Überraschend deutlich nahm das Schweizer Stimmvolk am vergangenen Abstimmungswochenende die „Ehe für alle“ an. Dieses Ja verdeutlicht den spürbaren Wertewandel und dürfte weitere Folgen auf das Zusammenleben und die Familie in der Schweiz haben. Bereits werden nächste Forderungen gestellt. Die „Ehe für alle“ ist nur ein Zwischenschritt.
64,1 Prozent der Schweizer Stimmbürger votierten für die „Ehe für alle“. Selbst „katholisch-konservative Kantone“ nahmen die Ehe für alle an, was so nicht zu erwarten war. Befürworter interpretieren dieses Ergebnis als Bekenntnis zu einer offenen Schweiz. „Wer sich liebt und heiraten will, soll dies zukünftig tun dürfen – und zwar unabhängig davon, ob es um zwei Männer, zwei Frauen oder um einen Mann und eine Frau handle, so Bundesrätin Karin Keller-Sutter.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die wesentlichen rechtlichen Folgen dieses Abstimmungswochenendes. Neben der Öffnung der Zivilehe für homosexuelle Paare erhalten schwule oder lesbische Paare neu Zugang zur Adoption. Für gleichgeschlechtliche Paare wird die eingetragene Partnerschaft abgeschafft. Zudem dürfen lesbische Paare zusätzlich die Samenspende in Anspruch nehmen.
Die katholische Kirche uneins
Während der Schweizer Bundesrat diese rechtlichen Neuerungen begrüsste, zeigte sich die katholische Kirche in dieser Frage bereits im Vorfeld gespalten. Die katholische Bischofskonferenz sprach sich gegen die „Ehe für alle“ in der vorliegenden Form aus, namhafte Vertreterinnen in der katholischen Kirche unterstützten hingegen die Vorlage. So zeigten sich Franziska Driessen-Reding, Zürcher Synodalpräsidentin, und Renata Asal-Steger, Präsidentin der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz, mit dem Abstimmungsergebnis ausserordentlich zufrieden. Die klerikal-männerdominierte Kirchenleitung sollte nun endlich in sich gehen, so Driessen-Reding, und forderte, dass „Ehe für alle“ für die Kirche auch „Segen für alle“ bedeute. Simone Curau-Aepli, Präsidentin des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds, ging am Abstimmungssonntag noch einen Schritt weiter und forderte, dass nach der Ehe für alle das Ehesakrament für alle folgen müsse.
Ehe für alle als Dammbruch
Neben diesen innerkirchlichen Forderungen wird das Themenfeld „Ehe und Familie“ auch in der Zukunft Gegenstand weiterer politischer Diskussionen sein. Dass mit diesem Ja sämtliche Beziehungs- und Familienmodelle einen Anspruch auf staatliche Anerkennung geltend machen können, liegt auf der Hand. Bereits der Begriff „alle“ lässt erkennen, worauf es hinausläuft. Warum soll die Ehe nur für gleichgeschlechtliche Paare gelten? Man stelle sich vor, wohin es führen würde, wenn tatsächlich sämtliche Lebensformen gleich zu behandeln und keinerlei ethisch-gesellschaftlich begründeten Differenzierungen mehr zulässig wären. Wie stünde es dann um die staatliche Anerkennung polygamer Beziehungen? Wäre die Ehe nicht auch bald schon zwingend für einen Mann und seine vier Frauen zuzulassen? Wo steht, dass die Ehe monogam bleiben muss? Oder dass sie nur zwischen Menschen geschlossen werden kann? Soll sich künftig also jede Minderheit, die zivil heiraten will, auf das Diskriminierungsverbot berufen können?
Auch im Bereich der Fortpflanzungsmedizin droht der Schweiz mit diesem Ja ein Dammbruch. Steht der „Kinderwunsch“ im Vordergrund, kann sich jeder, der ein Kind will, darauf berufen. Mit welchem Argument soll dann z.B. einer Single-Frau oder einem Rentner dieser Wunsch rechtlich verweigert werden? Dann wäre es nur noch ein kleiner Schritt auf dem Weg zu „Kinder für alle“. Bereits am Abstimmungssonntag wurde von der gesellschaftsliberalen „Operation Libero“ eine Debatte um eine Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für unverheiratete Paare oder alleinstehende Frauen angestossen. Die Grünliberalen forderten bereits kurz vor der Abstimmung eine Diskussion über die Eizellenspende bzw. eine Regelung für die private Samenspende.
