Achten Sie am 18. März darauf, wie viele blaugekleidete Menschen Sie sehen – oder kleiden Sie sich selbst blau, wenn Sie im wahrsten Sinne des Wortes Farbe bekennen möchten. Denn der 18. März ist Tag der Sensibilisierung für Trisomie 18.
Von Ursula Baumgartner
Samuels Mutter freut sich, wenn ihre Bekannten sich trauen, über Samuel zu sprechen. Er war ein Teil der Familie, genau wie ihre anderen Kinder. Und auch wenn die Zeit, die sie mit ihm verbringen durften, kurz war, möchte sie sie doch nicht missen. Samuel hatte Trisomie 18, er litt an einem Herzfehler und einer Fehlbildung des Gehirns und starb 54 Tage nach seiner Geburt.
Bei einer Trisomie ist ein Chromosom dreifach statt zweifach vorhanden. Aus diesem Grund wurde der März, der dritte Monat des Jahres, zum „Trisomy Awareness Month“ gekürt, also zu dem Monat, der auf Trisomien aufmerksam machen soll. Und je nachdem, welches Chromosom überzählig ist, bekommt die entsprechende Trisomie ein Datum im März zugeteilt: so also der 18. März für die Trisomie 18, der im englischen Sprachraum als 3/18 geschrieben wird.
Es gibt nicht nur Trisomie 21
Die bekannteste Trisomie ist die Trisomie 21, die nach dem sie beschreibenden Arzt auch als Down-Syndrom bezeichnet wird. Die Betroffene zeigen zwar Organschäden und sind geistig nur eingeschränkt entwicklungsfähig, haben heute aber gute Chancen, das Erwachsenenalter zu erreichen. Anders sieht es beim Pätau- und dem Edwards-Syndrom aus, mit Fachbegriff Trisomie 13 und Trisomie 18: die meisten dieser Kinder erleben ihren 1. Geburtstag nicht. Zu schwer sind die Fehlbildungen an Gehirn, Kopf, Nervensystem, Skelett und inneren Organen.
Prinzipiell kann es bei jedem der 23 Chromosomen des Menschen zu einer Trisomie kommen. Bei den meisten sind die daraus resultierenden Schädigungen allerdings so schwer, dass die Ungeborenen noch im Embryonalstadium sterben. Lebensfähig dagegen sind, wie erwähnt, Menschen mit Trisomie 21, aber auch mit Chromosomenabweichungen im Bereich der Geschlechtschromosomen. Hierunter fallen z.B. das Turner-Syndrom bei Frauen und das Klinefelter-Syndrom bei Männern.
Wie kommt es zu einer Trisomie?
Ursache für eine freie Trisomie ist immer die fehlerhafte Verteilung der Chromosomen in den Keimzellen eines Elternteils. Neben dieser Art gibt es allerdings noch die Mosaikform, bei der nur ein Teil der Zellen drei Chromosomen enthält, und die Translokations-Trisomie, bei der sich das überzählige Chromosom oder ein Bruchstück davon an ein anderes Chromosom angeheftet hat. Bei den beiden letztgenannten sind die Symptome meist weniger stark ausgeprägt. Heilbar sind Trisomien nicht, da sich das Problem, nämlich das zusätzliche Chromosom, in quasi jeder einzelnen Zelle befindet. Und auch wenn die Kinder mit Trisomie 13 oder 18 entgegen aller Wahrscheinlichkeit das erste Jahr überleben, werden sie nie laufen oder sprechen können, manche können nicht einmal schlucken. Der Grad an Pflege, den sie benötigen, ist also sehr hoch, Kosten und seelische Belastung ebenso.
