Vor genau vier Jahren wurden in Nigeria 276 Schulmädchen durch die islamistische Miliz Boko Haram entführt. In der Nacht auf den 15. April 2014 verschleppt, befinden sich noch immer mehr als 100 der „Chibok-Mädchen“ in den Händen ihrer Entführer. Christen im Norden und zentralen Teil des Landes leiden vermehrt auch unter den zahlreichen Übergriffen muslimischer Fulbe (auch Fulani).
Medienmitteilung Open Doors
In der Nacht auf den 15. April 2014 entführte Boko Haram 276 Mädchen beim Überfall auf die Unterkünfte der „Government Secondary School“ in Chibok, im nigerianischen Staat Borno. Eine Welle der Solidarität ging in der Folge um die Welt, selbst die damalige First-Lady Michelle Obama posierte mit dem Schriftzug „#BringBackOurGirls“. In den Folgemonaten gelang 57 Mädchen die Flucht, 219 blieben zunächst in Gefangenschaft. Eines der Mädchen konnte im Mai 2016 entkommen und berichtete, dass sechs der Gefangenen verstorben seien. Im Oktober 2016 gelangten 21 Mädchen in die Freiheit, eines im November 2017 und 82 weitere folgten im Mai 2017. Ein weiteres kam im Januar 2018 frei.
Noch immer über 100 Mädchen vermisst
Viele der freigekommenen berichten davon, dass sie sexuell ausgebeutet worden sind. Manche bringen Kinder mit, die aus den Vergewaltigungen und Zwangsheiraten hervorgegangen sind. Auch wurden etliche gezwungen, zum Islam überzutreten. Mehr als 100 Mädchen werden auch vier Jahre nach der Entführung weiterhin vermisst. Die Tochter von Yakubu Nkeki Maina, dem Sprecher der Eltern der Entführten, gehört zu jenen, die wieder frei sind. Ihr Vater erklärt: „Doch unser Schmerz ist geblieben. Auch wenn manche von uns ihre Töchter zurückhaben, können wir ihre Rückkehr nicht vor unseren Freunden feiern, weil ihre Töchter noch immer vermisst werden.“
Selber nach wie vor tief betroffen nahmen die Chibok-Eltern in diesem Frühling die 300-Kilometer-Reise nach Dapchi im Bundesstadt Yobe auf sich. Dort hatte die Boko Haram im Februar 115 Mädchen entführt, fünf von ihnen starben während der Gefangennahme. Die Chibok-Eltern wollten den betroffenen Vätern und Müttern zuhören und ihnen moralisch beistehen. Deren Hoffnung ging am 21. März in Erfüllung, als 109 Mädchen freikamen, sie alle waren bereits zum Zeitpunkt der Entführung muslimisch. Einzig die Christin Leah Sharibu ist noch immer in den Händen ihrer Entführer.
Gefahr durch Islamisten wächst
Zu einer weiteren Gefahr für die Christen in Nord- und Mittelnigeria sind Islamisten aus dem Volk der Fulbe geworden (auch unter ihrem englischen Namen Fulani bekannt). Unter dem Vorwand, nach Weideland zu suchen, werden immer wieder christliche Dörfer überfallen. Die mit automatischen Sturmgewehren AK-47 und anderen modernen Waffen durchgeführten Übergriffe haben mittlerweile mehrere hundert Todesopfer gefordert. Die Angreifer fordern gleichzeitig mit ihrer Landnahme, dass – wie im Norden des Landes – auch im „Mittelgürtel“ die Scharia eingeführt wird.
Innerhalb der letzten 18 Monaten sind mittlerweile mehr als 50 Dörfer, in denen Christen leben, angegriffen worden. Bereits sind Tausende vertrieben worden. Die ansässigen Familien lebten seit Generationen in der Region. Durch streng-islamische Prediger aus dem Ausland wurden Fulanis radikalisiert. Diese Extremisten sehen die Landnahme und die Vertreibung der christlichen Einwohner als Teil des Dschihad. So forderte beispielsweise eine Serie von Angriffen im März 57 Todesopfer.
Amnesty prangert Flugzeugangriff an
Der Regierung um Nigerias Präsident Muhammadu Buhari (selbst zur Hälfte Fulani) wurde von Bischöfen vorgeworfen, „unfähig oder nicht willens zu sein, die vor als Hirten verkleideten Terroristen zu schützen.“ Experten gehen inzwischen davon aus, dass die Fulani für mehr Tote verantwortlich sind als Boko Haram. Die angreifenden „Hirten“ verfügen teils über höher entwickelte Waffen als die manchenorts zum Schutz abgestellten Soldaten, die sich in solchen Fällen zurückziehen müssen.
Einem Bericht von Amnesty International» zufolge habe ein nigerianischer leichter Jagdbomber des Typs Alpha Jet sowie ein Hubschrauber (EC135) Raketen auf Dörfer abgefeuert, in denen Fulani-Hirten zeitgleich christliche Einwohner attackierten. Die nigerianische Luftwaffe bestätigt die Entsendung der Maschinen; sie seien aber angewiesen gewesen, nur Warnschüsse abzugeben, um die zunehmende kommunale Gewalt zu verhindern.
35 Tote durch „Warnschüsse“
Osai Ojigho, der Direktor von Amnesty International Nigeria, sagte: „Luftangriffe zu starten ist für niemanden eine legitime Methode zur Rechtsdurchsetzung. Ein derart rücksichtsloser Einsatz tödlicher Gewalt ist gesetzeswidrig, ungeheuerlich und offenbart die schockierende Missachtung durch das nigerianische Militär für das Leben derer, um deren Schutzes willen es vorgeblich existiert.“ Amnesty hat Zeugen in den fünf von den Luftangriffen am 4. Dezember betroffenen Dörfern im nordöstlich gelegenen Bundesstaat Adamawa befragt und die Namen von 86 Personen erfahren, die an jenem Tag getötet worden seien. Bei der Bestattung wurden 51 mit Schuss- oder Macheteverletzungen gezählt; die übrigen 35 hält Amnesty für Opfer der Luftangriffe.
Nobelpreisträger Soyinka: „Krieg wurde erklärt“
Dawson K. Tufano, ein Richter im Ruhestand aus Dong, einem der betroffenen Dörfer, beschuldigte die Behörden des geheimen Einverständnisses mit den Islamisten: „Das Ganze war ein kalkulierter Versuch, uns zu vernichten. Falls nicht, warum hat die Luftwaffe dann nur unsere Leute bombardiert, aber die grosse Zahl gut bewaffneter Angreifer in Ruhe gelassen?“ Nigeria sei der Krieg durch die Hirten erklärt worden, sagt der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka. Er fordert von Präsident Buhari, dass deren Aktivitäten ohne Ausflüchte gestoppt werden.
Nigeria liegt auf Platz 14 des Weltverfolgungsindex 2018.