Am 21. April 2024 wäre Vitus Huonder 82 Jahre alt geworden. Doch diesen Geburtstag erlebte er nicht mehr. Der Altbischof von Chur erlag am 3. April 2024 in Wangs (SG) einem schweren Krebsleiden. Ein Nachruf auf das Leben eines starken, sanften Hirten.
Von Ursula Baumgartner
Vitus Huonder kam am 21. April 1942 in Trun, Kanton Graubünden, zur Welt. Nach der Matura studierte er Theologie und wurde am 25. September 1971 zum Priester geweiht. Er wirkte als Seelsorger im Pfarrdienst in Kilchberg (ZH), Sachseln (OW) und Egg (ZH). Am 8. September 2007 empfing er im Kloster Einsiedeln die Bischofsweihe und war bis zu seinem 77. Geburtstag im Jahr 2019 Bischof der Diözese Chur.
Zeitlebens war Huonder ein vielseitig interessierter und hochgebildeter Mann. So sprach er nicht nur alle vier Schweizer Landessprachen, sondern beherrschte überdies auch die lateinische, die altgriechische und die hebräische Sprache. 1973 promovierte er an der Universität Freiburg über ein alttestamentliches Thema in der jüdischen Exegese des Mittelalters. 1989 folgte die Habilitation an derselben Universität über die Rolle der Psalmen im kirchlichen Stundengebet.
Sein Einsatz für die Schöpfungsordnung, für Gottes Gebote und für Ehe und Familie brachte dem Bischof nicht nur Freunde. Mutig positionierte er sich trotzdem eindeutig z.B. gegen die Gender-Ideologie, die er als „mit dem christlichen Menschenbild im Widerspruch“ stehend bezeichnete. Im Dezember 2013 wandte er sich mit einem starken Hirtenwort gegen die „tiefe Unwahrheit“ dieser Ideologie. Zudem machte er sich für das Lebensrecht ungeborener Kinder stark. Mediale Entrüstungsstürme, die seine klare Glaubenstreue immer wieder nach sich zog, kommentierte er in einem Interview treffend: „Beliebt waren auch die Zehn Gebote nie.“
Der Präfekt der römischen Glaubenskongregation beauftragte Huonder 2015, mit der traditionell-katholischen Priesterbruderschaft St. Pius X. in Dialog zu treten. Der Kontakt zwischen Huonder und der Bruderschaft wurde daraufhin so eng, dass Huonder sich entschloss, seinen Alterssitz in Wangs (SG) aufzuschlagen. Dort unterhält die Priesterbruderschaft mit dem „Institut Sancta Maria“ eine Internatsschule.
Weggefährten beschreiben Huonder als ausgleichend, bescheiden, gütig, geduldig, offen und humorvoll. Die fünf Jahre seit Beginn seines Ruhestandes widmete er weiteren Studien und intensivem Gebet. Doch nahm er auch rege am Schul- und Internatsleben des Instituts Sancta Maria teil. Er predigte regelmässig in Schulmessen und stand Schülern wie Mitarbeitern immer für Gespräche zur Verfügung. Sogar Vertretungsstunden hielt er gelegentlich, wenn Lehrer ausfielen.
Sein Einfühlungsvermögen machte Huonder auch zu einem gefragten Beichtvater. Hochbeliebt war er wegen seiner ruhigen Art, seiner Freundlichkeit, seinem warmherzigen Humor und seinem wohlwollenden Interesse an allen Belangen. Auf die Frage, ob ihm die vielen energiegeladenen Jugendlichen um ihn herum in seinem Alter nicht zu viel seien, antwortete er gelassen: „Wenn die kleinen Schüler einmal laut sind, dann denke ich daran, dass ich auch einmal laut war.“
Eine Lehrerin des Instituts berichtet, wie tief beeindruckt die Schüler nach einem Vortrag über die Armut der Mönche auf dem Berg Athos in Griechenland waren. Diese leben ohne Strom, Autos und fliessendes Wasser. Als ein paar Schüler den Wunsch äusserten, in dieses Kloster einzutreten, vermutete Huonder schmunzelnd den Grund für die Begeisterung: „Weil sie sich dann morgens nicht waschen müssen.“
Im März 2024 wurde bei ihm eine Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert. Viele Schüler und Mitarbeiter besuchten ihn im Spital. Demütig, wie er war, zeigte er sich sogar in dieser Verletzlichkeit. Auf eigenen Wunsch kehrte er am Gründonnerstag nach Wangs zurück. Der Strom an Besuchern riss seither nicht ab.
Huonders Hoffnung war es, dass er den Schülern bis zu seinem Tod weiterhin für die Beichte zur Verfügung stehen könnte. Doch dazu kam es nicht mehr. Am frühen Nachmittag des 3. April 2024 schloss der Altbischof für immer die Augen. Mit ihm verstummt eine weise, mahnende und immer wohlmeinende Stimme. Möge Gott ihm nun all das Gute vergelten, das er getan hat, und seine Sehnsucht nach dem Himmel stillen, von der er immer wieder sprach.