Kürzlich wurde eine Umfrage zum Thema Antisemitismus in Belgien, die vor den Europawahlen vom Jonathas-Institut in Auftrag gegeben wurde, veröffentlicht. Die Zahlen sind alarmierend. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg sind antisemitische Handlungen in Belgien deutlich angestiegen, was vielen Juden Sorgen bereitet. Am stärksten betroffen ist Brüssel, wo fast jeder vierte Brüsseler eine Abneigung gegen Juden zum Ausdruck bringt. Belgien ist nur ein Beispiel dafür, wie der Antisemitismus in den europäischen Ländern eine traurige Realität geworden ist. M. Hikmat von Zukunft CH sprach mit Gerardo Raffa, Geschäftsführer der Audiatur-Stiftung sowie Redaktionsleiter bei der Plattform Audiatur-Online, die rund um Israel und den Nahen Osten berichtet.
Zukunft CH: Herr Raffa, welche Faktoren sehen Sie als Hauptursache für den weltweiten Anstieg des Antisemitismus?
Raffa: Politische Instabilität, wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Unruhen haben in vielen Teilen der Welt zu einem Sündenbockdenken geführt. Häufig werden dabei die Juden für die Probleme verantwortlich gemacht. Der Aufstieg extremistischer Bewegungen (linke, rechte und islamische) in vielen Ländern hat zu einer Zunahme antisemitischer Rhetorik und Gewalt geführt. Diese Gruppen nutzen oft antisemitische Stereotypen, um ihre politischen Ziele zu fördern. Zudem hat seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober und dem Krieg gegen den Terror in Gaza durch Israel der sogenannte israelisch-palästinensische Konflikt weltweit Auswirkungen und schürt massive antisemitische Ressentiments. Kritik an der Politik Israels schlägt dabei oft in Antisemitismus um.
Zukunft CH: Inwiefern unterscheiden sich die Formen des Antisemitismus, die wir heute erleben, von denen vergangener Jahrzehnte?
Raffa: Der heutige Antisemitismus unterscheidet sich in mehreren wichtigen Aspekten von dem vergangener Jahrzehnte. Die Verbreitung von Hass und Verschwörungstheorien ist durch Internet und soziale Medien schneller und globaler. Der Antisemitismus findet sich sowohl in rechten, linken und mittleren politischen Kreisen. Der Antisemitismus ist international vernetzter und öffentlicher, sozusagen schamlos. Durch eine massive muslimische Migration aus Regionen, in denen der Hass auf Israel und die Juden oft eine zentrale Rolle spielt, erleben wir den Judenhass nun praktisch vor unserer Haustür auf den Strassen Europas und auch in der Schweiz.
Zukunft CH: Welche Rolle spielen soziale Medien und das Internet bei der Verbreitung antisemitischer Ideologien?
Raffa: Antisemitische Propaganda verbreitete sich früher hauptsächlich über Bücher, Zeitungen, Flugblätter oder persönliche Netzwerke. Das Internet und die sozialen Medien haben die Verbreitung antisemitischer Inhalte und Ideen drastisch beschleunigt und globalisiert. Die meistens von links kommenden politischen Forderungen nach einer massiven Kontrolle und Überwachung sozialer Medien ist jedoch gefährlich, der falsche Weg und darf auf keinen Fall zugelassen werden.
Zukunft CH: Welche Massnahmen gegen den zunehmenden Antisemitismus wurden bisher in unserem Land ergriffen und wie wirksam waren sie?
Raffa: In der Schweiz wurden verschiedene Massnahmen ergriffen, um dem Anstieg des Antisemitismus entgegenzuwirken. Diese umfassen sowohl gesetzliche wie auch bildungspolitische und gesellschaftliche Ansätze. Beispielsweise hat die Schweiz Gesetze gegen Rassendiskriminierung, die auch antisemitische Handlungen umfassen. Der Holocaust ist Teil des Lehrplans in Schweizer Schulen und verschiedene Bildungsprogramme und Gedenkveranstaltungen sollen das Bewusstsein für die Geschichte und die Gefahren des Antisemitismus schärfen. Organisationen wie der Schweizerische Israelitische Gemeinde (SIG) arbeiten aktiv gegen Antisemitismus durch Aufklärung, Beratungsangebote und Dokumentation antisemitischer Vorfälle. Alles diese Massnahmen haben zwar positive Wirkungen gezeigt, doch der Antisemitismus bleibt ein ständiges Problem und durch die Migration von oft jungen Männern aus islamischen Staaten wird ein beachtlicher und teilweise auch gefährlicher Teil der Gesellschaft nicht erreicht.
Zukunft CH: Wie beeinflusst das alles das Sicherheitsgefühl und das tägliche Leben der jüdischen Gemeinschaft in unserem Land?
Raffa: Der zunehmende Antisemitismus hat in der Schweiz die jüdische Gemeinschaft dazu veranlasst, ihre Sicherheitsmassnahmen zu verstärken. Vereinzelt vermeidet man es, öffentlich erkennbare jüdische Symbole zu tragen, um nicht Ziel von Angriffen zu werden. Die ständige Bedrohung führt zu Angst und Stress, was vor allem auch das psychologische Wohlbefinden beeinträchtigt.
Zukunft CH: Welche Auswirkungen hat der steigende Antisemitismus auf den sozialen Zusammenhalt und den inneren Frieden in unserer Gesellschaft?
Raffa: Der Anstieg des Antisemitismus hat potenziell gravierende Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und den inneren Frieden in der Schweiz. Antisemitische Vorfälle und die damit verbundenen Spannungen können auch politische Instabilität fördern, was dazu führt, dass Parteien und Bewegungen, die extreme Positionen vertreten, vermehrten Zulauf erhalten.
Zukunft CH: Was sind Ihrer Meinung nach die langfristigen Folgen, wenn dem Antisemitismus nicht effektiv entgegengetreten wird?
Raffa: Ohne effektive Massnahmen gegen Antisemitismus kann das Risiko von gewalttätigen Übergriffen und sozialen Unruhen steigen, was nicht nur die direkt betroffenen Gemeinschaften, sondern die gesamte Gesellschaft in Mitleidenschaft zieht. Die jüdische Gemeinschaft hat historisch und kulturell zur Vielfalt der Schweiz beigetragen. Anhaltender Antisemitismus könnte dazu führen, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger sich entscheiden, das Land zu verlassen.
Zukunft CH: Wie können Bildung und Aufklärung zum inneren Frieden und dazu beitragen, Vorurteile und Hass in unserer Gesellschaft zu bekämpfen?
Raffa: Bildung und Aufklärung spielen eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Antisemitismus in der Schweiz und können dazu beitragen, antisemitische Vorurteile zu reduzieren und den inneren Frieden zu stärken. Solche Bildungs- und Aufklärungsansätze müssen aber langfristig und kontinuierlich durchgeführt werden, um dauerhafte Veränderungen zu bewirken. Ob der Antisemitismus jemals komplett ausgerottet werden kann, ist fraglich. Angesichts der langen Geschichte und der tief verwurzelten Natur von Antisemitismus in vielen Kulturen und Gesellschaften ist es eine grosse Herausforderung, diesen vollständig zu eliminieren.
Zukunft CH: Vielen Dank für das Gespräch!