Die Bilder sind bedrückend: Neugeborene in Plastikkörbchen in einem Luftschutzbunker in Kiew, eine verletzte Schwangere auf einer Trage vor einer bombardierten Geburtsklinik in Mariupol. Der Krieg in der Ukraine trifft die Bevölkerung hart. Besonders bestellte Babys von Leihmüttern, die nicht von ihren Wunscheltern abgeholt werden können, sind kürzlich in den Fokus gerückt. Welche Agenturen stehen hinter diesem Geschäft?
Von Ursula Baumgartner
„Ihre Lieferung ist im Laden eingetroffen!“ Die meisten Online-Käufer freuen sich über diesen Satz. Doch wenn die Lieferung ein kleines, schutzbedürftiges Bündelchen Mensch ist, bekommen Probleme in der Lieferkette eine ganz neue Dramatik. Laut Tagespost werden jährlich bis zu 2500 Kinder von ukrainischen Leihmüttern ausgetragen, geboren und dann an die Paare abgegeben, die sie bestellt hatten. In vielen europäischen Ländern ist die Leihmutterschaft verboten. Doch wenn Schwangerschaft und Geburt durch eine Leihmutter in einem Land verlaufen, in dem dies – wie in der Ukraine – legal ist, können Wunscheltern nach Rückkehr mit ihrem Baby rechtlich meist nicht belangt werden. Dies macht die Ukraine zu einem Eldorado für ungewollt kinderlose Paare weltweit. Dass Paare aus über 30 Ländern ihren Service nutzen, verkündet die Reproduktionsagentur „IVMED Family Agency“ denn auch gleich auf ihrer Startseite. Ob Leihmutterschaft in diesen Ländern legal ist oder nicht, scheint hierbei nebensächlich. In der Rubrik „Success Stories“ bedanken sich Paare aus verschiedenen Ländern, die mithilfe von IVMED und einer Leihmutter Eltern wurden, indirekt für die Möglichkeit, die Rechtsprechung in ihrem Land zu umgehen.
Bleibt ein Paar kinderlos, sei es, weil ein Partner unfruchtbar ist, sei es, weil es sich um ein gleichgeschlechtliches Paar handelt, scheint die Leihmutterschaft oft die letzte Hoffnung auf ein Kind. Agenturen wie BioTexCom und IVMED versprechen also betroffenen Paaren die Erfüllung ihres Traums, weswegen sich eine weitere, amerikanisch-ukrainische Agentur „Delivering Dreams“ genannt hat. Von einer potentiellen Leihmutter wird verlangt, dass sie nicht über 35 Jahre alt ist, keine kriminelle Vergangenheit hat, nicht raucht, trinkt oder andere Drogen konsumiert. Sie muss bereits mindestens ein gesundes Kind geboren haben und in ihrer Familie dürfen keine schweren Krankheiten aufgetreten sein. Die meisten ihrer Leihmütter verfügten überdies über hohe Bildung und Hochschulabschlüsse, wirbt Delivering Dreams weiter.
Die Garantie auf ein Kind
Dies sind hohe Ansprüche, gewiss. Doch entsprechend hoch sind auch die versprochenen Erfolgsraten. Mit 80-, bzw. 100-prozentiger Garantie würden Patienten Eltern, versichern die Agenturen, auch wenn dafür unbegrenzt häufig der Versuch einer künstlichen Befruchtung unternommen werden muss. Man darf sich fragen, ob hier nicht auf grausame Weise mit der Hoffnung von Eltern in spe gespielt wird, die bereit sind, Unsummen dafür zu bezahlen. Denn der Preis für ein Kind liegt insgesamt zwischen 50’000 und 100’000 Schweizer Franken. Während jedoch bei einer Kinderwunschbehandlung 93 Prozent der Embryonentransfers gelingen, kommt es nur in 33 Prozent zu einer bleibenden Schwangerschaft. Noch niedriger ist die sogenannte „Baby Take Home Rate“: Nur 23 Prozent der Eltern bringen letztlich ein Kind mit nach Hause. Doch die Grenzen der Biologie scheinen hier nicht zu gelten. Auch wirbt man damit, dass Frauen mittels Eizellenspende und Leihmutterschaft bis in ihre 60er hinein noch Mutter werden könnten. Ob dies wünschenswert für Mutter und Kind ist, sei dahingestellt.
Die Freude aller Beteiligten über eine Leihmutterschaft zeigt IVMED auf einem Bild, auf dem eine werdende Mutter ein rotes Stoffherzchen über ihren schon deutlich sichtbaren Babybauch hält. Dass hier Mutterliebe symbolisiert wird, die in einer regulären Schwangerschaft gut und wünschenswert ist, bei einer Leihmutter aber gerade eben nicht entstehen darf, da sie sich sonst wohl kaum noch von ihrem Baby trennen könnte, trägt schon grausam-ironische Züge.
Welches Paket darf’s denn sein?
Betrachtet man sodann die verschiedenen Angebote der Agenturen, fühlt man sich stark an das Bestellen eines Menüs im Restaurant oder Abschliessen eines Mobilfunkvertrages erinnert – das Rundum-Sorglos-Paket der Reproduktionsmedizin. Bei IVMED kann man zwischen sieben verschiedenen Optionen wählen: mit der eigenen Eizelle, mit einer gespendeten Eizelle, mit einem verschickten Embryo u.a. Hinzu kommen Premium-Versionen der Leihmutterschaft, die garantieren, dass letztlich ein lebendes Kind geliefert wird. Daher ist eine unbegrenzte Anzahl an künstlichen Befruchtungsversuchen gespendeter Eizellen enthalten. Diese beschränken sich bei den obigen Varianten auf ein bis zwei. Auf Wunsch ist die Premium-Version auch erhältlich mit dem Transfer eines verschickten Embryos oder einer eigenen Eizelle.
