Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag, der dieses Jahr am 17. September begangen wird, hat vielerorts sein christliches Profil verloren. Die Behörden rufen nicht mehr zum Gebet auf, was in einem weltanschaulich neutralen Staat auch nicht unbedingt erwartet werden kann. Stattdessen wird der Bettag für umstrittene politische Ziele instrumentalisiert. Und viele Landeskirchen machen bereitwillig mit.
Von Dominik Lusser
Buss- und Bettage hatten in der Schweiz seit dem Spätmittelalter Tradition und wurden auch von Eidgenössischen Tagsatzungen angeordnet. Unsere Vorfahren waren überzeugt, dass ihr Leben und das Bestehen des Staates nicht nur von ihnen selbst abhängt, sondern in den Händen Gottes liegt. Ab 1639 wurde der Bettag jährlich aus Dankbarkeit wiederholt, weil die Schweiz vom Dreissigjährigen Krieg verschont geblieben war. Am 17. September 1797, also vor genau 220 Jahren, wurde unter dem Eindruck der Französischen Revolution und des drohenden Franzoseneinfalls erstmals ein gemeinsamer Bettag der katholischen und reformierten Kantone abgehalten.
Gottes- oder Menschenwerk?
Vom einstigen Tag des Gebets, des Dankes und der Busse, an dem Regierung und Volk von ihrem Glauben an Gott Zeugnis ablegten, ist heute, wenigstens was die offizielle Schweiz angeht, vielerorts nur noch eine formelle Fassade geblieben; ein leeres Gefäss, das man sich anschickt, mit einem Inhalt zu füllen, der mit dem christlichen Glauben oft kaum mehr etwas zu tun hat. Symptomatisch dafür sind die gemeinsamen Bettagsaufrufe der Luzerner Landeskirchen und des Luzerner Regierungsrats von 2016 und 2017.
Der Aufruf 2017 unter dem Motto „Zusammen halten. Zusammenhalten“ lädt dazu ein, zum Zusammenhalt beizutragen und die Kraft des Zusammenhaltens wertzuschätzen. Von Gott oder vom Beten (ausser im Namen „Bettag“) ist darin kein einziges Mal die Rede. Stattdessen geht es nur ums gemeinsame Arbeiten an der Zukunft, ums spontane Anpacken oder um stabile Lösungen. Satt auf Gott zu vertrauen, setzt man heute auf die eigene Leistung. Nicht, dass es der eigenen Anstrengung und des Bemühens um Zusammenhalt nicht bedürfte. Aber war der Bettag nicht eigentlich dazu gedacht, wenigstens einmal im Jahr zu bedenken, dass menschliche Kräfte allein nicht ausreichen, sondern dass echter Zusammenalt, Friede und Eintracht ein Werk Gottes unter den Menschen ist? Dass wahrer Friede allein in Gott zu finden ist, ist auch eine der Kernbotschaften von Bruder Klaus, dessen 600. Geburtstag wir dieses Jahr begehen. In Luzern ist der offizielle Bettag jedoch zu einer rein menschlichen Angelegenheit verkommen.
Natürlich kann man einwenden, dass es nicht Sache der Luzerner Regierung ist, ein christliches Glaubensbekenntnis abzulegen. Es kann nun mal nicht mehr davon ausgegangen werden, dass alle Regierungsmitglieder tatsächlich an Gott glauben. Gleichwohl finde ich es begrüssenswert, wenn Regierungsverantwortliche, wie beispielsweise 2016 im Kanton Graubünden, den Bettag dafür nutzen, sich zu ihrem Glauben an Gott zu bekennen. Selbstverständlich mit der angebrachten Rücksicht auf Nicht- oder Andersgläubige. Auch dies gehört zu den Möglichkeiten einer freiheitlichen Gesellschaft und politischen Ordnung.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Interpretation der weltanschaulichen Neutralität des Staates ist, besonders was das Christentum angeht, rigider geworden. Unter solchen Umständen wär aber auch kritisch zu hinterfragen, weshalb sich die reformierte und die katholische Landeskirche Luzern auf eine gemeinsame Erklärung mit einer Regierung einlassen, die über Gott nur schweigen darf bzw. meint schweigen zu müssen. Verraten die Kirchen hier nicht ihre ureigene Mission, die Allmacht Gottes und sein Hineinwirken in unsere Welt zu bezeugen?
Multikulti-Zivilreligion
Ebenfalls symptomatisch für den radikalen Bruch mit der alten Bettagstradition ist, dass der gemeinsame Aufruf seit 2009 auch von der Islamischen Gemeinde Luzern mitunterzeichnet wird. Die Interreligiosität ist dadurch zum festen Bestandteil der neuen Luzern Bettagskultur geworden, deren bisheriger Höhepunkt eine von christlichen Pfarreien und der Islamischen Gemeinde gemeinsam organisierte Bettagsfeier war, die 2012 im KKL abgehalten wurde.
