Das Ausmass der Gewalt gegen Christen hat in den letzten Jahren einen neuen Höchststand erreicht, berichtet das internationale Hilfswerk für verfolgte Christen Open Doors. Im Berichtszeitraum 1. Oktober 2021 bis 30. September 2022 des neuen Weltverfolgungsindex, der am 18. Januar publiziert wurde, wurden mindestens 5621 Christen wegen ihres Glaubens ermordet. Das sind 80 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren (3066). 5014 davon kamen allein in Nigeria ums Leben. Allgemein in Nigeria (Rang 6) und in ganz Subsahara-Afrika hat die Gewalt gegen Christen erheblich zugenommen. Von Verfolgung und Diskriminierung in hohem Mass betroffen sind Christen in 76 Ländern.
Medienmitteilung von Open Doors
Der Weltverfolgungsindex (WVI) von Open Doors erscheint jährlich seit 1993. Er zeigt die Verfolgung und Diskriminierung von Christen in den 50 Ländern auf, in denen es für sie am gefährlichsten ist, ihren Glauben zu leben und zu bekennen. Christen werden getötet oder inhaftiert, von Behörden schikaniert und systematisch benachteiligt, verprügelt, entführt, sexuell missbraucht, zwangsverheiratet oder gezwungen, ihre Heimat und ihr Land zu verlassen.
In den 30 Jahren, in denen Open Doors den Weltverfolgungsindex erstellt, hat die weltweite Ausbreitung der Verfolgung von Christen alarmierend zugenommen.
- Weltweit leiden mehr als 360 Millionen Christen aufgrund ihres Glaubens zumindest unter einem „hohen“ Mass an Verfolgung und Diskriminierung.
- Im Jahr 1993 waren Christen in 40 Ländern einem „hohen“ bis „extremen“ Mass an Verfolgung ausgesetzt. Diese Zahl hat sich mit 76 Ländern im Jahr 2023 fast verdoppelt.
- Allein in den 50 im WVI gelisteten Ländern sind 312 Millionen Christen einem „sehr hohen“ oder „extremen“ Mass an Verfolgung ausgesetzt.
- Weltweit ist heute jeder siebte Christ mindestens einem „hohen“ Mass an Verfolgung oder Diskriminierung ausgesetzt, davon jeder fünfte in Afrika, zwei von fünf in Asien und jeder 15. in Lateinamerika.
„Seit 30 Jahren können wir die Glaubwürdigkeit unseres jährlichen Berichts über die Verfolgung von Christen in der Welt unter Beweis stellen“, erklärt Philippe Fonjallaz, Leiter von Open Doors Schweiz. „Die langfristige Entwicklung bereitet uns Sorgen, denn die Verfolgung und die Verletzung der Religionsfreiheit waren noch nie so stark wie heute. Wir haben die Verantwortung, die Situation dieser Millionen von Christen, die allen Arten von Angriffen auf ihre Grundrechte ausgesetzt sind, bekannt zu machen, damit ihre Stimme gehört wird. Die Ergebnisse des Weltverfolgungsindex ermöglichen es uns auch, unsere Unterstützung gezielt auf diejenigen auszurichten, die sie am dringendsten benötigen, sei es auf geistlicher oder sozio-humanitärer Ebene oder durch Gebet. Auf diese Weise möchten wir ihnen Hoffnung und Mut vermitteln. “
Die zehn gefährlichsten Staaten für Christen – Nordkorea ist zurück auf Rang 1
Nachdem die Taliban ab August 2021 zahlreiche Christen wegen ihres Glaubens ermordet und tausende in die Flucht getrieben hatten, nahm Afghanistan auf dem WVI 2022 erstmals Rang 1 ein. Im Laufe des Jahres 2022 konzentrierten sich die Taliban verstärkt auf die Auslöschung derjenigen, die Verbindungen zum alten Regime hatten, und weniger auf die Entwurzelung der sehr kleinen Zahl der verbliebenen Christen.
Die Situation für Christen im Land ist dennoch weiterhin extrem gefährlich. Für den WVI 2023 war jedoch meist nicht erkennbar, ob die Taliban Menschen aufgrund ethnischer Zugehörigkeit oder Zusammenarbeit mit westlichen Streitkräften und NGOs ermordeten, oder weil sie Christen waren. Eindeutige Belege für Verfolgung wegen des Glaubens lagen oft nicht vor. Deshalb blieb die Zahl der dokumentierten Gewaltakte gering, entsprechend auch die Punktzahl im WVI. Dort steht Afghanistan aktuell auf Rang 9.
