Von Dominik Lusser
Eine Organisation ärgert ein ganzes Volk. Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) will den wenig beliebten Siegerbeitrag ihres Hymen-Wettbewerbs nun auch bei der offiziellen 1. August-Feier auf dem Rütli singen lassen, die sie selber jährlich ausrichtet. Das bringt das Fass für viele zum Überlaufen. Das Gute an dieser Provokation an historischer Stätte: Mit dem 1. August 2016 wird der SGG-Liedtext, der nie zum Hit wurde, wohl definitiv zu Grabe getragen. Wenigstens als künftige Hymne der Schweiz. Die Melodie des Schweizerpsalms wurde ursprünglich als Graduale für eine Festmesse komponiert. Was die SGG krampfhaft inszeniert, gleicht aber eher einem Requiem. Wir schreiben also aller Wahrscheinlichkeit nach das letzte Kapitel dieser „Chronologie einer Totgeburt“, über die die NZZ im April berichtete. Darum können uns diese Missklänge auch die Festfreude nicht verderben.
Bereits im April 2016 hat die private Organisation Schulen, Gemeinden, Sport- und Musikvereine mit der Aufforderung angeschrieben, das Lied „Weisses Kreuz auf rotem Grund“ einzuüben. Das Anliegen war nicht übersehbar. Nachdem es nicht gelungen war, den Schweizerpsalm auf offiziellem Weg zu verdrängen, versuchte es die SGG durch die Hintertür. Da unsere Hymne rechtlich nicht als Hoheitszeichen geschützt ist, kann der SGG zwar kein Rechtsbruch vorgeworfen werden. Aber unsensibel, provokativ und unverschämt ist das Vorgehen der SGG allemal. Noch einen drauf legte sie kürzlich mit einer Einladung an alle Gemeinden der Schweiz, bei ihren 1. August-Feierlichkeiten neben dem Schweizerpsalm auch den Text von Werner Widmer zu singen. Und dafür bekommt sie jetzt die Quittung. Nur ganz wenige Gemeinden und Schulen reagierten positiv auf die Aufrufe und Einladungen. Viele waren verärgert oder gar empört, wie selbst Geschäftsführer Lukas Niederberger in einem Interview mit der NZZ zugeben musste. Einen Hymnentext, der über keine offizielle Grundlage verfüge, werde man am 1. August auf keinen Fall singen, hiess es in diversen Schreiben von Gemeinden.
Zeitgleich zum Aufruf der SGG haben wir von Zukunft CH eine Protestkartenaktion lanciert, durch die Gemeinden und Schulen davon abgehalten werden sollten, den Hymnenvorschlag der SGG zu singen. Es ging uns darum, der Aktion den Schein des Offiziellen zu nehmen, der dem Schreiben an Schulen, Gemeinden und Vereine anhaftete. Auch appellierten wir mit unserem Protest an die Bevölkerung, sich wieder mehr mit der gehaltvollen Botschaft und Geschichte des Schweizerpsalms bekannt zu machen.
Der SGG geht es – wie sie sagt – bei all ihren Bemühungen darum, den neuen Text „von unten“ wachsen zu lassen. Erst wenn der Textvorschlag bei der Schweizer Bevölkerung auf eine breite Akzeptanz stosse, wolle man ihn auf offiziellem Weg als neue Hymne vorschlagen. Das klingt zwar alles gut. Doch das, was die SGG vor allem bei der symbolträchtigen 1. August-Feier auf dem Rütli plant, hat mit „von unten“ nichts zu tun. Die empörten und verärgerten Reaktionen im Land zeigen: Die SGG wartet nicht auf eine breite Akzeptanz, sondern instrumentalisiert ihr Verwaltungsmandat fürs Rütli und versucht, ihre Pseudo-Hymne an der Wiege der Eidgenossenschaft von oben herab durchzupauken. Dieses Vorgehen ist weder schweizerisch noch gemeinnützig. Dass der Schweizerpsalm nicht mehr zeitgemäss sein soll, ist keine Überzeugung aus dem breiten Volk, sondern der Entscheid einer einzelnen Organisation, an deren Abstimmung für eine neue Hymne kaum ein Prozent der Schweizerinnen und Schweizer teilgenommen hat. Ihre Ehre wenigstens ein bisschen retten könnte die SGG, wenn sie auf die geplante Provokation am 1. August noch kurzfristig verzichten würde.
So oder so aber steht fest: Der Hymen-Wettbewerb wird als Requiem mit Missklängen in die Geschichte eingehen. Um die tot geborene neue Hymne wird kaum jemand trauern. Und das ist gut so! Noch schöner aber wäre es, wenn die gesellschaftliche Auseinandersetzung der letzten beiden Jahre nicht nur zu einer inhaltlichen Wiederaneignung des Schweizerpsalms, sondern zu einer geistig-kulturellen Erneuerung unseres Landes führen könnte. Eine solche haben wir für die bevorstehenden Herausforderungen dringend nötig. Darum: „Betet freie Schweizer betet.“