Ärzteverbände in Frankreich und Finnland wehren sich vehement, Töten in ihr Berufsethos zu integrieren.
Der assistierte Suizid oder die Tötung auf Verlangen werden in der Regel als würdige und selbstbestimmte Form dargestellt, um frühzeitig aus dem Leben zu scheiden. Die Palliativmedizin steht diesem Narrativ kritisch gegenüber. Ihre Erfahrungen zeigen ein anderes Bild.
Mit Palliative Care kann viel für die Lebensqualität der Patienten getan werden. Neben der Linderung körperlicher Leiden ist es möglich, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Patienten wohl und aufgehoben fühlen. Das betont Claudia Bausewein in einem Interview, das kürzlich im Spiegel (18.05.2024) erschienen ist.
Palliativmedizin stellt den Menschen mit allen seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt
Viele Menschen hätten am Lebensende Angst vor den Schmerzen und einer möglichen unwürdigen Behandlung. Palliative Care kann diese Ängste nehmen, betont Claudia Bausewein, Präsidentin der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und Lehrstuhlinhaberin für Palliativmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier steht der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt.
Das zeigt sich von der Schmerzbehandlung über die psychosoziale Betreuung bis hin zu flexibel gestalteten Tagesabläufen. „Wenn jemand nicht in der Früh um sieben gewaschen werden will, dann eben später“. Den Tagesablauf mitbestimmen zu können, gibt den Patienten ein Gefühl von Würde und Wohlbefinden. Nachdenklich stimmt Bausewein, dass viele Patienten sagen, sie hätten bis dahin eine solche Fürsorge noch nicht erlebt.
Menschen reifen an den Herausforderungen
Trotz der Schwere der Situation gäbe es auf Palliativstationen auch viel Raum für Freude und Humor. Lachen sei genauso wichtig wie befreiendes Weinen, erzählt Bausewein aus ihrer langjährigen Erfahrung. Gerade am Lebensende beobachtet sie, wie Menschen in der Annahme und Begleitung ihrer Situation reifen und sich noch entwickeln können. Etwa, wenn trotz konfliktreicher Biografien eine Versöhnung mit sich selbst oder den Angehörigen möglich wird.
Wertvolle Empfehlungen zum Umgang mit Wunsch nach Suizidassistenz
Angesichts der Zunahme von Anfragen zur Beihilfe zum Suizid stellen sich Ärzte, Pflegende und Mitarbeiter in Hospiz- und Palliativeinrichtungen die Frage, wie sie mit Anfragen zur Suizidbeihilfe von Patienten umgehen sollen. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) hatte dazu unter Leitung von Claudia Bausewein bereits 2021 hilfreiche Empfehlungen zum Umgang mit Wunsch nach Suizidassistenz veröffentlicht.
Neben Hintergrundinformationen zur Suizidalität und Todeswünschen angesichts schwerer Erkrankungen finden Gesundheitsfachkräfte hier wertvolle Hinweise für die Praxis, was in Gesprächen zu beachten ist und wie mit Anfragen verantwortungsvoll umgegangen werden kann. Konkret rät die wissenschaftliche Fachgesellschaft Arbeitgebern und Mitarbeitern, sich verstärkt zum Thema Suizid und Suizidprävention fortzubilden.
Kommt Tötung auf Verlangen in Frankreich?
In Frankreich steht nach einer befürwortenden Stellungnahme des Nationalen Ethikausschusses (2022) und dem darauffolgenden Bürgerkonvent zum Lebensende, der sich im April 2023 für eine bedingte Legalisierung der „Sterbehilfe“ aussprach, ein Gesetzesentwurf zur Tötung auf Verlangen und assistiertem Suizid im Parlament zur Diskussion. Die Prüfung des Gesetzentwurfs soll noch vor den Europawahlen abgeschlossen werden. Ab dem 27. Mai wird der Entwurf im Parlament diskutiert. Die Abstimmung soll zwei Wochen später erfolgen.
Pflegeorganisationen und Fachärzte wurden nicht angehört
Im Vorfeld fanden Anhörungen vor dem parlamentarischen Sonderausschuss, der den Gesetzentwurf prüfen soll, statt. Ein Zusammenschluss von 13 Pflegeorganisationen und Fachgesellschaften sowie geriatrischen und psychiatrische Einrichtungen äußerte völliges Unverständnis über ihre Nicht-Einladung und forderte eine offizielle Anhörung (Gènétique, 22.04.2024). Von ihnen werde erwartet, dass sie das neue Gesetz umsetzen, ohne dass sie ihre Fachexpertise in der Gesetzeswerdung haben einbringen dürfen.
Geriater sollen Suizide mittragen, Psychiater Suizidprävention hintanstellen
Besonders besorgt äußerten sich Geriater, die laut dem Gesetzentwurf direkt in den „Sterbehilfe“-Prozess eingebunden werden sollten. Sie betonten, dass ältere Menschen angesichts der möglichen Gesetzesänderung Angst hätten, nicht angemessen behandelt oder gar getötet zu werden. Psychiater warnen, es sei irreal zwischen einem pathologischen und einem „vernünftigen“ Wunsch nach assistiertem Suizid zu unterscheiden. Sie kritisierten, dass der Entwurf darüber hinaus den Suizid als ultimative Freiheit propagiere, während sie in der Praxis darum kämpfen, Suizide zu verhindern.
Gesetzesentwurf sieht keine Gewissensfreiheit für französische Apotheker vor
In einem in Le Figaro (13.05.2024) veröffentlichten Sammelbeitrag warnten rund 60 Apotheker und Juristen vor der Verletzung des Rechts der Apotheker, im Einklang mit ihrem Berufsethos und Gewissen zu handeln. Laut dem Gesetzesentwurf sollen Apotheker einerseits in den „Sterbehilfe“-Prozess durch Herstellung und Abgabe des Tötungsmittels involviert werden, andererseits anerkennt das Gesetz für sie keine Gewissensklausel, wie sie für medizinisches Personal gilt, wegen angeblicher mangelnder direkter Beteiligung. Damit würde eine Handlung, die derzeit mit bis zu 30 Jahren Gefängnis bestraft wird, zu einer Pflicht für Apotheker werden.
Auch die finnische Ärztekammer warnt vor Wertewandel und unvorhersehbaren Entwicklungen
Die Finnische Ärztekammer betont dass es keine ärztliche Aufgabe sei, den Tod eines Patienten zu beschleunigen, sondern Leben zu schützen und Leiden zu lindern (Helsinki Times, 16.05.2024). Die Forderung einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen, die von einer Bürgerinitiative eingebracht wurde, wird derzeit im Parlament behandelt. Die Legalisierung der „Sterbehilfe“ würde einen tiefgreifenden Wertewandel mit sich bringen und zu unvorhersehbaren Entwicklungen in der medizinischen Praxis führen, kritisiert die Ärztekammer.
Mehrzahl der Palliativmediziner lehnt Tötung auf Verlangen ab
Der Stellungnahme der Finnischen Ärztekammer ging eine umfangreiche Prüfungsphase mit internationalen Vergleichen, Konsultationen und einer Umfrage voraus, an der rund 9.000 finnische Ärzte teilnahmen. Dabei zeigten sich erhebliche Meinungsunterschiede innerhalb der Ärzteschaft. Besonders Palliativmediziner stehen der Tötung auf Verlangen kritisch gegenüber und sind nicht bereit (86,5 Prozent), daran mitzuwirken.
Quelle: IMABE