Schon mehr als einmal wurde ich von Studenten einer pädagogischen Hochschule gefragt, woher Lehrer aus philosophischer Sicht das Recht nehmen, Kinder zu erziehen? Welchen Standpunkt die pädagogischen Hochschulen der Schweiz diesbezüglich vermitteln, weiss ich nicht. Doch ich nahm solche Fragen jeweils zum Anlass, grundsätzlich über das Thema Erziehungsrecht nachzudenken.
Von Dominik Lusser
Erziehen ist eine schwierige Aufgabe, und eine sehr verantwortungsvolle, die möglicherweise lebenslange Konsequenzen für die Kinder nach sich zieht. Wer erzieht, formt die Persönlichkeit des Kindes mit, weswegen die Frage durchaus berechtigt ist, woher wir das Recht dazu nehmen. Bloss haben wir schlicht und einfach keine andere Wahl, als unsere Kinder zu erziehen. Das Kind sich selbst zu überlassen ist keine humane Option.
Das Recht der Kindererziehung erweist sich so – wie mir scheint – bei näherem Hinsehen eher als eine Pflicht. Diese entspricht einem Recht des Kindes auf Erziehung und Bildung, das sich aus der Natur des Menschen ableitet. Der Mensch ist nicht ein reines Naturwesen wie das Tier, das alles, was es zum Leben braucht, instinktiv schon mitbringt. Der Mensch ist über seine biologische Natur hinaus ein rationales, d.h. mit Vernunft und freiem Willen begabtes Wesen. Und, daraus folgend, ist er ein Kulturwesen, das der Erziehung und der Bildung bedarf. Ein Kind, dem Erziehung und Bildung verweigert wird, wird sich in der Lebenswelt des Menschen nicht zurechtfinden. Der Mensch muss fast alles, was ihm ein menschliches Leben ermöglicht, zuerst erlernen.
Der Mensch ist ferner, wie schon Aristoteles sagte, ein von Natur aus soziales Wesen. Er ist keine Monade, er kann sein Menschsein nur in Gemeinschaft mit anderen entfalten. Auch der Bildungs- und Erziehungsprozess des Menschen ist sozialer Natur, genauer genommen ein interpersonales Geschehen. Kinder lernen z.B. dadurch sprechen, dass man mit ihnen spricht. Verweigert man dies, sterben sie aus Mangel an Zuwendung, wie grausame Experimente früherer Jahrhunderte zeigen. Auch Vorbilder üben einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Kindern aus. Seien es nun die Eltern, Lehrer oder Stars. Die für das sittliche Handeln zentralen Tugenden kann sich der Mensch ebenfalls kaum selber beibringen. Es bedarf der Erziehung, die das Kind durch Einüben und Gewöhnung schon früh dazu anhält, sich in die Gemeinschaft einzufügen, seine Impulse zu regulieren usw.
Erziehung ist also in erster Linie etwas, was dem Kind geschuldet ist. Nicht umsonst spricht Artikel 28 der UNO-Kinderechtskonvention vom Recht des Kindes auf Bildung. Generell gilt aber, dass das Erziehungsrecht bzw. die Erziehungspflicht primär den Eltern zu kommt. Da sie dem Kind durch Abstammung und familiäre Bindung am nächsten stehen, tragen sie die primäre Verantwortung. Auch dies ist in der UNO-Kinderrechtserklärung festgehalten: Das Kind hat „soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden“ (Artikel 7). Staat und Schule können nur insofern erzieherisch tätig werden, als die Eltern sie an ihrem Auftrag teilhaben lassen, d.h. einen Teil der Bildungs- und Erziehungsverantwortung an staatliche Instanzen delegieren.
Die beste Grundlage jeder Erziehung und Bildung ist die natürliche Bindung zwischen Eltern und Kind, die emotionale Geborgenheit und Angenommensein vermittelt. Durch diese Sicherheit wächst im Kind die Neugier und das Interesse, die Welt zu erkunden und zu lernen. Auch setzt diese Verbindung die Eltern in ein natürliches Autoritätsverhältnis zum Kind, das auf Vertrauen aufbaut. Dies macht deutlich, weshalb Eltern nicht einfach durch Lehrer ersetzbar sind.
Gute Erziehung vermittelt dem Kind ein gesundes Selbstwertgefühl. Und sie ermutigt es dazu, seine Potentiale zu entfalten und seine Grenzen zu akzeptieren. Erziehung vermittelt Wissen und ethische Orientierung. Richtschnur dabei ist das objektiv Schöne, Ware und Gute. Eine Erziehung, die alle emotionalen Grundbedürfnisse des Kindes (nach Bindung, Autonomie, Selbstkontrolle, Freiheit, Spontanität und Spiel) berücksichtigt, legt den Boden für spätere Beziehungsfähigkeit, für Lernbereitschaft und Belastbarkeit im Familien- und Berufsleben.
Dass immer mehr Erziehungsarbeit von Eltern an die Schule delegiert wird, ist eine Fehlentwicklung. Es sind die Eltern, welche die primäre Verantwortung für die Erziehung tragen, und dazu auch durch ihre natürliche Bindung zum Kind prädisponiert sind. Die Schule ist in erster Linie für die Bildung (die Vermittlung von Wissen) zuständig, nicht für grundlegende Erziehungsarbeit. Was im Elternhaus verpasst wird oder schiefläuft, kann die Schule nur sehr begrenzt auffangen. Wer sich für eine gute Bildung und Erziehung unserer Kinder einsetzen will, sollte sich deshalb zu allererst für intakte Familien starkmachen.