Ein Kernsatz des hippokratischen Eides lautet: „Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten.“ Mit der Neufassung der Richtlinien „Umgang mit Sterben und Tod“ hat die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW den hippokratischen Eid in sein Gegenteil verkehrt, erklärt sie doch die Suizidbeihilfe schon für den Fall, dass Leiden lediglich subjektiv als unerträglich empfunden wird, als mit der ärztlichen Tätigkeit für vereinbar.
Damit übernimmt, wie HLI Schweiz in einer Medienmitteilung schreibt, die SAMW praktisch zur Gänze die Position der Exit-Kommission, welche für den sog. „Altersfreitod“ lobbyiert. Bleibt zu hoffen, dass die Swiss Medical Association FMH als wichtigste ärztliche Standesorganisation, welche im Rahmen der Vernehmlassung schwerwiegende Bedenken erhoben hat, diese schrankenlose Ausweitung ärztlicher Suizidbeihilfe nicht in ihre Standesordnung aufnehmen wird.
Dass die Richtlinien so herausgekommen sind, ist nicht zuletzt Palliativmedizinern zu verdanken, die sich nicht als Alternative, sondern vielmehr als Teppichvorlage für Suizidbeihilfe verstehen. Auffallend ist zudem die geradezu obszöne Personalunion von ausgesprochen militanten Exit-Exponenten einerseits und Mitgliedern der zuständigen SAMW-Subkommisson andrerseits. Man kommt fast nicht umhin, in diesem Zusammenhang von einer ‚feindlichen Übernahme‘ der SAMW durch Exit sprechen zu müssen: In der SAMW-Subkommission sass die ehemaligen Neuenburger Kantonsärztin Dr. med. Daphne Berner, Vorstandsmitglied der Organisation EXIT A.D.M.D. Suisse romande. Diese hatte selber schon einen assistierten Suizid in einen Akt der Tötung auf Verlangen umgewandelt, indem sie den Infusionshahn bei einer Begleitung zum assistierten Suizid eigenhändig öffnete. Sie wurde dafür von einem lokalen Neuenburger Gericht freigesprochen. Der zuständige Staatsanwalt hat diesen Fall nie weitergezogen.
Die Mitinhaberin des Büros Brauer & Strub, Susanne Brauer, welches eine Grundlagenstudie im Auftrag der SAMW ausgearbeitet hatte, ist Vizepräsidentin der zentralen Ethikkommission der SAMW. Ihr Geschäftspartner sitzt in der Exit-Ethikkommission. Auch sie war Teil der für die neuen Richtlinien verantwortlichen Subkommission.
Als beigezogene Expertin fungierte ferner die Liestaler Anästhesistin Dr. med. Marion Schafroth, die im Vorstand von Exit für die Freitodbegleitung verantwortlich ist. Weiter sitzt auch PD. Dr. med. Bosshard in der Ethikkommission von Exit. Kein Wunder also, dass sich diese „Öffnung“ in den jetzt verabschiedeten Richtlinien „durchsetzte“.
