Kennen Sie diesen Snack-Automaten auf dem Bahnsteig, an dem man ein paar Münzen einwerfen und eine Zahlenkombination drücken kann, woraufhin er hoffentlich einen Schokoriegel freigibt? An manchen Schweizer Bahnhöfen haben diese Automaten ihr Sortiment erweitert – offenbar, um Bedürfnissen anderer Art nachzukommen.
Von Ursula Baumgartner
Stellen Sie sich vor, Sie warten auf Ihren Zug. Da Sie einen langen Arbeitstag hinter sich haben und schon hungrig sind, wollen Sie sich an dem Süssigkeiten-Automaten am Bahnsteig noch eine Kleinigkeit zur Stärkung besorgen. Doch die Auswahl überrascht Sie: Zwischen Bounty- und Marsriegeln finden sich inzwischen auch Schwangerschaftsfrühtests und Kondome. Da stellt sich die Frage: Wozu dient dieser Automat eigentlich und was repräsentiert er? Denn wenn man dieses Sortiment als Abbild gesellschaftlich geltender Prioritäten interpretiert, lässt das ziemlich deutliche Schlüsse zu.
Dass Essen ein Grundbedürfnis des Menschen ist, ist keine Neuigkeit. Und auch die Sexualität darf durchaus in diese Kategorie gezählt werden. Doch ist die Befriedigung beider Bedürfnisse gleichermassen zwingend und hat sie genauso unmittelbar zu erfolgen?
Ein Automat für alle Fälle?
Und wenn dieser kleine Automat am Bahnhof für alle grundlegenden „Notfälle“ des Menschen herhalten muss, sollte er dann nicht auch für andere Situationen gerüstet sein? Wo sind die Pflaster für den kleinen Jungen, der sich gerade das Knie aufgeschlagen hat? Wo die Taschentücher für den schnell gewachsenen Jugendlichen, der von Nasenbluten überrascht wird? Wo die Hygieneartikel für das in Teenagernöte geratene junge Mädchen, das noch kein Gespür für den eigenen Zyklus entwickelt hat?
Doch die erwähnte Auswahl lässt noch etwas anderes vermuten: dass nämlich nicht nur die „Dringlichkeit“ des Anliegens ausschlaggebend ist, sondern auch absolute Anonymität gewährleistet werden soll. Denn an diesen Automaten fällt für viele gerade jüngere Käufer auch noch die letzte Hemmschwelle weg, die es im Laden gäbe: das Gesehenwerden mit der Ware an der Kasse. So kann nun jede 14-Jährige auf der Schultoilette einen Schwangerschaftstest durchführen, ohne dass ihre Mutter oder die Apothekerin von nebenan etwas davon erfahren.
Und vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Sie sehr genau aufpassen müssen, welche Zahlenkombination Sie beim Automaten eintippen, damit nicht statt eines Snickers eine „Pille danach“ ins Ausgabefach fällt.