In vielen Bettagsbotschaften kommt – nicht nur in Luzern – eine Multikulti-Ideologie zum Ausdruck, die das christliche Fundament der Schweiz durch eine Art relativistische Zivilreligion verdrängt. Alles hat darin Platz hat und soll angeblich in gleicher Weise zum Zusammenhalt beitragen. Im Luzerner Aufruf von 2016 klingt dies so: „Verschiedene Altersgruppen, Geschlechter sowie kulturelle und religiöse Hintergründe gestalten bunte und vielfältige Bezüge. Dabei greifen die einzelnen Teile ineinander, halten gemeinsam und stützen sich gegenseitig. (…) Beim Zusammenhalten verbinden wir unsere Werte und Erfahrungen miteinander zu einem Wissens- und Erfahrungspool; ob in der Gemeinde, im Kanton oder in weltweiten Netzen. Eine Lerngemeinschaft bezieht Anstösse von aussen ein zum Nutzen der Gemeinschaft.“
Angesichts der gegenwärtigen inneren und äusseren Bedrohungen der europäischen Zivilisation, der jede solide Wertebasis und somit jede Orientierung abhandengekommen zu sein scheint, klingen diese Zeilen wie hohles Gerede. An die Stelle des Glaubens und der Hoffnung auf Gott ist eine innerweltliche Heilsutopie getreten, an die allerdings immer weniger Leute glauben: „Das Zusammenhalten, das von Bewährtem und Neuem getragen wird, arbeitet an einer gemeinsamen Zukunft, in der Solidarität, Verbundenheit und Dialog zentral sind.“ Das ist doch, ehrlich gesagt, nichts als peripheres Gerede, das sich um eine zentrale, wirklich markige Botschaft herumdrückt.
Instrumentalisierte Religion
Die Vermischung von Politik und Religion am Bettag, die durchaus problematische Züge annehmen kann, ist nicht Vergangenheit. Sie hat sich nur gewandelt. Früher fügte sich die Regierung dem christlichen Sinn des Bettags, legte ein Glaubensbekenntnis ab und forderte das Volk zum Gebet auf, was mittlerweile in den Augen vieler nicht mehr angebracht erscheint. Heute hingegen ist der Bettag ins rein Politische gekippt. Manche Kantonsregierungen instrumentalisieren den Bettag und somit das Christentum für eine politische Agenda, über die man als Christ durchaus unterschiedlicher Ansicht sein kann. Und, was besonders bedenklich ist: Die Kirchen bieten dazu Hand.
Man wird hier vielleicht einwenden, dass schon mit der Gründung des schweizerischen Bundesstaates im Jahr 1848 der Bettag eine staatspolitische Dimension bekommen hätte. Der Gründung der modernen Schweiz war ein liberal-konservativer bzw. teilweise reformiert-katholischer Bürgerkrieg, der sogenannte Sonderbundskrieg, vorangegangen. Der von Katholiken und Reformierten gemeinsam begangen Bettag sollte darum in der gesinnungsmässig stark fragmentierten Schweiz auch den Respekt vor dem politisch und konfessionell Andersdenkenden fördern und somit der politischen Einheit des Landes dienen. Ebenso war der Bettag während des zweiten Weltkriegs Teil der staatlich verordneten „geistigen Landesverteidigung“.
Doch obwohl der Bettag historisch betrachtet schon immer in einem politischen Kontext stand, blieb er doch von einer Zweckentfremdung, wie wir sie heute erleben, verschont. Die Indienstnahme des Bettags durch das Säkulare und Politische hat ein Ausmass angenommen, welches nicht nur die christliche Substanz dieses Feiertages verdunsten lässt, sondern bisweilen sogar die Autonomie des Religiösen in Frage stellt. Subtil werden mit Bettagsaufrufen durch die Politik (und die Landeskirchen, die ihr Engagement weitgehend nur noch anhand linker Gesellschafts- und Sozialpolitik auslegen) Massstäbe gesetzt, welche Art „Christentum“ man als politisch nützlich bzw. gesellschaftsverträglich erachtet.
So war der Luzerner Bettagsaufruf „Will kommen. Willkommen“ von 2016 nichts als ein Plädoyer für die von europäischen Spitzenpolitikern und Leitmedien propagierte fatalistische Willkommenskultur. Der Aufruf übte starken moralischen Druck auf den Leser aus, eine Migrationspolitik gutzuheissen, die sich zunehmend als desaströs herausstellt, und über die man als Christ mit guten Gründen sehr unterschiedlicher Meinung sein darf.
Ein Gebet voraus?
Schuld an dieser Zweckentfremdung und neuartigen Politisierung des Bettags sind nicht die Behörden, sondern die Christen selbst. In Sorge darum, den Anschluss an den postmodernen Mainstream zu verlieren und gesellschaftlich bedeutungslos zu werden, haben die christlichen Landeskirchen vielerorts ihr konfessionelles Bekenntnis verwässert. Dadurch sind sie als gesellschaftliche Akteure austauschbar geworden, was sich nicht zuletzt auch in den neusten Luzerner Bettagsaufrufen zeigt.
Eine Botschaft, die ebenso gut von einem agnostischen Regierungsrat wie vom katholischen oder reformierten Pfarrer oder vom Imam stammen kann, wird über das Dreschen politisch korrekter Phrasen kaum hinausgehen können. Eine christliche Vision, die Bürgern und Politikern Halt geben könnte, sieht anders aus. Das christliche Salz ist schal geworden. Und so salzen oder versalzen heute andere Kräfte die Bettagssuppe, auch wenn es im Namen der Landeskirchen geschieht. Zudem verzichten die Landeskirchen durch ihre anstössige Verquickung mit dem politischen Mainstream darauf, tatsächlich heisse Eisen wie das Lebensrecht Ungeborener anzusprechen und auf diese Weise die Gesellschaft immer mal wieder aus ihrem „Schlaf der Ungerechten“ aufzurütteln. Denn es gibt tatsächlich politische Fragen, auf die für Christen nur eine einzige Antwort möglich ist.
Wie wohltuend hebt sich da der Anlass „Ein Gebet voraus“ ab, an dem sich Christen verschiedener Konfessionen am 16. September 2017 in Bern zusammenfinden, um unter dem Motto „Eins in Christus“ für unser Land zu beten und für das Unrecht, das bei uns geschieht, Busse zu tun. Auch der alljährlich am Bettagswochenende stattfindende „Marsch fürs Läbe“ ist ein lebendiges Zeichen dafür, dass die authentisch christliche Bettagstradition weiter fortlebt. Zum Segen für die Schweiz!