Die Türkei hat inzwischen mit an die 80’000 offiziellen Corona-Infizierten und einer weitaus höheren Dunkelziffer Iran als am stärksten betroffenes islamisches Land überholt. Noch dazu steht jetzt mit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 24. April 2020 eine besondere Belastungsprobe für die öffentliche Gesundheit bevor.
Von Heinz Gstrein
Zwar wird der Ramadan wenigstens nicht, wie es sein arabischer Name bedeutet, ein „heisser Monat“ wie in den letzten Jahren, als er zuerst in den August, dann der Reihe nach in den Juli und Juni fiel. Diesmal wird er am 23. Mai zu Ende gehen und vor allem den Durst der Muslime, die sich während seiner Dauer tagsüber nicht einmal einen Tropfen Wasser gönnen dürfen, auf keine allzu schwere Probe stellen.
Diesmal wird es aber einen Ramadan unter der Corona-Epidemie geben. Zuletzt musste unter einigermassen vergleichbaren Bedingungen der Ramadan im 19. Jahrhundert trotz Pest und Cholera eingehalten werden. Auch dieses Mal hat die türkische Religionsbehörde strenges Fasten angeordnet. Das gilt auch für die Türkinnen und Türken in der Schweiz; „Fasten ist gesund – besonders in Coronazeiten“, behauptet der oberste türkische Religionsbeamte Ali Erbas. Das mag insofern stimmen, als die komplette Enthaltung von Speisen und Getränken jeder Art auch mit keinerlei Viren in Berührung bringt. Doch gilt das nur während des Tages. Von Sonnenuntergang bis -aufgang wird das Versäumte umso üppiger nachgeholt. Da ist dann das Ansteckungsrisiko erst recht gross. Umso mehr, als nur massvolles, durchgezogenes Fasten wirklich gesund ist, nicht aber übermässiges Essen während der Nacht. Es steht also zu befürchten, dass dieser Ramadan 2020 für die Türkei erst recht zu einem Corona-Monat wird …
Davon abgesehen bleibt diesmal der Brauch des „Iftar“ untersagt, des gemeinsamen Abendessens nach dem Ruf des Muezzins zum Fastenbrechen. Dazu werden üblicherweise über den Familienkreis hinaus auch Verwandte, Freunde und bedürftige Nachbarn eingeladen. Noch dazu waren die Iftars zeitweise auch Gelegenheiten, um mit Andersgläubigen, meist Christen und Juden, zusammenzutreffen, das Brot zu brechen und religiöse Gedanken auszutauschen. Solche Begegnungen, wie sie der Islam als im Grund einzige Dialogkreise zulässt, wird es in diesem Ramadan nicht geben.
Aber auch kein Gebet in den Moscheen und keine Meditationen von Derwisch-Geschwisterschaften finden statt, wie sie besonders an den Fastenabenden sonst üblich sind. Die Moscheen bleiben geschlossen, nur vermummte Desinfektoren mit Sprühflaschen dürfen sie betreten. Istanbuls Christen sehen darin die Hand der göttlichen Vorsehung: Denn genau in diesem Ramadan hatte die Türkei geplant, die einstige Sophienkirche, zurzeit noch das Aya-Sofya-Museum, in eine Moschee verwandelt werden, wie schon einige andere ehemals christliche Stätten.
Zwischen die Minarette der Corona-geschlossenen Moscheen werden allerdings nach altem türkischen Brauch beleuchtete Spruchbänder mit Ramadanwünschen und -parolen gespannt: „Es gibt keinen Gott ausser Allah!“, heisst es da, aber auch mit dem türkischen Mystiker Yunus Emre „Sevelim/Sevilelim“ (Lasst uns lieben und geliebt werden). Diese „Mahya“ genannten Leuchtbuchstaben waren regelrechte Kunstwerke, die von einer eigenen Zunft gefertigt wurden, den Mahyaci. Solang es noch keine elektrischen Glühbirnen gab, mussten in den Lichterketten Kerzen oder Öllampen entzündet werden. Ein waghalsiges Unterfangen, wie schon 1578 als erster Abendländer der Sulzer Prediger und Koranübersetzer Salomon Schweigger feststellt.