Künftig soll jeder, der das Gefühl hat, im falschen Körper geboren zu sein, sein Geschlecht im Personenstandsregister voraussetzungslos ändern können. Auch schon als kleines Kind, und möglicherweise mehrmals im Leben.
Von Dominik Lusser
Eine vom Bundesamt für Justiz vorgeschlagene Änderung des Zivilgesetzbuches sieht vor, dass nicht nur intersexuelle Menschen, sondern auch Menschen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung (Transsexuelle bzw. Transgender) ihr Geschlecht im Personenstandsregister allein aufgrund subjektiver Empfindung ändern können. Dafür soll – wie es im Erläuternden Bericht zur Vorlage heisst – „ohne vorgängige medizinische Eingriffe oder andere Voraussetzungen (…) eine Erklärung gegenüber dem Zivilstandsbeamten“ genügen. Erforderlich ist nicht einmal mehr ein psychiatrisches Gutachten.
Die damit vorgeschlagene Gleichbehandlung der beiden sehr unterschiedlichen Phänomene der Inter- und Transsexualität ist nicht sachgemäss, sondern Ausdruck der von intersexuellen Menschen beklagten Instrumentalisierung ihrer Situation durch die Transsexuellen-Lobby. Während es bei Menschen mit einer Störung der biologischen Geschlechtsentwicklung (Intersexualität) tatsächlich zu einem falschen Geschlechtseintrag bei der Geburt kommen kann, der später korrigiert werden muss, gehören transsexuelle Menschen nämlich ausnahmslos dem biologischen Geschlecht an, das bei ihrer Geburt festgestellt wurde.
Erklärt der Gesetzgeber die Geschlechtsidentität zu einer ausschliesslichen Frage der „inneren Überzeugung“, macht er sich zum Werkzeug der Externalisierung eines intrapsychischen Konflikts, unter dem eine kleine Minderheit von Menschen leidet.
Grundlegender Wahrnehmungswandel?
Der im Erläuternden Bericht postulierte „grundlegende Mentalitäts- und Wahrnehmungswandel“ bezüglich der Bewertung der Transsexualität, der gegenwärtig einen Trend zur „Entpathologisierung“ nach sich ziehe und die Klassifizierung der Transsexualität als psychische Störung in Frage stelle, ist extrem umstritten. Insbesondere beruht dieser Wandel, wo er denn tatsächlich stattgefunden hat, nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die US-Forscher Lawrence S. Mayer und Paul R. McHugh halten in ihrer umfangreichen Metaanalyse (2016) fest: „Die Hypothese, wonach die Geschlechtsidentität eine angeborene, festgelegte und vom biologischen Geschlecht unabhängige Eigenschaft des Menschen wäre – dass also eine Person ‚ein in einem Frauenkörper gefangener Mann‘ oder ‚eine in einem Männerkörper gefangene Frau‘ sein könnte –, wird durch wissenschaftliche Evidenz nicht gestützt.“ Tatsächlich gehöre die Genderdysphorie – die heute gängige psychiatrische Bezeichnung dafür, dass man sich selbst als das andere Geschlecht empfindet – in die Familie ähnlicher gestörter Annahmen über den Körper, wie z.B. Magersucht oder Körperdysmorphie. „Ihre Behandlung sollte nicht auf den Körper gerichtet sein, (…) wie man ja auch keinen um Fettleibigkeit fürchtenden magersüchtigen Patienten durch Fettabsaugen behandelt.“ Vielmehr müsste es, so Mayer und McHugh, darum gehen, die falsche Annahme zu korrigieren und die ihr zugrundeliegenden psychosozialen Konflikte zu lösen. „Bei jungen Menschen geschieht dies am besten durch eine Familientherapie.“
Laut einer schwedischen Studie von 2011 steigt die Suizidrate von Transmenschen zehn Jahre nach der geschlechtsumwandelnden Operation rasant an. Analog dazu könnte auch eine Änderung des Geschlechtseintrags den Leidensdruck betroffener Personen zwar möglicherweise vorübergehend lindern, deren intrapsychischer Konflikt aber nicht dauerhaft lösen. Es gibt also berechtigte Zweifel daran, ob eine juristische Geschlechtsänderung einem Transsexuellen tatsächlich hilft. Diese Möglichkeit voraussetzungslos anzubieten und sie bedenkenlos als Errungenschaft (z.B. als Abbau von Diskriminierung) für Menschen mit transsexuellen Empfindungen zu verkaufen, ist somit mehr als fraglich.
