Die Attacken gegen die Kabarettisten Dieter Nuhr und Lisa Eckhart zeigen, dass mit den politisch Korrekten nicht zu spassen ist. Wer gegen ihre Gebote verstösst, wird gnadenlos ausgegrenzt.
Kolumne von Giuseppe Gracia
Früher hielten sich die Kaiser und Könige einen Hofnarren. Dieser durfte, im Kleid des Humors, Dinge sagen, die niemand sonst sagen durfte. Der Hofnarr konnte die Tabus seiner Zeit brechen und der feinen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Ab und zu kam es dabei zu geköpften oder erdrosselten Witzbolden, doch grundsätzlich galt: Der Hofnarr muss nicht heucheln. Er muss nicht, wie alle anderen, vor der Macht kriechen.
Wer gegen den Kodex der Selbstgerechten verstösst, kassiert einen Shitstorm
Inzwischen ist das anders. Die feine Gesellschaft von heute, die Hüter der politischen Korrektheit, machen regelmässig mobil, wenn ein Hofnarr zu weit geht. Wenn Humoristen und Satiriker es wagen, sich lustig zu machen über die Selbstgerechtigkeit von Antifaschisten, Antirassisten oder Gender-Sensiblen. Wie etwa der Deutsche Comedian Dieter Nuhr, der den Greta-Hype kritisiert und Corona-Massnahmen-Witze macht, oder die Kabarettistin Lisa Eckhart, die angeblich antisemitische Sprüche klopft: Sie kassieren Shitstorms und werden von Kulturveranstaltern ausgeladen. Sie sind nicht die Einzigen. Ein prominentes Beispiel aus den USA ist der Komiker Kevin Hart. Er durfte wegen „schwulenfeindlicher Witze“ die Oscar-Gala nicht moderieren.
Eine freie Gesellschaft hat ein unverkrampftes Verhältnis zur Satire
Nun kann man Greta- oder Schwulenwitze natürlich für dumm und schädlich halten, wie auch Witze über Behinderte oder über Mohammed. Man kann sich einsetzen für Tabus im Sinn eines emotionalen „Safe Space“ für Minderheiten. Man kann als Kulturbetrieb dafür plädieren, nur noch Witze über anerkannt Böses zuzulassen: Trump, die SVP, Konzernchefs oder überhaupt alle Nicht-Linken. Eine Devise, an die sich bereits viele Schweizer Komiker halten. Man kann eine Gesellschaft als gefährlich empfinden, die ordnungswidrige Witze über Transsexuelle toleriert, über klimahysterische Grünschnäbel oder vegane, mülltrennende Abtreibungsfeministen. Viel gefährlicher ist jedoch eine Gesellschaft mit einer Moralpolizei, die ihre Tabus auch im Kabarett durchsetzt. Eine Gesellschaft der Sittsamen und Edlen, die mit dem Begriff „Hassrede“ gegen die gefährliche freie Rede kämpft. So lange, bis niemand mehr widerspricht, bis alle feige am Boden rumkriechen.
Im Gegensatz dazu braucht eine freie Gesellschaft freie Hofnarren und Provokateure. Sie braucht ein unverkrampftes, selbstbewusstes Verhältnis zur Satire. Wie es schon der antike Philosoph Epiktet empfiehlt: „Sagt man Böses von dir, und es ist wahr, bessere dich. Sind es Lügen, lache darüber.“
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Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein neuer Roman „Der letzte Feind“ ist erschienen im Fontis Verlag, Basel.
Diese Kolumne erschien zuerst im Blick.