) und bezeichnet die Gesamtheit der Regeln, die die Haltung des islamischen Staats gegenüber den Nichtmuslimen bestimmen. Diese wurden während der Expansionsphase ab dem 7. Jahrhundert von islamischen Juristen auf Grundlage des Korans und der Prophetenbiografie (Sunna) ausgearbeitet.
Die „Buchbesitzer“
Grundsätzlich gelten Juden und Christen aufgrund der ihnen durch Moses offenbarten Thora und das durch Jesus offenbarte Evangelium als ahl al-kitab (Buchbesitzer), womit für sie drei Möglichkeiten der Beziehungen zur islamischen Gemeinschaft (Umma) bestehen: Konversion, Anerkennung der islamischen Herrschaft als Dhimmis oder Dschihad. So die als „Kopfsteuervers“ bekannte Sure 9, Vers 29, die die Grundlage des Umgangs mit Juden und Christen bildet. Die Buchbesitzer stehen damit im Rang hinter den Muslimen, aber vor den Polytheisten, die nach der als „Schwertvers“ bekannten Sure 9, Vers 5 nur die Wahl zwischen Konversion oder Dschihad haben.
Dhimmis können als sich unterwerfende Nichtmuslime, Schutzbefohlene oder ahl al-dhimma (Leute des Vertrags) definiert werden, die sich durch einen Dhimma (Unterwerfungsvertrag) der Umma als rechtlich und sozial mindergestellte Gruppe unterordneten. Der Dhimma regelte damit einen juristisch genau definierten Toleranzrahmen, der keine Gleichberechtigung beinhaltet, da Toleranz gegenüber anderen Religionen nur auf Grundlage von Ungleichheit gewährt wurde. Als Grundpflicht für den gewährten Schutz mussten die Dhimmis jährlich den individuell festgelegten Dschizja (Tribut) entrichten, der höher war als die Zakah (Läuterungsabgabe) der Muslime. Zudem mussten sie teilweise für ihren Bodenbesitz die Kharaj (Grundsteuer) zahlen, womit die Dhimmis auch den Dschihad der jeweiligen islamischen Obrigkeit mitfinanzierten.
Dschizja als Strafe
Da Juden und Christen, wie es der Islamwissenschaftler Albrecht Noth charakterisiert hat, als „Halbgläubige“ gesehen wurden, vertraten einige islamische Gelehrte die Ansicht, der Dschizja stelle eine Strafe für das Beharren auf ihren Unglauben dar, womit der Tribut in erniedrigender Haltung zu entrichten war, da sich Dschizja von Dschaza (Strafe) ableitet. Auch wenn Juden und Christen als Angehörige einer Buchreligion gelten, haben sie die ihnen offenbarte Botschaft verfälscht und erkennen den Koran und die Prophetenschaft Muhammads nicht an. Zudem wird den Christen wegen der Gottessohnschaft Jesus Beigesellung vorgeworfen (Sure 112, Vers 3), da Jesus nach Eigenaussage im Koran ein Sklave Allahs ist, der ihn zum Propheten gemacht und ihm das Buch gegeben hat (Sure 19, Vers 30).
Pflichten der Dhimmis
Die Rechtsgelehrten legten eine Anzahl von Pflichten für die Dhimmis fest, die erfüllt werden mussten. Nach dem bis heute wirkenden Rechtsgelehrten al-Mawardi (†1058) gehören folgende Verhaltensweisen zwingend zu den zu erfüllenden Pflichten: Verzicht auf Angriffe oder Beleidigungen des Korans, des Propheten und des Islam überhaupt, Verbot der Berührung oder Heirat einer Muslima, Bedrohung des Lebens oder Eigentums eines Muslims, des Versuchs der Missionierung eines Muslims und Verzicht auf jegliche Hilfe für die Feinde der Muslime. Daneben existierten nach al-Mawardi „wünschenswerte“ Verhaltensweisen: das Tragen bestimmter Kleidung, die Juden und Christen als solche kennzeichneten, das Verbot, neue Synagogen und Kirchen zu bauen oder höhere Häuser zu errichten als die der Muslime, und die Pflicht, sich des öffentlichen Genusses verbotener Produkte – Wein, Schweinefleisch – zu enthalten, und das Verbot der Zurschaustellung von Kreuzen und des Geläutes von Kirchenglocken.
