Pornografiekonsum wird oft als etwas Normales angesehen und gleichzeitig tabuisiert. Ria Rietmann bietet Frauen mit einem pornosüchtigen Partner Raum, um aus der Verborgenheit herauszutreten und aufzublühen.

Lisa Leisi im Interview mit Ria Rietmann

Ria Rietmann, Sie beraten Frauen von pornosüchtigen Männern. Wie kam es dazu? Ria Rietmann:

Mein Mann begleitet pornosüchtige Männer. Auch ihre Partnerinnen waren in Not und so entstand das Angebot. Da mein Mann selber diesen Hintergrund hat, trägt auch mein persönliches Erleben dazu bei.

Wie geraten Männer in eine Pornosucht?

Oft werden Jungs schon in der Schule mit Pornos konfrontiert und finden das faszinierend. Die damit verbundene Selbstbefriedigung führt zur Ausschüttung von Glückshormonen. So kann ein Suchtverhalten entstehen, um sich zum Beispiel bei Druck, Problemen oder Beziehungsfragen zu entspannen. In der Pornografie sind Frauen wählbar nach Alter, Schönheit, Vorlieben. Sie sind scheinbar jederzeit zu allem bereit. Sexualität wird so am Beziehungsaspekt vorbei gelebt. Das kann zu Beziehungsunfähigkeit, Impotenz und Rückzug aus dem Sozialleben führen.

Wie wirkt sich das auf die Partnerschaft aus?

In vielen Fällen wissen die Frauen nicht, dass ihr Partner betroffen ist. Viele Frauen spüren, dass etwas nicht stimmt, was unbewusst die Beziehung beeinflusst. Pornografie ist ein Vertrauensbruch. Oft drehen sich die Gedanken der Frauen um das, was der Mann gerade macht. Misstrauen kann den ganzen Tag bestimmen und damit die Beziehung. Leider ist Scham in diesem Bereich gross, sodass es vielen Männern schwerfällt, Hilfe zu holen. Oft versucht die Frau zuerst selbst, ihrem Partner zu helfen. Als «Beichtpartnerin» kann sie durch die Schilderungen des Mannes immer wieder verletzt werden. Auf Dauer ist das meist keine gute Lösung.

Wie reagieren betroffene Frauen?

Oft sind Frauen zutiefst verletzt, fühlen sich massiv abgewertet. Es braucht Zeit, die Gefühle – Wut, Angst oder Ohnmacht – zu ordnen und auch zu erkennen, wie der weitere Weg aussehen kann. Frauen kommen zwangsweise in eine Position, in der sie den pornografischen Bildern niemals gerecht werden können. Die Erkenntnis, dass sie nie schön, vollbusig, jung genug und zu allen möglichen Praktiken bereit sein können, wirkt mitunter zerstörerisch auf die Selbstwahrnehmung.

Wie sieht Ihre Begleitung aus?

Ich biete im Online-Bereich Hilfe zur Selbsthilfe. In verschiedenen Modulen kann jede Teilnehmerin ihre Themen im eigenen Tempo bearbeiten und ihr eigenes Arbeitsbuch erstellen. Zudem schreibe ich an einem Buch zum Thema und biete Einzelberatung an. Auf meiner Website finden sich diverse Blogbeiträge.

Welchen Weg gehen die Frauen in der Beratung?

Am Anfang steht das Aussprechen der Dinge, die passiert sind – Gefühle, Gedanken, Vermutungen. Ich höre einfach zu und werte nicht. Oft kommen dann Fragen zur Sprache, wie «Was ist Sucht?», «Gibt es überhaupt Hoffnung für uns?», «Wie machen das andere Paare?», «Wohin mit meinem Schmerz?», «Will ich unter diesen Umständen überhaupt Kinder mit diesem Mann?». Zum Verständnis hilft es, wenn die Männer an ihren eigenen Themen arbeiten. Nach dem Entzug ist es möglich, den tieferliegenden Gründen näher zu kommen. Das hilft der Frau, den Partner zu verstehen.

… und dann?

Die Frauen merken, dass sie den Partner nicht ändern können. Nur wenn er sich klar entschieden hat, kann er frei werden. Dadurch sind die Frauen einerseits entlastet und gleichzeitig auf sich selber gestellt. Sie spüren die Ohnmacht, die damit verbunden ist. Wir schauen die Gefühle und ihre Geschichte an und suchen individuelle Lösungen. Co-Abhängigkeit kann ein Thema sein. Wir decken diese Mechanismen auf. Dadurch kann sich die Frau innerlich von der Sucht des Mannes distanzieren. Wir schauen, wo die Grenze der Frau ist. Was braucht sie selber? Was kann sie für sich tun? Wieder Vertrauen zum Partner aufzubauen, braucht oft Zeit. Die Frau kann ihren Partner ermutigen und ihm Freiraum geben, sich Hilfe zu holen, mit ihm für den Prozess beten. Und sie kann den Mann immer wieder ermutigen, dranzubleiben.

Ihr Rat an unverheiratete Paare?

Ich habe Paare gesehen, die später viel Leid erlitten haben. Ich frage oft: Was ist, wenn dein Partner in fünf, zehn Jahren noch das gleiche Problem hat? Was sagt ihr zu einer Begleitung? Macht der Partner konkrete Schritte? Ich empfehle in solchen Situationen generell, lieber zu warten. Gut begleitete Paare wagen es oft, den Weg gemeinsam zu gehen.

Wie könnte Pornografie eingedämmt werden?

Wir sollten über die zerstörerische Wirkung von Pornos reden. Und wir müssen unsere Werte kommunizieren – in der Familie, in Kirchen, in der Politik – und so ein Gegengewicht in unserer sexualisierten Welt setzen. Die Wirkungsweise und Hintergründe der Pornoindustrie sollten noch viel mehr bekannt gemacht werden! Es ist wichtig, an betroffene Frauen zu denken. Und: Unterstützung holt man sich eher, wenn das Thema nicht mehr tabuisiert wird.

Ria Rietmann (48), verheiratet, 2 Kinder, Ausbildung zur Krankenschwester, Basisstudium in Kunst- und Ausdruckstherapie. Sie bietet Beratung und Hilfe für Frauen von pornosüchtigen Männern. Mehr Infos unter: www.einmaligsein.com

Quelle: Dieser Artikel erschien im EDU-Magazin Standpunkt Juli/August 2020. Publikation mit freundlicher Genehmigung.