Nach einem irritierenden Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts fordern Politiker auch in der Schweiz einen dritten Geschlechtseintrag im Personenstand. Die Strategie ist identisch: Die Intersexualität als vermeintlich „drittes Geschlecht“ soll den Weg freimachen zur Beseitigung der zweigeschlechtlichen Ordnung

Von Dominik Lusser

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat am 10. Oktober 2017 den Gesetzgeber dazu verpflichtet, eine dritte Möglichkeit zu schaffen, „ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen“. Profitieren von der Neuregelung sollen laut Gerichtsurteil Personen, „deren Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist“, die also biologisch weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Zahlreiche Medien feierten den Entscheid zum dritten Geschlechtseintrag – ganz in der Tradition des Postfaktizismus – kurzerhand als Einführung eines „drittes Geschlechts“ oder gar als das baldige Ende der zweigeschlechtlichen Ordnung.

Erfolgreich geklagt für den dritten Geschlechtseintrag hatte die Person Vanja, unterstützt von der Initiative „Dritte Option“. Was in der Berichterstattung jedoch zu Unrecht kaum Beachtung fand: Vanja ist „gar nicht intersexuell im Sinne des Urteils“. Darauf hat der Psychiater Christian Spaemann im Interview mit der Zeitschrift „Der Durchblick“ hingewiesen.

Intersexuell

Entgegen zahlreicher Medienberichte ist Intersexualität biologisch kein drittes Geschlecht – auch wenn die Richter dies mit ihrer euphemistischen Rede von „Varianten“ nahelegen. Intersexualität ist vielmehr ein Sammelbegriff für selten auftretende Störungen in der Entwicklung der Geschlechtsorgane, die meist mit anderen körperlichen Entwicklungsstörungen einhergehen. Auch sind intersexuelle Menschen (abgesehen von besonders seltenen Diagnosen) in der Regel biologisch eindeutig Männer oder Frauen, und können sich damit in der Mehrheit der Fälle auch gut identifizieren.

Auch Vanja, die unter einer Chromosomenstörung namens „Turner-Syndrom“ leidet, ist biologisch eine Frau. Dass sie sich nach eigener Aussage nicht so fühlt, hängt weniger mit einer körperlichen Uneindeutigkeit, als vielmehr mit einer psychischen Geschlechtsidentitätsstörung zusammen, von der sie zusätzlich betroffen zu sein scheint. Vanjas Bartwuchs, der auf eine Behandlung mit dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron zurückzuführen ist, deutet auf das für Transsexuelle typische Verlangen hin, dem anderen Geschlecht angehören zu wollen. Dennoch bezeichnet sich Vanja auch nicht als Mann. Zur Erinnerung: Sogenannte „Transgender“ fühlen sich, obwohl sie biologisch eindeutig Mann oder Frau sind, in den meisten Fällen dem entgegengesetzten Geschlecht zugehörig (Transsexualität). Von „nicht binären Transgender“ hingegen ist in den wenigen Fällen die Rede, in denen sich Personen bei normalen Geschlechtsorganen subjektiv weder als Mann noch als Frau identifizieren können.

Seele im falschen Körper?

Was bislang für die WHO als psychische Störung galt, wird neuerdings als positive Ausprägung menschlicher Geschlechtsidentität jenseits der binären Geschlechterordnung gefeiert. „Das sollte insofern selbstverständlich sein, als Transgender keineswegs daran leiden, sie selbst, also trans, zu sein“, hiess es kürzlich auf „ZEIT Online“. Hinter solch schönfärberischen Slogans verbirgt sich die linksliberale Kulturrevolution des 21. Jahrhundert, die alles vor ihren Karren zu spannen versucht, was die Zweigeschlechtlichkeit der Art Mensch infrage stellt. Wie schlecht es „Transpersonen“ – und zwar unabhängig von allfälligen gesellschaftlichen Stigmatisierungen – tatsächlich geht, wird dabei gerne verschwiegen.