Insgesamt gesehen genossen Juden und Christen als Dhimmis mehr Rechte als Polytheisten, waren aber in ihrer Religionsausübung und gesellschaftlichen Position erheblichen Einschränkungen unterworfen und mussten den Muslimen in allen Belangen Demut bezeugen, da diese allein als religiös, rechtlich und gesellschaftlich Bevorrechtigte angesehen wurden. Ebenso ging das Bemühen muslimischer Herrscher dahin, die Anzahl von Nichtmuslimen zu verringern und durch den Entzug von Rechten Anreize zur Konversion zu schaffen, da nach bis heute geltender Lehre Juden- und Christentum langfristig zum Aussterben verurteilt sind.
Konversion als Ziel
Ziel der demütigenden Einschränkungen und Vertragspflichten war somit die Konversion der Dhimmis, da die Zwangskonversion grundsätzlich im Islam verboten ist, auch wenn sie gelegentlich vorkam. Eine Ausnahme bildete im osmanischen Imperium im Rahmen des als Millet-Systems geregelten Dhimmistatus die Devsirme (Knabenlese), die vom späten 14. bis ins frühe 18. Jahrhundert auf dem Balkan und in Anatolien durchgeführte jährliche Wegnahme von ihren Familien und Zwangskonvertierung christlicher Knaben und junger Männer zwischen acht und 20 Jahren auf Grundlage von Sure 8, Vers 41, um diese im Verwaltungsdienst und der militärischen Elitetruppe der Yeniçeri (Yanitscharen) einzusetzen.
Die historische Situation des Dhimmistatus klingt heute noch in der islamischen Welt nach, da Juden und Christen de jure und de facto in der Regel nur geduldet sind oder, wie in der Türkei, in der Religionsausübung starken Beschränkungen und Kontrollen unterliegen, wenn sie nicht aktiv verfolgt und das Ziel von Ausschreitungen werden, wogegen die jeweilige islamische Obrigkeit oftmals nicht einschreitet. Das bekannteste Beispiel für den heute noch geltenden Dhimmistatus stellen die koptischen Christen in Ägypten dar, die seit der Arabischen Revolution verstärkten Terroranschlägen und Schutzgelderpressungen ausgesetzt sind. Zudem werden vermehrt junge koptische Frauen entführt, zwangsverheiratet und gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Ebenso können Mitglieder der kleinen Gruppe auf den Malediven lebender Christen keine Staatsbürger werden, da dies Muslimen vorbehalten ist.
Nicht nur in Afghanistan, sondern auch im Westen mehren sich die Anzeichen für einen freiwilligen Dhimmistatus, wenn man islamischen Gruppen im Zuge vorauseilenden Gehorsams angebliche „islamspezifische Rechte“ gewährt, die sich aus dem allgemein gewährten Freiheitsrecht der Religionsausübung nicht ableiten lassen, da diese der Einführung der gesamten Scharia dienen. Dies geht konform mit der Tendenz, christliche Traditionen zu verleugnen und zu verdrängen, um präventiv die „Gefühle der Muslime“ nicht zu verletzen, wobei man im Zeichen eines eigentümlichen Toleranzgebahrens jede Kritik stigmatisiert und kriminalisiert, da man Angst vor gewaltsamen Ausschreitungen wie bei dem Konflikt um die Muhammad-Karikaturen hat. Dies beinhaltet nichts anderes als die Selbstaufgabe der gewachsenen kulturell-religiösen Identität und eine moralische Kapitulation gegenüber diesen Gruppen, die Nichtmuslime bestenfalls als Schutzbefohlene sehen und von der Einverleibung Europas in eine globale islamische Gemeinschaft träumen.
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Dr. rer. soc. Thomas Tartsch ist freiberuflicher Verleger und Publizist in Deutschland und wissenschaftlicher Berater von Personen, Bürgerinitiativen und Parteien, u.a. des Islam-Beirats beim CDU-Kreisverband Dortmund. Seine Themenschwerpunkte sind islamischer Fundamentalismus und Jihadismus. Neueste Veröffentlichung: „Muhammads Erbe: Dschihad, Dhimmi, Tötungs- und Bekämpfungsvers“ 2011, Gehenna Velag, 116 S., Fr. 11.90/€ 7.90
Von Dr. Thomas Tartsch