Die künstliche Befruchtung oder assistierte Reproduktionstechnologie (ART) hat in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen, wenn es um den Kinderwunsch geht. Dabei stehen die Wünsche und Interessen der Eltern im Zentrum. Doch wie geht es dem Kind und welche Prägung nimmt es dabei mit ins Leben?
Klaus Käppeli
Kinder und Eltern, die den Weg der künstlichen Befruchtung wählen, machen andere Erfahrungen als bei einer natürlichen Zeugung und Geburt. Es ist ein sensibles und mehrschichtiges Thema, das besondere Achtsamkeit erfordert. Für Eltern, die über Jahre auf ein Kind warten und bei allen Versuchen, auf natürliche Weise schwanger zu werden, gescheitert sind, wirkt es wie eine Erlösung, wenn dank künstlicher Unterstützung eine Schwangerschaft beginnt. Das Kind ist da, der Druck scheinbar weg. Doch das trügt. Von Anfang wird der ganze Schwangerschaftsprozess in allen Bereichen beleuchtet und besprochen. Ein Weg, der üblicherweise mit vielen Emotionen und Ungewissheiten verbunden ist, wirkt zunehmend technologisch kalt und scheinbar berechenbar. Das mag aus medizinischer Sicht durchaus so sein. Auf der emotionalen Ebene kann all das, was sich in der Zeit vor der Schwangerschaft ereignet hat, nicht einfach durch die Tatsache der vorhandenen Schwangerschaft aufgefangen werden. Denken wir nur an die vielen Versuche schwanger zu werden und an die traurige Erfahrung, dass wieder ein Kind gegangen ist. Was heisst diese grosse Erwartungshaltung für das Kind? Heisst es, dass es nicht versagen, nicht verlieren und die Eltern nicht enttäuschen darf? Was heisst es, wenn es selbst verliert?
Die Angst zu versagen
Dazu ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein vierjähriges Kind, das mit In-Vitro-Fertilisation (IVF) gezeugt wurde, will mit mir Ball spielen. Es strengt sich sehr an, das Spiel zu gewinnen. Es verliert jedoch und meint dazu: „Du bist der Gewinnste.“ Es ist eine linguistische Eigenkreation, die weder die Eltern noch ich bisher von ihm gehört haben. Das Kind hat sichtlich Mühe anzunehmen, dass es verloren hat. Es scheint, als ob es mit dieser Aussage seinen Schmerz über die Niederlage etwas mildern möchte. Kinder haben oft Angst zu versagen. Die Techniken der künstlichen Befruchtung sind auf Erfolg ausgelegt. Diese Erwartungshaltung überträgt sich auch auf die Zellen, aus denen das Kind entsteht. Die Angst, dass es schief gehen könnte, und die Haltung der Mediziner, dass es machbar ist, können die Schamgefühle der Eltern verstärken. Dabei wird zu wenig bedacht, dass das Kind dies in sich aufnimmt. Das kann sich später im Leben darin zeigen, dass es glaubt, falsch oder ein Versager zu sein, wenn etwas nicht so gelingt, wie es erwartet wurde.
Die Angst vor dem Misserfolg ist den Eltern meistens nicht bewusst. Während in vielen Fällen einer natürlichen Befruchtung die Schwangerschaft durch Freude und gute Hoffnung begleitet ist, haben künstlich schwangere Eltern häufiger Angst. Aus verständlichen Gründen machen sie sich Sorgen. Wie viele der befruchteten Eizellen werden es schaffen? Ist das Kind gesund oder ist bei der Übertragung ein Defekt an der Zelle entstanden? Wurden mehrere Embryonen eingesetzt, müssen sich die Eltern oft mit dem Verlust auseinandersetzen, wenn beim ersten Ultraschall feststeht, dass nur ein Embryo lebt. Oft fehlt die Zeit, dem verstorbenen Kind einen würdigen Platz zu geben. Die Eltern setzen auf die Zuversicht, dass wenigstens ein Kind überlebt. Selbst wenn die Aufmerksamkeit dem lebenden Kind gilt, kann die Ungewissheit während Schwangerschaft und Geburt bestehen bleiben und bis in die Kindheit hineinreichen.
Die bange Frage, ob es gelingt, ist nur ein Aspekt aus verschiedenen Erfahrungen, die bei einer künstlichen Befruchtung eine Rolle spielen. In meinem Referat (s. Kasten), möchte ich den komplexen Ebenen Raum geben und wertfrei reflektieren. Das Kind und seine Eltern stehen mit ihren Erfahrungen im Mittelpunkt. Verhaltensweisen wie Einschlafstörungen, nächtliches Aufschreien, Trennungsängste oder unerklärbare Trauer müssen auf dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Kindes betrachtet werden. Wie können Eltern und ihr Kind, das auf künstlichem Weg ins Leben kommt, begleitet werden? Dabei kann uns das erstaunliche Wissen der Kinder über ihren Weg ins Leben von grossem Nutzen sein. Zu meinen Ausführungen wage ich den Lesern und Zuhörern eine Frage zu stellen: Welches muss wohl die innere Antriebskraft sein, damit eine Seele diesen herausfordernden Weg ins Leben wählt? Lassen wir uns auf mögliche Antworten ein!
Klaus Käppeli, lic.phil.I, ist Fachpsychologe für Psychotherapie FSP in St. Gallen. Der Text ist eine Vorschau auf sein Referat „Ist alles machbar – Die Reproduktionsmedizin im Erleben der Kinder“, das er am 1. September 2022 beim Vortragsabend von Zukunft CH „Kind auf Bestellung? Fortpflanzungsmedizin zwischen Machbarkeit und Kindeswohl“ in Aarau halten wird. Infos und Anmeldung über das Kontaktformular / Tel. 052 268 65 00 oder per beiliegendem Flyer.