Die Transgender-Ideologie als eine der Speerspitzen der Gender-Revolution beruht auf der abenteuerlichen Vorstellung, dass das Geschlecht bei der Geburt nicht festgestellt, sondern aufgrund körperlicher Merkmale willkürlich zugewiesen wird. Allein das subjektive Empfinden, nicht aber körperliche Merkmale, sollen angeblich die Geschlechtsidentität eines Menschen prägen. Für das „Transgender Network Switzerland“, das sich als Sprachrohr der „Transmenschen“ in der Schweiz versteht, ist die zweigeschlechtliche Ordnung deshalb nur ein defizitäres soziales Modell, das es zugunsten einer „Gesellschaft der Vielfalt“ zu überwinden gilt. Das Netzwerk zeigt dabei keinerlei Berührungsängste mit den radikalen Aktivisten vom „Gender-Hacking Festival Bern“, denen es explizit darum geht, mittels Produktion alternativer, virtueller Körperlichkeiten und Identitäten Unruhe zu stiften in der binären Geschlechterordnung. Dabei geht es definitiv um weit mehr als um die spezifischen Probleme von Menschen, die unter schwerem Leidensdruck die Zugehörigkeit zu ihrem biologischen Geschlecht nicht akzeptieren können.

Doch die Theorie einer rein subjektiv begründeten, vom Körper völlig unabhängigen Geschlechtsidentität wird von vielen Zeitgenossen nach wie vor kritisch betrachtet. Mit gutem Grund: Studien zeigen, dass sich von den Kindern mit einer diagnostizierten Geschlechtsidentitätsstörung (GIS) – im Gender-Neusprech „Transkinder“ genannt – im Erwachsenenalter nur noch  6-8 Prozent als transsexuell empfinden. Von einer stabilen Identität kann also keine Rede sein. Auch sind die Versuche, Trans-„Identitäten“ biologisch zu begründen (sie quasi zu einer Gestalt der Intersexualität zu erklären, bei der sich Gehirn und Körper in entgegengesetzte Richtungen entwickeln würden), an mangelnder wissenschaftlicher Evidenz gescheitert.

Abschaffung von Mann und Frau?

Folglich bleiben laut Spaemann „als Hoffnungsträger für eine Sprengung der Geschlechterdualität“ nur die Intersexuellen übrig. Der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ist ein Musterbeispiel dafür, wie die Intersexualität als das vermeintlich dritte biologische Geschlecht durch die Gender-Lobby instrumentalisiert wird. Spaemann sieht denn auch das Urteil als Ganzes von der Genderideologie bestimmt: Statt einen dritten Eintrag („inter/divers“) zu schaffen, lege es dem Gesetzgeber sogar nahe, auf einen personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag generell zu verzichten.

Dies wiederum trifft genau das Anliegen von Vanjas Initiative „Dritte Option“. Laut deren Pressesprecher, Moritz Schmidt, würde die Abschaffung von „Mann“ und „Frau“ vieles vereinfachen. Doch seien Geschlechterkategorien per se juristisch nicht anfechtbar, weswegen nur die Möglichkeit geblieben sei, einen persönlichen Eintrag für Intersexuelle zu fordern.

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt (…) die geschlechtliche Identität, die regelmässig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist“, heisst es in der Pressemitteilung der Karlsruher Richter. Der Zuordnung zu einem Geschlecht komme für die individuelle Identität herausragende Bedeutung zu. Wenn es aber Vanja nie darauf ankam, ob ihr das Gericht „eine dritte positive Möglichkeit des Geschlechtseintrags“ zugesteht, oder ob Geschlechtseinträge im Personenstand ganz abgeschafft werden, so erscheint auch die vom Gericht gestützte Argumentation des verletzten Persönlichkeitsschutzes in einem zwiespältigen Licht. Vanja hätte in diesem Fall auch mit der Option, ihren Personenstandseintrag leer zu lassen, gut leben können. Diese Möglichkeit bietet das deutsche Gesetz intersexuellen Menschen bereits seit 2013. Offenbar ging es aber sowohl für die Kläger wie für die Richter um weit mehr als um Vanjas private Anliegen.