Statt Kindeswohl staatlich verordnete Vaterlosigkeit
Angesichts dieser Forderungen nach neuen Ehe- und Familienmodellen stellt sich die Frage, warum das Kindeswohl dabei kaum Berücksichtigung findet. Wie aus der Entwicklungspsychologie hinlänglich bekannt ist, spielen Väter eine entscheidende Rolle als Bezugspersonen für Ihre Kinder. Die langfristig günstig kognitive, emotionale und soziale Entwicklung der Kinder wird durch die väterliche Warmherzigkeit begünstigt. Zudem üben Vater und Mutter durch ihre deutlichen Geschlechtsunterschiede wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der kindlichen Entwicklung aus. Auch die Ergebnisse der Bindungsforschung lassen daran keinen Zweifel: Vater und Mutter legen das Fundament für psychische Stabilität und ergänzen einander, was sowohl für den Bereich sicherer Bindung als auch für den Bereich sicherer Exploration entscheidend ist. Bei gleichgeschlechtlichen Paaren besteht von Natur aus ein grundlegendes Beziehungsdefizit – entweder in der Beziehung zum Vater oder zur Mutter.
Statt ums Kindeswohl geht es um Ideologie, um die Schwächung der traditionellen Ehe und Familie. Treffend führte das Nein-Komitee im Abstimmungskampf aus: „Die christliche Weltanschauung definiert die Ehe als Verbindung, in der ein Mann und eine Frau sich lieben und die eine stabile und liebende Umgebung für allenfalls gezeugte Kinder bilden, die bei ihren biologischen Eltern aufwachsen dürfen. Die ethischen Unklarheiten, die durch die Auflösung dieser sehr einfachen Formel entstehen, führen letztlich zu einer Auflösung der Ehe statt zu deren Stärkung.“
Mit der Annahme dieser Vorlage wird der Vater zum Samenspender degradiert: Nimmt ein lesbisches Paar eine Samenspende in Anspruch, wird der Spender behördlich hinterlegt. Mit 18 Jahren darf das Kind den Namen erfahren. Die Samenspende verwehrt den Kindern per Gesetz den Vater. Das Bild einer vaterlosen Gesellschaft wird zementiert. Aus Sicht des Kindeswohls eine systematische Ungerechtigkeit.
Leihmutterschaft und die Abschaffung der Ehe
Auch die Forderung nach Legalisierung der Leihmutterschaft sei absehbar, ist Therese Schläpfer, SVP-Nationalrätin und Gegnerin der Ehe für alle, überzeugt. Bereits haben die Jungfreisinnigen dieses vermeintliche Tabuthema gebrochen. Homosexuelle Paare werden mit dem gleichnamigen „Diskriminierungsargument“ ihren Kinderanspruch geltend machen und so rechtliche Gleichstellung mit lesbischen Paaren einfordern, was Tür und Tor für die Leihmutterschaft öffnen wird.
Dass diese Ausführungen weder übertrieben noch realitätsfremd sind, zeigt ein kurzer Blick auf das Feminismus-Papier der Schweizer Jungsozialisten von 2015. Darin wird deutlich, dass die Zulassung aller möglichen Paare und Konstellationen zur Ehe nur einen Zwischenschritt in der Strategie darstellt, die Ehe als „diskriminierende Institution“ ganz abzuschaffen. Doch dieser „Befreiung“ stehe die Institution der Ehe als „überholtes Konstrukt“ im Weg. Die Jungsozialisten lehnen dieses „auf lange Frist“ ab. Bis es soweit ist, muss die Ehe „für alle Geschlechter und Konstellationen“ geöffnet werden, so die Jungsozialisten.
Wohin gehen wir?
Wir stehen an einem Wendepunkt in unserer Familien- und Gesellschaftspolitik. Die Ehe und Familie als natürliche Verbindung zwischen Mann und Frau und Kind bildet seit jeher die Keimzelle unserer Gesellschaft. Mit diesem Dammbruch der Ehe für alle sind dem Begriff „Ehe“ keine Grenzen gesetzt. Alles ist nun möglich. An uns liegt es nun, die weitere Entwicklung der Familienpolitik wachsam zu beobachten und uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass die traditionelle Ehe nicht weiter an Bedeutung verliert, sondern gestärkt gelebt und gefördert wird und in Politik und Gesellschaft wieder ihren Stellenwert erhält, den sie verdient. Sie ist das Fundament für die gesunde Entwicklung unserer Kinder. Kinder, die sich danach sehnen mit ihrem biologischen Vater und ihrer biologischen Mutter zusammenzuleben und in diesen Beziehungen zu reifen und heranzuwachsen.
Ralph Studer ist Jurist und Vizepräsident der Stiftung Zukunft CH.