BioTexCom bietet drei Pakete mit den sprechenden Titeln „All Inclusive Standard“, „All Inclusive Standard Plus“ sowie „All Inclusive VIP“ an. Die drei unterscheiden sich zum einen im Preis – zwischen 40’000 und 65’000 Euro zahlt man für das dafür garantierte Elternglück. Hier hat man zwar auch bei der niedrigsten Kategorie bereits unlimitierte Versuche der künstlichen Befruchtung, Recht auf Präimplantationsdiagnostik und Zugang zur mehr als 800 Frauen umfassenden Kartei der Eizellenspenderinnen, doch beim Geschlecht des Babys muss man nehmen, was kommt. Bei der VIP-Variante wird auch letzteres mit in den Selektionsprozess einbezogen. Dass sich ausgerechnet die Variante mit dem höchsten Grad an Selektion „All Inclusive VIP“ nennt, lässt darauf schliessen, welchen Status man den Embryonen zubilligt. Denn da die nicht passenden im besten Falle tiefgefroren aufbewahrt, im schlimmsten Falle vernichtet werden, sind wohl nicht sie die „Very Important Persons“, um die es hier geht.
Vergleichbare „Pakete“ finden sich auch bei Delivering Dreams. Viele auf Nachwuchs hoffende Paare müssen nun eine Eizellenspenderin finden. Zusätzlich zu den meisten, die kaukasischen Ursprungs sind, stehen bei Delivering Dreams auch nicht aus dieser Region stammende Frauen zur Verfügung. In Zeiten von „Black Lives Matter“ und der heiss diskutierten Rassismusfrage darf man überlegen, ob diese Wahl nicht auch rassistische Tendenzen aufweist. Und auch die strengen Auswahlkriterien für die Leihmütter lassen diese weniger als Menschen erscheinen denn als Brutkästen, die regelmässig auf Qualität überprüft werden müssen.
Die kleinen Kriegsopfer
Abgesehen von echter Sorge um Mütter und Kinder setzt der Krieg in der Ukraine die Agenturen aber auch unter finanziellen Druck. Unzählige Babys warten in Bunkern auf ihre Bestelleltern, unzähligen Leihmüttern wird die Ausreise verwehrt, weil sie bei einer Geburt im Ausland als rechtliche Mutter des Kindes gelten würden, was die Übergabe des Babys erschweren würde. Die Agenturen bemühen sich jedoch darum, die Kontrolle zu behalten. So erklärt eine Mitarbeiterin von BioTexCom in einem Video über einen Luftschutzbunker, in dem die Babys untergebracht sind, dass sie sich hier wohlfühlen werden, da Nahrung, Decken, Kleidung und Windeln vorhanden seien: „Alles Notwendige kann getan werden.“
Das Wichtigste aber, was Neugeborene nach dem grossen „Umzug“ aus dem Mutterleib in die laute, anstrengende Welt brauchen, ist Geborgenheit und Beziehung zu ihrer Mutter, die v.a. über Körperkontakt und das Stillen aufgebaut wird. Die rein materielle Versorgung genügt nicht für einen optimalen Start ins Leben. Dass es generell für die psychische Entwicklung eines Kindes einschneidend ist, dass Herzschlag und Stimme, die sie im Mutterleib gehört haben, nicht mit denen der Bestellmutter übereinstimmen, sei hier aus Platzgründen nur noch am Rande erwähnt.
Kunden, die sich Sorgen machen um ihr bei den Agenturen eingelagertes „biologisches Material“, also gefrorene Eizellen oder Embryonen, beruhigen die Agenturen mit dem Hinweis darauf, dass alle Gefässe mit dem Material komplett mit flüssigem Stickstoff gefüllt und aus Sicherheitsgründen zum Teil ausser Landes gebracht worden seien. Und welche Eltern hören die Versicherung, ihr künftiges Kind schwimme in einem Metallgefäss bei etwa minus 200 Grad in der Slowakei, nicht gerne …
Das Wesen des Kindes
Was ist ein Kind? Je nach Situation vielleicht die Erfüllung eines Lebenstraums, eine (manchmal ungeplante) Herausforderung, ein Hoffnungsträger, romantisch betrachtet die Krönung der Liebe zwischen zwei Ehepartnern, nüchtern biologisch der Nachwuchs zweier Menschen oder ein Geschenk Gottes – ganz sicher aber keine „Ware“, kein „Produkt“ und kein „Bestellartikel“. Und das darf ein Kind auch niemals werden. Doch das Menü, mit dem künftige Eltern ihr Kind planen können, und die dramatische Lage der elternlos Neugeborenen in der Ukraine zeigt, dass man sie durch die Leihmutterschaft genau dazu degradiert.
Zukunft CH veranstaltet am 1. September 2022 von 17.30 bis 21.00 Uhr in der EMK Aarau, Effingerweg 2, einen Vortragsabend zum Thema „Kind auf Bestellung? Fortpflanzungsmedizin zwischen Machbarkeit und Kindeswohl“. Referenten sind die Bioethikerin Susanne Kummer (Wien) und der Psychologe Klaus Käppeli (St. Gallen). Mit dabei ist auch die Biologin Ursula Baumgartner, Autorin dieses Artikels und Mitarbeiterin von Zukunft CH. Anmeldung unter info@zukunft-ch.ch oder Tel. 052 268 65 00. Unkostenbeitrag (inkl. Apéro): 30 Franken.