Die FMH hatte bereits im Vorfeld bekannt gegeben, dass sie eine Ausweitung der ‚Indikationen‘ für den assistierten Suizid als kontraindiziert erachtet. Bereits in der Vernehmlassungsantwort schrieb sie: „Diese Änderung bedeutet eine massive Ausweitung des Anwendungsbereichs der nach der Richtlinie zulässigen Suizidbeihilfe, diese ist für die Ärzteschaft von grosser Bedeutung. Suizidbeihilfe kann nun bereits dann geleistet werden, wenn das Leiden aus Sicht des Patienten unerträglich ist und anderweitige Hilfe vom Patienten als unzumutbar abgelehnt wird. Die Richtlinie rückt damit von ihrer ursprünglichen Zielsetzung, sterbenskranken Menschen zu helfen ab – Suizidbeihilfe soll nun auch solchen Patienten zur Verfügung stehen, die nicht an einer tödlichen Erkrankung leiden, ihr Leiden aber als unerträglich empfinden. Dies bedeutet für den betroffenen Arzt eine erhebliche Unsicherheit: Der Begriff ‚unerträgliches Leiden‘ ist unbestimmt und hängt zudem von der Einschätzung des Patienten und dessen Wertvorstellungen ab, was es für den Arzt sehr schwer machen dürfte, hier eine klare Grenze zu ziehen. Die Änderung ist zudem unter dem Gesichtspunkt der Suizidprävention problematisch, was in besonderem Masse für psychisch erkrankte Patienten gilt, die zwar urteilsfähig sind aber aufgrund ihrer Erkrankung zu Suizidgedanken neigen.“
In der Tribune de Genève vom 25. Mai 2018 erklärte FMH-Vizepräsident Michel Matter: „Das ursprüngliche Ziel der Suizidbeihilfe ist die Hilfe für Personen am Lebensende. Die Revision darf nicht zu einer massiven Ausweitung dieser Praxis führen, (…) Was unbedingt vermieden werden soll, ist eine Ausweitung auf Patienten, die psychisch leiden, zum Beispiel unter einer Depression.“ Die FMH schätzt zudem das subjektive Kriterium des unerträglichen Leidens als zu vage ein: „Der Rahmen muss so gut wie möglich definiert werden!“
Die SAMW fühlte sich offensichtlich bemüssigt, bereits im Vorfeld dieser Veröffentlichung alle wichtigen Ärztegesellschaften der Schweiz mit einem Spezialschreiben sozusagen präventiv ruhigzustellen. Darin heisst es u.a., sie, die SAMW, habe für die Zulässigkeit der Suizidhilfe auf objektive Kriterien verzichtet, denn – so die rhetorische Frage der SAMW – „Was ist eine tödliche Krankheit?“ Es ist geradezu grotesk, wenn die SAMW objektive Kriterien als untauglich abqualifiziert, im gleichen Atemzug aber den eine subjektiv-willkürliche Interpretation buchstäblich herausfordernden Begriff der „Unzumutbarkeit“ zum Kriterium für eine zulässige ärztliche Suizidhilfe erhebt. Vollends unglaubwürdig macht sich die SAMW, wenn sie sich in grellem Kontrast zu dieser de facto uferlosen Ausweitung ausgerechnet noch zur Schutzpatronin von Patienten mit einer tödlichen Krankheit hoch stilisiert: „(…) andrerseits könnten bei Vorliegen dieser objektiven Kriterien sowohl Patienten als auch Behandelnde unter Rechtfertigungsdruck geraten, wenn sie die Möglichkeit der Suizidhilfe nicht in Betracht ziehen wollen.“
In der Einladung zur Vernehmlassung der Richtlinien „Umgang mit Sterben und Tod“ schrieb die SAMW: „Die Revision strebt eine Vermittlung zwischen unterschiedlichen Sichtweisen und Wertvorstellungen an und versucht, alle Beteiligten – Patienten, Angehörige und medizinische Fachpersonen – im Umgang mit Sterben und Tod zu unterstützen.“ Diesem Lippenbekenntnis zum Trotz ist von der genannten Vermittlung in der schliesslich beschlossenen Neufassung wenig bis gar nichts übriggeblieben. Das Ergebnis sind keine medizinisch-ethischen Richtlinien mehr. Es handelt sich vorwiegend um eine Auflistung von Handlungsoptionen, die dem überzogenen Selbstbestimmungsrecht der Patienten bzw. dem Gutdünken des ärztlichen Personals überlassen werden. Die Optionen für kontrovers diskutierte Handlungen hinterlassen den Eindruck, als ob allein das Strafrecht Grenzen setzt (Tötung auf Verlangen), während die medizinisch-ethischen Prinzipien, die das Standesethos ausmachen, in den Hintergrund treten, wenn nicht sogar aufgegeben werden.
HLI-Schweiz fordert, dass die zurzeit geltenden Richtlinien weiterhin in Kraft bleiben. Beihilfe zum Suizid kann – in welcher Form auch immer – kein Bestandteil ärztlicher Tätigkeit sein. Ansonsten droht das gesellschaftliche Vertrauen in eben diese ärztliche Tätigkeit nachhaltig zu erodieren.
Stellungnahme von HLI zur Vernehmlassung unter: human-life.ch