Als absolute Mindestanforderung für den Geschlechtswechsel einer transsexuellen Person müsste der Gesetzgeber – entsprechend der heute gängigen Gerichtspraxis – eine psychiatrische Diagnose verlangen, die den dauerhaften Wunsch des Gesuchstellers bestätigt, dem Gegengeschlecht angehören zu wollen. Zivilstandsbeamte haben aufgrund ihrer Berufsausbildung nämlich keinerlei Erfahrung mit psychiatrischen Krankheitsbildern und sind folglich auch ausser Stande zu beurteilen, ob eine entsprechende Erklärung „leichtsinnig“ oder gar missbräuchlich erfolgt.
Und die „Transkinder“?
Kinder mit Geschlechtsdysphorie stellen, wie Mayer und McHugh festhalten, gegenüber erwachsenen Transsexuellen nochmal ein ganz eigenes Thema dar. Dennoch sollen laut den Plänen der Schweizer Regierung schon Kinder, die ihrem subjektivem Empfinden nach im falschen Körper geboren sind, ihr Geschlecht im Personenstandsregister ändern können. Und zwar notfalls auch gegen den Willen ihrer Eltern. Stimmen diese nicht zu, kann die Geschlechtsänderung zwar nicht durch eine einfache Erklärung gegenüber dem Zivilstandsbeamten erfolgen. Urteilsfähige Minderjährige können in diesem Fall aber eine Änderung des Geschlechtseintrags gerichtlich einklagen. Bei nicht urteilsfähigen Kindern ernennt die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB einen Beistand, der die „Interessen“ des Kindes vor Gericht vertritt.
Diese Pläne stehen nicht nur dem elterlichen Erziehungsrecht, sondern auch dem, was die Wissenschaft über Geschlechtsidentitätsstörungen bei Kindern zu sagen weiss, diametral entgegen. Die wenigen verfügbaren Studien zeigen, dass von den betroffenen Kindern im Erwachsenenalter nur noch maximal 20 Prozent transsexuell empfinden. Einerseits kann niemand vorhersagen, wie sich ein betroffenes Kind entwickeln wird. Anderseits machen Forscher darauf aufmerksam, dass der Umgang mit sogenannten „Transkindern“ erheblichen Einfluss auf deren weitere Entwicklung haben dürfte, weswegen bei allen Massnahmen äusserste Vorsicht geboten ist. Der Kieler Sexualmediziner Hartmut Bosinski gab im August 2016 gegenüber dem Deutschlandfunk zu bedenken: „Es ist in der Tat wichtig für das weitere Schicksal des Kindes, festzustellen, dass 80 Prozent der Kinder mit dem Vollbild der Geschlechtsidentitätsstörung im Kindesalter nach der Pubertät dieses Problem nicht mehr haben. (…) Bisher kann die Forschung keine gesicherten Aussagen darüber liefern, wie ein betroffenes Kind sich nach der Diagnose ins Erwachsenenleben hinein weiterentwickeln wird.“
Kollaboration mit psychischer Störung
Dass stetige Wiederholungen Auswirkungen haben auf die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns, ist gut bekannt. Das als Neuroplastizität bekannte Phänomen meint in unserem Zusammenhang, dass ein Kind, das darin bestärkt wird, sich als das entgegengesetzte Geschlecht auszugeben und entsprechend zu denken und zu handeln, diesen Kurs später im Leben tendenziell seltener korrigieren wird. McHugh hielt 2017 in einem Gutachten zu Händen des US-Supreme Court fest: „Wenn z.B. ein Junge sich wiederholt wie ein Mädchen verhält, wird sich sein Gehirn wahrscheinlich so entwickeln, dass eine mögliche Übereinstimmung mit seinem biologischen Geschlecht weniger wahrscheinlich wird.“ Offensichtlich besteht also die reale Gefahr, dass genderdysphorische Kinder, die ihr wahres Geschlecht ansonsten gut annehmen könnten, durch falsche Massnahmen eben daran gehindert werden. Dazu sollte das Schweizer Gesetz keine Hand bieten.
