Angesichts einer auch in der Schweiz feststellbaren dramatischen Zunahme an Jugendlichen, die in ihrer Geschlechtsidentität verunsichert sind, wäre die Möglichkeit eines bedingungslosen Geschlechtswechsels ein fatales Signal.
Von Dominik Lusser
Der Ständerat hat am 11. Juni 2020 mit 31 zu 7 Stimmen entschieden, dass Personen durch eine einfache Erklärung vor dem Zivilstandsbeamten ihr Geschlecht im Personenstandsregister ändern können sollen. Zustimmung gab es von allen Linken und CVP-Vertretern, während fünf SVP-Räte, ein Freisinniger und der parteilose Thomas Minder dagegen votierten. Ebenfalls bemerkenswert, aber nicht weiter verwunderlich, ist der Gender- und Rösti-Gap in der Frage: Alle Frauen und Romands stimmten für den bedingungslosen Geschlechtswechsel.
Gibt der Nationalrat im September ebenfalls grünes Licht, braucht es künftig für einen amtlichen Geschlechtswechsel nicht einmal mehr die Diagnose Geschlechtsidentitätsstörung (GIS) oder Intersexualität. Selbst auf eine mündliche oder schriftliche Begründung soll verzichtet werden. Das Verfahren gilt auch für Minderjährige, sofern die Erziehungsberechtigten zustimmen. Andernfalls können urteilsfähige Minderjährige ihren Geschlechtswechsel auf dem Gerichtsweg durchsetzen. Nichturteilsfähige Minderjährige würden bei Nichtzustimmung der Eltern durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde vor Gericht vertreten.
Alles in allem hätte die Schweiz damit aus Sicht der LGBT-Lobby die europaweit „fortschrittlichste“ Gesetzgebung, wobei das Justizdepartement damit rechnet, dass manche Personen ihr Geschlecht „im Verlauf eines Lebens mehr als einmal“ ändern werden. Bedenken wegen möglichen Missbrauchs fanden bei der Mehrheit kein Gehör. FDP-Ständerat Andrea Caroni beschwichtigte, man solle als Liberaler „nicht der Missbrauchs-Paranoia anheimfallen“. Solche Fälle hätten mehr anekdotischen Charakter und kämen auch im Ausland nicht vor. Das ist kurzsichtig – zeigt doch z.B. eine von Ryan T. Anderson 2018 im „Harvard Journal of Law & Public Policy“ dokumentierte Sammlung von Vorkommnissen aus Nordamerika, dass es sich auch Voyeure und Sexualstraftäter zu Nutze machen, wenn das äussere Erscheinungsbild nicht mehr als sicheres Indiz für das amtliche Geschlecht einer Person gelten und folglich jeder behaupten kann, ein Transgender zu sein. Die entstandene Sicherheitslücke für Frauen durch Passkontrollen am Eingang zu Saunen, Toiletten und Umkleideräumen zu schliessen, ist ebenfalls illusorisch.
Gemeindebehörden ziehen bei diversen Fragen, z.B. bei verhaltensauffälligen Schülern, psychologische Gutachten heran. „Wieso sollte das bei einem so einschneidenden Schritt wie einem Geschlechtswechsel, dessen Beurteilung Fachwissen voraussetzt, anders sein?“ Diese berechtigte Frage hatte ein Gemeindeschreiber im Februar gegenüber dem „Infodienst Zukunft CH“ aufgeworfen und sein Unverständnis darüber kundgetan, Geschlechtswechsel künftig wie Wohnortswechsel abzuwickeln. Gewichtige Kritik hatte auch die „Konferenz der Kantonalen Aufsichtsbehörden im Zivilstandsdienst“ geäussert. Der Gesetzesentwurf führe zu Rechtssicherheit: Ist nur noch die innere Überzeugung massgeblich, kann z.B. die Zeugungsfähigkeit bei der neuen Claudia Muster (F) noch vorhanden sein und diese folglich Vater werden. Wenn sie verheiratet sei, entstehe darüber hinaus faktisch die heute rechtlich nicht existente gleichgeschlechtliche Ehe. Für so einen Fall resp. auch für den Fall, dass der neue Claudio Muster (M) ein Kind zur Welt bringe, sei nicht geklärt, ob die sogenannte Vaterschaftsvermutung zur Anwendung komme, der zufolge der Ehemann als Vater gilt.
Weitere Bedenken hätten aus der Kinderpsychiatrie kommen müssen, doch fehlt es in der Schweiz an Experten, die dem Trend, das Geschlecht primär als subjektive Empfindung zu sehen, kritisch gegenüberstehen. Der Münchner Psychiater Alexander Korte zeigte im Februar bei einer Veranstaltung des Deutschen Ethikrats auf, dass sich laut den bisherigen Studien über 80 Prozent der von einer GIS betroffenen Kinder früher oder später mit ihrem Geburtsgeschlecht aussöhnen. Grossen Forschungsbedarf ortet Korte hinsichtlich der Auswirkungen einer frühzeitigen sozialen Transition – sprich eines „Rollenwechsels im Kindesalter“. Der Psychiater mahnt, dem Kind „nicht das Konzept ‚trans‘ überzustülpen und ihm nicht fortwährend zu vermitteln, es sei vom anderen Geschlecht, nur weil es sich so verhält“. Und dies mit gutem Grund. Führende Forscher wie Paul R. McHugh weisen darauf hin, dass der soziale Umgang mit „Transkindern“ erheblichen Einfluss auf deren weitere Entwicklung haben dürfte. Wiederholungen hätten Auswirkungen auf die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns. „Das als Neuroplastizität bekannte Phänomen meint, dass es bei einem Kind, das darin bestärkt wird, sich als das entgegengesetzte Geschlecht auszugeben, weniger wahrscheinlich ist, dass es diesen Kurs später im Leben korrigiert.“
In welchem Ausmass transidente Empfindungen von sozialen und politischen Faktoren beeinflusst sind, zeigt auch das rund um den Globus beobachtbare Phänomen der sogenannten „rasch einsetzenden Geschlechtsdysphorie“ im Jugendalter. Es handelt sich um Jugendliche, die zuvor in der Kindheit kein geschlechtsatypisches Verhalten zeigten und deren Zahl seit zehn Jahren in Australien und den USA ebenso exponentiell steigt wie in Schweden, Grossbritannien oder Deutschland. Eine Elternbefragung in den USA (Littman, 2018) führte zu dem Ergebnis, dass die meisten Teenager, die sich als „Transgender“ identifizierten, dies unter dem Einfluss einer Peergroup taten, in der sich zumindest ein anderes Mitglied im gleichen Zeitraum ebenfalls zum „Transgender“ erklärte. Angesichts einer auch in der Schweiz feststellbaren dramatischen Zunahme an Jugendlichen, die in ihrer Geschlechtsidentität verunsichert sind, wäre die Möglichkeit eines bedingungslosen Geschlechtswechsels ein fatales Signal.
Erschien zuerst in der Tagespost vom 25. Juni 2020.