Seit dem 1. Januar 2023 ist die Schweiz Mitglied des UNO-Sicherheitsrats. Bereits an der ersten Dringlichkeitssitzung ergriff die Schweiz Partei und äusserte sich kritisch zu Israel. Die Schweiz muss aufpassen. Eine glaubwürdige Neutralitätspolitik sieht anders aus.
Kommentar von Ralph Studer
Der neue israelische Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir hielt sich anfangs Januar 2023 auf dem Tempelberg in Jerusalem auf, worauf die arabische Welt mit scharfer Kritik antwortete und dies als massive Provokation verurteilte. Der Tempelberg ist eine heilige Stätte für Muslime, Juden und Christen und steht immer wieder im Zentrum gewalttätiger Auseinandersetzungen.
In ihrer Erklärung vor dem UNO-Sicherheitsrat äusserte die Schweizer Botschafterin Pascale Baeriswyl, dass angesichts der angespannten Lage der Besuch des neuen israelischen Sicherheitsministers bei den Moscheen Anlass zur Sorge gibt. „Solche einseitigen Aktionen drohen den Status quo auf dem Tempelberg/Haram al-Sharif zu stören und damit die gesamte Region zu destabilisieren.“ Auf kritische Anfrage des Tagesanzeigers zu Baeriswyls Aussage erklärte das Aussendepartement in Bern: „Als Mitglied des Rats nimmt die Schweiz an allen Ratssitzungen aktiv teil und bezieht Stellung.“
Unvereinbar mit der Neutralität
Während die UNO-Generalversammlung als Beratungsorgan fungiert, ist der UNO-Sicherheitsrat ein Führungsorgan. Wenn er seine Aufgabe ernst nimmt, muss er in Konflikten Partei ergreifen. „Das aber ist das Gegenteil von dem, was einem neutralen Staat auferlegt ist“, hält Alt-Botschafter Paul Widmer zutreffend fest. Eine Parteinahme gefährdet die Neutralität und verunmöglicht, dass die Schweiz ihre bewährten guten Dienste für eine Konfliktlösung zwischen den Streitparteien erbringen kann. Insofern ist die Aussage des Aussendepartements beunruhigend und zeigt auf, dass die offizielle Schweiz in Bern in der Weltpolitik aktiv mitreden will und sich zunehmend von der Neutralitätstradition der Schweiz verabschiedet. Denn eine glaubwürdige Neutralitätspolitik gebietet Einschränkungen und Schweigen, etwa bei gefährlichen Krisenherden wie im Nahen Osten. Die Schweiz kann nicht im Sicherheitsrat über andere Staaten richten und gleichzeitig darauf beharren, als neutraler Staat respektiert zu werden.
Auf die eigenen Stärken besinnen
Der UNO-Sicherheitsrat wird in den offiziellen Dokumenten der Schweiz eine wichtige Rolle für den Frieden auf der Welt zugeteilt, was einer genaueren Analyse nicht standhält. Vielmehr nehmen die fünf Vetomächte, insbesondere die USA, Russland und China ihre länderspezifischen und geostrategischen Interessen wahr. Gerade in der aktuellen Weltlage mit ihren verschiedenen Krisenherden ist die Schweizer Tradition der guten Dienste mehr denn je von eminenter Bedeutung. Es wäre dringend nötig, sich wieder auf diese historische Stärke der Schweiz zu konzentrieren und sich von illusorischen Grossmachtgelüsten zu verabschieden.