Anstatt ein Kind, wenn immer möglich, mit therapeutischen Massnahmen behutsam dahin zu führen, sein biologisches Geschlecht annehmen zu können (entsprechende Therapieerfolge sind gut dokumentiert), geht die Behandlung im Sinne der Trans-Ideologie den umgekehrten Weg. Dieser ist in Schweizer Kliniken bereits weit verbreitet und sieht üblicherweise die Abgabe pubertätsblockierender Medikamente, darauffolgend die Abgabe gegengeschlechtlicher Hormone und in manchen Fällen sogar chirurgische Eingriffe vor dem Erreichen der Volljährigkeit vor. Der geforderte voraussetzungslose Geschlechtswechsel im Personenstandsregister ist in diesem Gesamtkontext zu sehen. Er reiht sich ein in eine Folge (teilweise irreversibler) Massnahmen, die das Kind sukzessive in der Ablehnung seines angeborenen Geschlechts bestärken und es in vielen Fällen voreilig auf eine angebliche Trans-„Identität“ festlegen.
Im Sinne des Kindeswohls und des Vorsichtsprinzips sollte der Gesetzgeber die Änderungen des Geschlechtseintrags für Minderjährige darum am besten gänzlich untersagen.
Rechtsunsicherheit…
Das Schweizer Gesetz definiert bis anhin keine klaren Voraussetzungen, unter denen eine Person ihre Geschlechtsidentität rechtlich ändern darf. Das Bundesgericht führt in einem Entscheid von 1993 (BGE 119 II 264) allerdings aus, dass ein Geschlechtswechsel im rechtlichen Sinn aus Gründen der Rechtssicherheit nicht dem persönlichen Empfinden des betroffenen Transsexuellen überlassen werden kann. Es müsse ein irreversibler Geschlechtswechsel vorliegen. Was darunter zu verstehen ist, lässt das Bundesgericht allerdings unbeantwortet.
Die geplante Reform will nun aber genau diesen Grundsatz, der Geschlechtswechsel sei nicht allein dem Empfinden des Gesuchstellers zu überlassen, umkehren. Interessanterweise ging es beim genannten Bundesgerichtsentscheid um eine in Dänemark geschlossene „Ehe“ zwischen zwei Männern, von denen der eine als Frau lebte, seinen Geschlechtseintrag aber im Personenstandsregister nicht hatte ändern lassen. Die Schweizer Behörden hatten den Antrag des gleichgeschlechtlichen Paares, als Ehepaar anerkannt zu werden, abgelehnt. Das Bundesgericht begründete sein ebenfalls ablehnendes Urteil damit, es gehe um die „Grundvoraussetzungen der herkömmlichen Ehe“, die ansonsten „allzu leicht unterlaufen werden“ könnten. Mit der Feststellung, die Rechtssicherheit gebiete klare, eindeutige Verhältnisse, was nur bei einem irreversiblen Geschlechtswechsel gewährleistet sei, erteilte das oberste Schweizer Gericht damals der Einführung der gleichgeschlechtlichen „Ehe“ durch die juristische Hintertür eine klare Absage.
…und Missbrauchsgefahr
Gewährt der Staat künftig jedem Bürger, der dies wünscht, quasi bedingungslos den Geschlechtswechsel im Personenstandsregister (d.h. die amtliche Anerkennung dafür, im falschen Körper geboren zu sein), wird er ihm auch keine Leistung oder Behandlung mehr vorenthalten dürfen, die mit der Zugehörigkeit zum „gewählten“ Geschlecht verbunden ist. Das in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zentrale Ordnungsprinzip der bipolaren Geschlechterordnung, die u.a. auch dem Schutz der Privatsphäre und der Sicherheit dient, wäre damit faktisch aufgehoben. Wie chaotisch die Lage bald schon sein könnte, zeigt sich auch darin, dass der Gesetzgeber wie selbstverständlich damit rechnet, dass manche Personen ihr Geschlecht „im Verlauf eines Lebens mehr als einmal“ ändern werden.