Der Entscheid sie laut Spaemann letztlich „ein Türöffner, um die binäre Geschlechterordnung von Mann und Frau zu kippen“ – eine Einschätzung, die auch durch die Zusammensetzung des Richtergremiums nahegelegt werde: „Die federführende Richterin, Susanne Baer, kennt die beiden Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestens. Alle drei sind hartgesottene Genderaktivistinnen, die über Jahre in den entsprechenden Netzwerken agiert haben.“

Schweizer Trittbrettfahrer

Auch in der Schweiz versucht die Gender-Lobby, die biologische Uneindeutigkeit intersexueller Menschen für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Dies gab kürzlich Markus Bauer von der Organisation „Zwischenraum.org“ gegenüber der NZZ mit deutlichen Worten zu verstehen: „Intersexualität werde politisch für Anliegen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender vereinnahmt und von der Genderpolitik instrumentalisiert.“ Und das schon seit dem 19. Jahrhundert, als ein Vorkämpfer der Schwulenrechte die Hypothese von der weiblichen Seele im männlichen Körper aufgestellt hätte. „Seither fährt die Vermischung der sexuellen Zwischenstufen Karussell“, sagt Bauer.

Die meisten Intersexuellen würden sich „einem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen“, hatte im November bereits Daniela Truffer, Präsidentin von „Zwischenraum.org“, gegenüber der Aargauer Zeitung gesagt, und dem Ansinnen eines dritten Geschlechtseintrags eine Absage erteilt. Dessen ungeachtet fordert die Gender-Lobby im Bundeshaus einen solchen nun auch für die Schweiz. Am 14. Dezember reichte die grüne Nationalrätin Sibel Arslan ein Postulat ein, das darauf zielt, neben „Frau“ und „Mann“ ein drittes (neutrales) Geschlecht im Personenstandsregister einzuführen. Analog zum deutschen Gerichtsurteil lässt die Basler Nationalrätin als Alternative auch eine Lösung prüfen, die gar nicht mehr auf das Geschlecht abstellt. Arslan und ihre 25 Mitunterzeichner haben es auf die „von der binären Betrachtungsweise der Geschlechter geprägte“ Schweizer Rechtsordnung abgesehen. Begrüsst wird der Vorstoss erwartungsgemäss vom „Transgender Network Switzerland“: Dieses spekuliert auf eine „Lösung“, die auch „die wenigen nicht binären Transmenschen“ berücksichtigt.

Was auf dem Spiel steht

Arslans Postulat nimmt in der Begründung zwar explizit Bezug auf den Gerichtsentscheid im nördlichen Nachbarland, erwähnt aber mit keinem Wort, dass dieser nur intersexuelle Menschen betrifft. Vielmehr ist im Postulat ganz pauschal von Menschen die Rede, „die sich nicht in das binäre Geschlechtssystem („Frau“ oder „Mann“) einordnen lassen (wollen)“. Das eingeklammerte „wollen“ spielt dabei wohl auf die genderideologische Heilsutopie an, Geschlecht generell von einer Frage der Natur zu einer Frage der Selbstdefinition zu machen und den Ausstieg aus der zweigeschlechtlichen Gesellschaft jedem möglich zu machen, dem gerade danach zumute ist.

Hinter dem internationalen Trend zu einem dritten Geschlechtseintrag sieht auch NZZ-Redaktor Thomas Ribi das „Credo der Genderbewegung“. Dieses laute: „Ich bin, was ich sein will“. Mit einer Genderszene, die sich auf ihrem Rücken politischen profilieren wollten, sei Transgenderpersonen aber am allerwenigsten geholfen, findet Ribi. Vielmehr dienen diese genauso wie intersexuelle Menschen – wie mir scheint – mit ihren persönlichen Problemen als Steigbügelhalter einer anthropologischen Revolution – allerdings nur soweit und solange, wie sie sich unbewusst oder auch bereitwillig dafür in Dienst nehmen lassen. Auch Menschen, die an ihrer Geschlechtsidentität leiden, dürfen nicht vergessen, dass sie ihre Existenz dem Aufeinander-verwiesen-sein von Mann und Frau verdanken.

Was in diesen Auseinandersetzungen letztlich auf dem Spiel steht, hat Spaemann messerscharf im Blick: nichts mehr und nichts weniger als jene zweigeschlechtliche Ordnung, „auf der die ganze Menschheit beruht und die es zu hegen und zu pflegen gilt, weil von der Qualität der aus ihr hervorgehenden Familien unsere Zukunft abhängt.“