Das Leben vieler Christen, die in die Nachbarländer geflohen sind, ist sehr unsicher. „Unsere Lage ist verzweifelt“, berichtet Zabi, eine christliche afghanische Vertriebene. „Meiner Mutter und mir ist es gelungen, über die Grenze in ein anderes Land zu gelangen. Ich bete, dass ich dieses Land verlassen und an einen sicheren Ort gehen kann. Vielleicht muss ich untertauchen oder ich werde nach Afghanistan zurückgeschoben. Wenn das passiert, könnte ich getötet werden.“ In der Zwischenzeit sind die Taliban, die verzweifelt versuchen, das Land am Laufen zu halten, sehr daran interessiert, dass ausländische Arbeitskräfte wie Ärzte oder Ingenieure im Land tätig sind. Die Religionszugehörigkeit von Ausländern wird nicht so streng überwacht, was sich ebenfalls auf die Gesamtbewertung der Verfolgung auswirkt.
Nordkorea kehrt wieder zurück auf Rang 1, wo es – mit Ausnahme des letzten Berichtszeitraums – seit dem WVI 2002 gestanden war. Das Land erreicht mit 98 Punkten den höchsten Wert seit Beginn der Dokumentation; seit Einführung des neuen „Gesetzes gegen reaktionäres Gedankengut“ wurden mehr Hauskirchen entdeckt und Christen verhaftet. Verhaftung bedeutet Hinrichtung oder ein Leben in einem der schrecklich unmenschlichen Lager für politische Gefangene, in denen die Gefangenen fast verhungern, gefoltert werden und sexuelle Gewalt erfahren.
„Christen standen schon immer in der ersten Reihe der Angriffe des Regimes. Ihr Ziel ist es, alle Christen im Land auszurotten. In Nordkorea kann es nur einen Gott geben, und das ist die Familie Kim“, beschreibt Timothy Cho, ein nordkoreanischer Flüchtling, die verzweifelte Situation der Christen.
Nigeria und Subsahara-Afrika: Eine Katastrophe breitet sich auf dem Kontinent aus
Subsahara-Afrika steht vor einer gewaltigen humanitären Katastrophe, da eine Welle religiös motivierter Gewalt, die in Nigeria (Rang 6) ihren Ursprung hat, über die Region hinwegtost und die christliche Bevölkerung in Ländern wie Burkina Faso (23), Kamerun (45), Mali (17) und Niger (28) in alarmierendem Ausmass ins Visier nimmt. Militante islamische Kämpfer destabilisieren die gesamte Region mit extremer Gewalt. Am extremsten ist sie weiterhin in Nigeria, wo Kämpfer der Fulani, der Boko Haram, der Provinz Islamischer Staat Westafrika (ISWAP) und anderer islamistischer Gruppen christliche Gemeinschaften überfallen, töten, verstümmeln, vergewaltigen und für Lösegeld oder sexuelle Sklaverei entführen. Die Zahl der religiös motivierten Tötungen in Nigeria ist von 4650 im letzten Jahr auf 5014 gestiegen – das sind erschreckende 89 Prozent der internationalen Gesamtzahl.
Dschihadistische Gewalt ist in ganz Subsahara-Afrika alltäglich geworden, wobei 26 Länder in der Region ein sehr hohes Mass an Verfolgung aufweisen. So gibt es auch in Mosambik (32), der Demokratischen Republik Kongo (37) und anderen Ländern deutliche Anzeichen für eine Ausbreitung des Dschihadismus. Die islamistische Terrorkampagne wird durch eine tödliche Mischung aus Menschenhandel, Klimaveränderungen und einem Zustrom von Söldnern angefacht.
„Die ganze Region steuert auf eine Katastrophe zu“, erläutert Frans Veerman, Leiter von World Watch Research, der Forschungsabteilung von Open Doors. „Das Ziel des IS und mit ihm verbundener Gruppen ist es, die gesamte Region zu destabilisieren und ein islamisches Kalifat zu errichten – letztendlich auf dem gesamten Kontinent – und langfristig sind sie davon überzeugt, dass sie das erreichen können. Unterstützt werden sie dabei von anderen Islamisten, die auf eine gewaltfreie, systemische Islamisierung setzen. Es sind nicht nur die Regierungen in Afrika, die sich der wahren Natur dieser religiös motivierten Säuberung nicht stellen, sondern die Regierungen in der ganzen Welt. Der Preis für diese Verweigerung ist unkalkulierbar, nicht nur für Afrika, sondern für die ganze Welt.“
Autoritarismus in China und weiteren Ländern zielt auf vollständige Kontrolle der Kirchen
Autokratische Regime wie China (16) setzen auf völlige Kontrolle alles kirchlichen Lebens, das sie durch strenge Gesetze und ideologischen Nationalismus ersticken wollen. Ein Gesetz vom März 2022 gestattet nur noch lizenzierten und damit systemkonformen Kirchen und NGOs, religiöse Inhalte im Internet zu verbreiten. Der Zugang zu den seit der Pandemie verstärkt durchgeführten Onlinegottesdiensten sowie zu christlichen Lehrmaterialien und zur Bibel ist damit vielen Christen verwehrt. Zuwiderhandlungen werden mit hohen Haftstrafen geahndet. China war erneut das Land, in dem die meisten Kirchen und kirchlichen Einrichtungen zerstört oder geschlossen wurden. Christen treffen sich in Hauskirchen, um der Überwachung zu entgehen.