Die ebenfalls geplante Erweiterung des strafrechtlichen Diskriminierungsverbots um das Kriterium der Genderidentität, welcher der Nationalrat am 25. September 2018 zugestimmt hat, dürfte diese gefährliche Dynamik der Auflösung der öffentlichen Ordnung zusätzlich verstärken und auf alle Bereiche der Zivilgesellschaft ausweiten.
So würde es z.B. künftig keine juristische Handhabe mehr geben, einem Mann, der sein Geschlecht im Personenstandsregister durch eine Erklärung gegenüber dem Zivilstandsbeamten hat ändern lassen, den Zugang zur Frauensauna zu verweigern. Und zwar ganz unabhängig davon, ob sich dieser Mann einer geschlechtsumwandelnden Operation hat unterziehen lassen oder nicht. An Primarschulen und Gymnasien dürften Jungen im Namen der Nichtdiskriminierung die Mädchengarderobe und -dusche benutzen, selbst wenn sie anatomisch klar als Jungen identifizierbar sind. Da Passkontrollen an den Zugängen zu den Umkleideräumen öffentlicher Schwimmbäder unrealistisch sind, dürften sich auch „anderweitig Interessierte“ (z.B. Voyeure und Sexualstraftäter) diese neuen Möglichkeiten zu Nutze machen, wie die Auswirkungen der Transgender-Gesetzgebungen in Kanada und den USA mittlerweile deutlich zeigen.
Realitätsverlust
Auf welche, im Einzelnen kaum abschätzbaren Folgen sich der Staat mit dieser hochgradig fahrlässigen Vereinfachung des Geschlechtswechsels einlässt, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Grossbritannien: Dort beschäftigt sich die Justiz aktuell mit dem Fall des Sexualstraftäters Stephen Wood, der, nachdem er bekannt gegeben hatte sich als Frau zu fühlen, in ein Frauengefängnis überführt wurde, wo er innert kurzer Zeit Übergriffe auf Mitgefangene verübt haben soll.
Die hier diskutierte Gesetzesvorlage ist ein weiteres Kind der Gender-Ideologie. Sie versucht, den Geschlechtsbegriff im Schweizer Recht vom englischen „sex“ (biologische Realität) zum englischen „gender“ (soziales oder gefühltes Geschlecht) umzudeuten und zielt damit insgesamt auf die Beseitigung der von der Natur vorgegebenen binären Geschlechterordnung. Damit werden spätestens mittelfristig gravierende Konsequenzen in diversen Bereichen in Kauf genommen. Wie absurd das ist, zeigt ein simpler Vergleich:
Mit dem Geschlecht verhält es sich wie mit dem Alter: Beide Merkmale bilden die körperliche Realität ab und werden im Personenstandsregister entsprechend erfasst. Eine 80-jährige Frau ist im Personenstandsregister eine 80-jährige Frau, auch wenn sie sich wie 30 fühlt. Ebenso ist und bleibt ein 40-jähriger Mann, der sich wie 70 vorkommt, ein 40-jähriger Mann. Er soll sich nicht im Personenstandsregister seiner „inneren Überzeugung“ entsprechend als 70-jähriger Mann erfassen lassen und somit AHV-Gelder beziehen können. Die fragliche „innere Überzeugung“ mag noch so stark sein – die massgebliche körperliche Realität von Alter und Geschlecht wird dadurch nicht verändert.
Wird hingegen Standard-Biologie zur Diskriminierung im Rechtssinn erklärt oder vom Gemeinwesen kriminalisiert, sind chaotische Zustände unausweichlich. Denn es drängen bereits weitere Interessengrüppchen – z.B. die sogenannten „Non-Binären“ mit ihrer Forderung nach einem dritten Geschlechtseintrag – darauf, die Gesellschafts- und Rechtsordnung ihren verkehrten Empfindungen zu unterwerfen.
Noch besteht ein Funken Hoffnung, dass das Parlament genügend Realitätssinn besitzt und der Vorlage eine Abfuhr erteilt.