Der „Trisomy Awareness Month“ kann dazu genutzt werden, sich einmal mit all diesen Krankheitsbildern auseinanderzusetzen und dankbar zu sein für die eigene Gesundheit und die der eigenen Kinder und Anverwandten. Sodann sollte er aber auch dazu anregen, über den Umgang mit Krankheit und Behinderung in unserer Gesellschaft nachzudenken. 90 Prozent der von Trisomie 13 oder 18 betroffenen Kinder sterben noch im Mutterleib, sagen Studien. Doch daraus geht nicht klar hervor, ob der Anteil der nach der Diagnose abgetriebenen Kinder bereits mit eingerechnet ist. Denn sehr viele Elternpaare entscheiden sich für einen Schwangerschaftsabbruch, wenn sie hören, dass ihr Kind nicht lebensfähig ist oder nur sehr kurz leben wird. Ja, es geht noch weiter: Manche Versicherungen verlangen höhere Haftpflichtbeiträge von Frauenärzten. Der Grund: Krankenkassen interpretieren die Existenz eines behinderten Kindes bisweilen als Behandlungsfehler des Arztes, da das Kind bei entsprechender Aufklärung der Eltern doch bestimmt abgetrieben worden wäre. Um sich also im Vorhinein gegen eine Klage abzusichern, machen manche Ärzte den werdenden Eltern lieber weniger Hoffnung auf Überlebenschancen des Kindes – mit der Folge, dass mehr kranke Kinder abgetrieben werden.
Entscheidung für Eltern ist eine grosse Belastung
Dass Eltern, die gerade die Diagnose einer schweren Krankheit ihres Kindes bekommen haben, vor die Wahl gestellt werden, ob sie nun die Schwangerschaft fortsetzen wollen oder nicht, sieht Samuels Mutter, Regina Neufeld, kritisch. Vielfach seien die Eltern mit dieser Frage überfordert und fühlten sich unter Druck gesetzt. Der Akt der Abtreibung eines schwerkranken Kindes ist oft nichts anderes als der verzweifelte Versuch, in einer Situation die Kontrolle zu behalten, in der man hilflos einer Diagnose ausgeliefert ist. So widersprüchlich es klingt: Aus Angst vor dem Tod des Kindes entscheidet man sich für den Tod des Kindes. Auch die Vorstellung eines Lebens mit einem behinderten Kind bringt viele Eltern an ihre Grenzen, teils weil sie zu wenig über die festgestellte Krankheit wissen, teils weil sie sich den Herausforderungen nicht gewachsen fühlen. Netzwerke, bei denen sich betroffene Familien Rat holen und austauschen können, sind hier unverzichtbar. LEONA e.V. ist ein solcher Verein für Familien mit chromosomal geschädigten Kindern. Der Verein Hope21 unterstützt gezielt Familien mit einem Down-Syndrom-Kind.
Das Leben mit einem behinderten Kind
Trotz aller Schwere beschreiben betroffene Eltern die oft kurze Zeit mit ihrem behinderten Kind als sehr bereichernd. Nicht nur Regina Neufeld sagt: „Es war schwer, aber auch wunderschön.“ Auch Wolfgang und Shabnam Arzt, deren Tochter Jaël ebenfalls mit Trisomie 18 geboren wurde und sogar 13 Jahre gelebt hat, erzählen, wie sie – bei aller Belastung und Anstrengung durch die Pflege und die Unsicherheit – mit ihrem Kind das Leben gefeiert haben und wie sie aus dieser Erfahrung nicht nur Kraft geschöpft haben, sondern auch daran gereift sind.
Und wenn der grosse Tag des Abschieds gekommen ist? „Wenn ich mich erinnere und dabei weine, ist es nichts Schlechtes.“ So offen und emotional steht Samuels Mutter auch Jahre nach dem Tod ihres kleinen Sohnes zu ihrer Trauer. Jaels Vater vergleicht den Weg des Abschieds mit der Rückkehr von einer Weltreise – „mit vielen Fotos und Erinnerungen und Erfahrungen im Gepäck“. Zusammen mit seiner Frau beschreibt er in „Umarmen und Loslassen“ das Leben mit seiner todkranken Tochter. Dass Jael also auch noch über ihren Tod hinaus Spuren hinterlassen darf, macht ihre Mutter glücklich.
Krankheit und Behinderung müssen wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft gerückt werden. Und es ist dringend notwendig, dass auch Tod und Trauer ihren Stellenwert bekommen, die ja letztlich auch durch Abtreibung eines kranken Kindes nicht beseitigt werden können. Der „Trisomy Awareness Month“ kann ein guter Anlass hierfür sein.
Mehr zu den im Artikel erwähnten Erfahrungsberichten unter:
Youtube-Video: Mein Baby hatte Trisomie 18
Youtube-Video: Diagnose Trisomie 18: Wir wollten Samuel trotzdem bekommen