Im November 2024 veröffentlichte der Spiegel-Bestsellerautor Raphael M. Bonelli sein neues Buch „Die Kunst des Ankommens“. In einer Welt, die immer mehr Menschen als „fremd“ erleben, zeigt der Psychiater und Neurowissenschaftler auf, was Menschen brauchen, um ganzheitlich im Leben anzukommen.

Von Regula Lehmann

„Jeder Mensch verspürt die Sehnsucht, anzukommen: an einem Ort, in einer Beziehung, in seinem Tun“, schreibt Raphael M. Bonelli über sein neues Buch. In seinem Ratgeber geht der Autor unter anderem Frage der Frage nach, warum es trotz dieser Sehnsucht vielen Menschen so schwerfällt, sich ganz auf etwas einzulassen. Bonelli skizziert einen Weg, um innere Heimat und damit auch den eigenen Platz im Leben zu finden. Und er weist auf zwölf Hindernisse hin, die den Prozess des Ankommens behindern. Im Interview mit Radio Salzburg vom 8. Dezember 2024 gibt der Wiener Bestsellerautor persönliche Einblicke in sein neues Werk.

Wer nicht weggeht, kann nicht ankommen

In seiner Praxis begegnet der Psychiater vielen Menschen, die sich nicht beheimatet oder verbunden fühlen. Die gesellschaftliche Schnelllebigkeit führt zu Atemlosigkeit und Entscheidungsschwäche. Viele Menschen halten sich permanent eine Hintertüre offen. Sich ganz in etwas zu investieren, fällt schwer: immerhin könnte es ja sein, dass sich plötzliche eine noch bessere Option auftut.

Einen wesentlichen Schritt, um im Leben und in Beziehungen anzukommen, sieht Bonelli in der Bewegung. Es braucht den Aufbruch aus der Trägheit, um den eigenen Sehnsüchten nachzuspüren. Ankommen ist laut dem erfahrenen Psychiater kein Selbstläufer. Im Leben anzukommen, hat aus seiner Sicht viel damit zu tun, sich aus festgefahrenen Mustern zu befreien und sich für neue Möglichkeiten zu öffnen. Dies gilt auch für das Ankommen im beruflichen Umfeld, das in Bonellis neuem Ratgeber ein zentrales Thema ist. Viele Menschen, die seine Praxis aufsuchen, erleben es gerade im Bereich ihrer beruflichen Tätigkeit als sehr schwierig, wirklich zu „landen“ und sich entfalten zu können.

Im Job ankommen

Arbeit ist für den Menschen essenziell wichtig. Nicht nur einen Beruf, sondern die eigene Berufung zu finden, ist elementar für ein erfülltes Leben. Einen Mehrwehrt bringt eine Tätigkeit, wenn ein Mensch spürt: „Ich möchte genau diesen Platz ausfüllen.“ Es macht Sinn, zu tun, wofür man geschaffen wurde und tatsächlich geeignet ist, auch wenn dies möglicherweise weniger Einkommen bedeutet. Weiter stellt sich die Frage nach der (gesellschaftlichen) Relevanz und Notwendigkeit einer Tätigkeit. Es geht darum, nicht nur bei der Fokussierung auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse stehenzubleiben.

Der österreichische Psychotherapeut Alfred Adler sagt, dass Menschen entweder dem eigenen Geltungsstreben folgen können oder dem Gemeinschaftsgefühl. Bonelli formuliert das so: „Frage nicht: Was bringt mir das? Sondern frage: Wo kann ich dienen? Es geht nicht nur darum, was wir wollen, sondern (auch) darum, was wir sollen.“ Dieses innere „Sollen“ entsteht aus den Werten, an denen wir uns orientieren.

Ankommen ist Entscheidungs- und Beziehungssache

Im Leben anzukommen ist ein Prozess, der stark mit den Entscheidungen zusammenhängt, die Menschen treffen. Eine zentrale Entscheidung ist dabei der Entschluss, verbindliche Beziehungen einzugehen. „Am Du wird der Mensch zum Ich“, formulierte der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber diese tiefe Wahrheit. Menschen brauchen Menschen, um zu reifen und über sich selbst hinauszuwachsen. Ein idealer Ort für diesen Prozess ist die Familie. Aber auch andere tiefergehende Beziehungen dienen diesem inneren Reifen, ohne das es kein wirkliches Ankommen geben kann.

Den eigenen Narzissmus entlarven

Wer ankommen will, muss sich der eigenen Realität stellen. In der Paarberatung fällt Bonelli auf, dass viele Menschen zwar die Schuld des Partners sehen, das eigene Versagen hingegen kaum erforschen oder anerkennen. Wer in Beziehungen ankommen will, muss jedoch fähig sein, Fehler und Schwächen in sich selbst wahrzunehmen sowie Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. Er habe „gute Erfahrungen damit gemacht, Patienten nach ihrem Eigenanteil in Konflikten oder schwierigen Beziehungssituationen zu fragen“, berichtete der Paartherapeut bereits 2019 in einem Interview mit Zukunft CH. Wer sich der eigenen Dunkelheit stellt, findet laut Bonelli zu einer gesunden Demut und wird dadurch nicht nur beziehungsfähig, sondern auch – im wahrsten Sinn des Wortes – „anziehend“.

Ein persönlicher Neubeginn und damit auch das Ankommen in einer Beziehung werden möglich, wenn Menschen am eigenen Charakter arbeiten. Menschen, die durch dieses Reifen fähig werden, sich zu binden und zu verschenken, schaffen Heimat. Es geht im Leben immer wieder darum, sich selbst zu relativieren und in den Dienst eines grösseren Ganzen zu stellen.

Relatives und absolutes Ankommen

Im Interview unterscheidet der Psychiater zwischen relativem und absolutem Ankommen. Während berufliche Tätigkeiten oder Beziehungen sich verändern können, sucht jeder Mensch nach dem, was bleibt. In allen Religionen geht es laut Bonelli letztlich um das „ewige Ankommen“. Die Fragen „Wer bin ich, wo komme ich her und wo gehe ich nach dem Tod hin?“ haben einen Einfluss auf die innere Stabilität eines Menschen. Der Blick auf die Ewigkeit hilft, das eigene Leben immer wieder auf das Wesentliche auszurichten.

Wer sich mit dem guten Leben beschäftigt, erlernt dadurch auch die Kunst des guten Sterbens. Wer weiss, wo er hingeht, braucht den Tod nicht zu fürchten. Er ist wahrhaft und für alle Ewigkeit angekommen.

Raphael M. Bonelli: Die Kunst des Ankommens – Wie wir unseren Platz im Leben finden, Edition a 2024, 336 Seiten, 39.90 CHF, ISBN 978-3-99001-747-0

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