Deutschland, die Niederlande und grundsätzlich auch Österreich erteilen jedem Wahlkampf auf ihrem Boden in Richtung Volksabstimmung am 16. April für Umwandlung der Türkei zum Ein-Mann-Staat klare Absagen. Bereits angekündigte und sogar eingetroffene türkische Minister mussten darauf verzichten, ihre Landsleute bzw. Doppelstaatsbürger an Rhein, Donau und Elbe für ein „Ja“ zu gewinnen, dass Präsident Reccep Tayyip Erdogan mit nahezu unumschränkter Gewalt ausgestattet wird. Doch inzwischen ist Erdogan selbst zu uns gekommen: Auf der Kinoleinwand. Auch in der Schweiz.
Von Heinz Gstrein
Es gilt nachzudenken, ob die Vorführung des Propagandafilms „Reis“ nicht genauso wenig zulässig sein müsste wie die verbotenen Wahlreden. Jedenfalls scheint es aber gut, dass dieser Film, der in der Türkei bereits bejubelt wird, so auch einem kritischeren Publikum zugänglich wird. Denn er gibt wertvollen, geradezu entlarvenden Einblick in das, was Erdogan wirklich will und wo er steht. Seine Aussage ist verbindlich, da der Streifen – wenn schon nicht im Auftrag – so doch klar mit Billigung des Machthabers von Ankara gedreht und gestaltet wurde.
Verräterisch klingt schon der Titel „Reis“ anstelle des türkischen „Baskan“ (Präsident). Reis ist ein alter osmanischer Ausdruck. Er bezeichnet in allen Bereichen den Höchsten, sei es den völkischen „Führer“, einen Kapitän zur See oder den Oberkellner im Speisesaal. Besonders wird darunter ein gottgesandter Retter für sein Volk und dessen Glauben verstanden. Und genau so versteht sich Erdogan.
Sein Film zeigt ihn schon von Kindesbeinen als einen „Berufenen“, der gegen die von Atatürk europäisierte Ordnung für die Rückkehr zum Islam und damit für ein Wiedererstehen alter osmanischer Grösse kämpft: Als Jungen, der den damals auf Arabisch verbotenen Gebetsruf anstimmt. Oder als unerschrockenen Politiker mit Re-Islamisierungsparolen vor Gericht und im Gefängnis.
Seine Widersacher kommen vom Militär, der Justiz, den ungläubigen Intellektuellen, emanzipierten Türkinnen und überhaupt der gesamten verwestlichten städtischen Oberschicht. An der Seite des regelrecht zu Allahs neuem Propheten hochgestylten Erdogan stehen die einfachen Bauern, Handwerker, Händler und Kopftuch tragende Hausfrauen.
Erdogans Fixiertheit auf ein Zurück zu Osmanentum und Islam verfehlt jedoch jede innere Erneuerung, verliert sich in äusserliche Restauration. Bezeichnend dafür seine liebevolle Wiederinstandsetzung von Baudenkmälern aus der Sultanszeit. Als er aber 2013 den Istanbuler Gezipark mit Aufrichtung der einstigen osmanischen Kaserne zubauen will, kommt sein Traum mit der Wirklichkeit in Konflikt. Atatürk lässt sich dort nicht mehr ungeschehen machen, wo er echte Fortschritte gebracht hat: in Sachen Umwelt, Bildungsrevolution und Frauenbefreiung.
Seitdem kämpft Erdogan verbissen mit wachsenden Misserfolgen. In der Türkei kann er seine Ziele vom Kopftuch bis zum Regierungsstil eines Sultans nur mehr mit wachsender Unterdrückung anpeilen. In Syrien und dem Irak liegt seine Politik einer Rückgewinnung von Mossul und anderer altosmanischer Gebiete in Scherben. Und der in seiner Ideologie von Anfang an vorprogrammierte Konflikt mit Europa eilt einem Höhepunkt zu …