Darüber hinaus treibt China eine internationale Kampagne zur Neudefinition der Menschenrechte voran, weg von den traditionellen, allgemein anerkannten Begriffen hin zu subjektiveren „Rechten“ wie Existenzsicherung, Entwicklung und Sicherheit. (Veranschaulicht in einer Rede des chinesischen Aussenministers vor dem UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2021.)
In Indien (11) sind Christen durch Anti-Bekehrungsgesetze in mittlerweile zwölf Bundesstaaten willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt, bis zu zehn Jahre Haft sind möglich. Sogar ein landesweites Gesetz ist geplant. Im aktuellen Berichtszeitraum wurden mehr als 1700 Christen aus diesem Grund inhaftiert. Andererseits stehen Angriffe auf Christen durch radikale Hindus weiterhin auf der Tagesordnung. Häufig wiegeln sie Menschen aus dem unmittelbaren Umfeld auf, der daraus entstandene Mob greift äusserst brutal Christen an, misshandelt sie, zerstört Häuser und Geschäfte. Meist wurden jedoch weder Täter noch Anstifter bestraft.
Der zunehmende Autoritarismus von Regierungen in lateinamerikanischen Ländern zusammen mit einer immer feindseligeren Haltung gegenüber Kirchen und dem christlichen Glauben befördert Nicaragua (50) zum ersten Mal auf den Weltverfolgungsindex, aber auch in Kolumbien (22), Mexiko (38) und Kuba (27) hat sich die Situation für Christen stark verschlechtert. So werden in Nicaragua und Kuba Kirchenleiter unter Druck gesetzt und verhaftet, die Überwachung verstärkt, Registrierungen und Genehmigungen verweigert, Gebäude beschlagnahmt. In vielen Ländern Lateinamerikas hat die organisierte Kriminalität Einzug gehalten, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo Christen, die sich gegen die Aktivitäten der Kartelle aussprechen, unterdrückt werden.
Existenzkampf der Kirche im Nahen Osten
Die christliche Kirche im Nahen Osten schrumpft weiter. Sie konnte sich nach dem Aufschwung des Islamischen Staates nicht erholen, obwohl die Zahl der getöteten Christen in den letzten Jahren zurückgegangen ist (eine Ausnahme ist Syrien (12), wo es im Berichtszeitraum des WVI 2023 zu einer Welle gewalttätiger Übergriffe kam). „Das ist die Wiege des Christentums, und ein Grossteil der Kirche verliert die Hoffnung – die harte Kost der Diskriminierung und der Armut ist zu schwer zu ertragen, besonders für die jungen Menschen, die hier keine Zukunft als Gläubige sehen“, erklärt Rami Abed Al-Masih, Advocacy-Regionalleiter für den Nahen Osten und Nordafrika, die dramatische Entwicklung.
TOP 50 mit sehr hoher und extremer Verfolgung
In den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex (WVI) leben ca. 5,1 Milliarden Menschen, darunter rund 737 Millionen Christen, von denen rund 312 Millionen einem sehr hohen bis extremem Mass an Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Mittels einer Indexpunktzahl werden die Länder den Verfolgungsrubriken „extrem“ (81-100 Punkte), „sehr hoch“ (61-80 Punkte) und „hoch“ (41-60 Punkte) zugeordnet.
Top Ten im WVI 2023 (Rang im WVI 2022 in Klammern)
- Nordkorea (2)
- Somalia (3)
- Jemen (5)
- Eritrea (6)
- Libyen (4)
- Nigeria (7)
- Pakistan (8)
- Iran (9)
- Afghanistan (1)
- Sudan (13)
Der ausführliche Bericht mit detaillierten Länderprofilen, Analysen zu weltweiten Entwicklungen und der Methodik sowie Lebensberichte verfolgter Christen sind zu finden unter: Weltverfolgungsindex 2023