Am 26. Januar 2025 (27. Tag des siebten Monats im islamischen Kalender Radschab) gedenken Muslime weltweit der Nacht, in der Mohammed nach islamischer Überlieferung seine Himmelsreise antrat (Lailat al-Miraj). Dieses Ereignis ist tief in der islamischen Tradition verwurzelt, wirft jedoch auch kritische Fragen auf.
Laut den islamischen Überlieferungen stieg Mohammed nach einer wundersamen Reise von Mekka nach Jerusalem in den Himmel auf. Begleitet vom Engel Gabriel, traf er in den sieben Himmelssphären Propheten wie Adam und Mose, bevor er schliesslich Allah begegnete. Dieser erlegte den Muslimen 50 tägliche Gebete auf. Auf Anraten Moses „verhandelte“ Mohammed und reduzierte diese Zahl auf fünf, die bis heute die Gebetspflicht im Islam bilden. Diese Nacht markiert die Einführung des islamischen Gebetsrituals. Diese Reise ist nicht nur ein spirituelles, sondern auch ein politisches Narrativ mit weitreichenden Konsequenzen – insbesondere im andauernden Konflikt um Jerusalem. Doch wie viel ist Geschichte, und wie viel ist Mythos?
Eine Reise zwischen Himmel und Erde
Die Überlieferung der Himmelsreise (Isra wa Miraj) schildert zwei entscheidende Etappen:
- Isra: Die nächtliche Reise Mohammeds von Mekka zur al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, begleitet vom geflügelten Reittier Buraq.
- Miraj: Den Aufstieg Mohammeds vom Tempelberg in Jerusalem in den Himmel, wo er verschiedenen Propheten begegnete und von Allah die Pflicht der fünf täglichen Gebete für die Muslime erhielt.
Der Koranvers in Sure 17:1 beschreibt das Ereignis: „Gepriesen sei der, der seinen Diener bei Nacht von der heiligen Kultstätte zur fernen Kultstätte geführt hat, deren Umgebung wir gesegnet haben, damit wir ihm etwas von unseren Zeichen zeigen.“
Während der Koran die nächtliche Reise nur vage andeutet, liefern Hadithe und spätere Kommentatoren detaillierte Berichte über Mohammeds Himmelsbegegnungen.
Islamische Gelehrte sind sich uneinig, wie und wo genau Mohammed seine Himmelfahrt antrat. Die populärste Überlieferung beschreibt den Tempelberg in Jerusalem als Ausgangspunkt, wo ein Hufabdruck des Pferdes Buraq im Felsendom zu sehen sein soll. Andere Erzählungen sprechen von einer Leiter, die Mohammed vom Dach der Kaaba (ein quaderförmiges Gebäude im Innenhof der Al-Harām-Moschee in Mekka) aus in den Himmel führte. Ob es sich bei der Himmelsreise um ein physisches Ereignis oder eine spirituelle Vision handelt, ist ebenfalls umstritten. Während einige Gelehrte von einer tatsächlichen Reise ausgehen, sehen andere sie als mystische Offenbarung. Der Koran liefert hierzu keine eindeutige Erklärung, was Raum für verschiedene Interpretationen lässt.
Jerusalem: Heiligtum oder politische Konstruktion?
Die Rolle und Bedeutung Jerusalems in der Himmelsreise Mohammeds ist zentral. Dennoch bleibt bemerkenswert, dass Jerusalem im Koran kein einziges Mal erwähnt wird – im Gegensatz zur Bibel, die die Stadt hunderte Male nennt.
Die al-Aqsa-Moschee, die als Ziel von Mohammeds nächtlicher Reise gilt, wurde zudem erst etwa 90 Jahre nach Mohammeds Tod erbaut. Eine Überlieferung, die diesen zeitlichen Widerspruch aufgreift, lautet: „O Gesandter Allahs, welche Moschee wurde zuerst auf der Erde gebaut? Er antwortete: al-Haram Moschee [in Mekka]. Danach welche? Er sagte: al-Aqsa Moschee [in Jerusalem].“ (Sunna, Bukhari Nr. 3366). In der frühen islamischen Geschichte spielte Jerusalem zunächst keine herausragende Rolle. Erst mit der Ausdehnung des islamischen Reichs und der Umayyaden-Herrschaft wurde die Stadt politisch und religiös aufgewertet. Dies wirft die Frage auf, inwieweit die Heiligung Jerusalems im Islam nachträglich konstruiert wurde. Auch die Authentizität der Überlieferungen hängt vor der Antwort auf diese Frage ab.
Der politische Anspruch Jerusalems
Die Erzählung der Himmelsreise dient im Islam politischen Zwecken. Sie verankert Jerusalem als islamischen Anspruchsort und verschärft so die religiösen Spannungen mit Judentum und Christentum.
Ein umstrittener Hadith illustriert dies: „Die letzte Stunde wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen und die Muslime sie töten, bis ein Stein oder Baum sagt: ‚Muslim, Diener Allahs, da ist ein Jude hinter mir, komm und töte ihn.‘“ (Sunna, Muslim Nr. 2922) Solche Überlieferungen befeuern den religiösen und politischen Konflikt um Jerusalem und werden bis heute in radikalen Kreisen als Rechtfertigung für Gewalt gegen Juden genutzt.
Die islamische Eschatologie (Endzeitlehre) verleiht Jerusalem eine Schlüsselrolle in zukünftigen Konflikten und bei der Errichtung einer globalen islamischen Ordnung (Kalifat). Überlieferungen berichten von einem zukünftigen Kalifen, Al-Mahdi (der geleitete), der die Stadt erobern und sie als Zentrum einer weltweiten islamischen Herrschaft (Kalifat) etablieren würde.
Zu dieser Zeit, so die Prophezeiungen, würde Jesus (Isa) auf die Erde zurückkehren, um an der Seite von Al-Mahdi gegen den Antichristen zu kämpfen. Nach dem Tod von Al-Mahdi soll Jesus die Welt als muslimischer Herrscher regieren und eine Ära des islamischen „Friedens“ einleiten.
Ein ewiges Spannungsfeld
Während in der westlichen Welt der Islam oft als „Religion des Friedens“ bezeichnet wird, hat der Begriff „Frieden“ im islamischen Kontext eine andere Bedeutung. Frieden wird nach islamischem Verständnis erreicht, wenn die gesamte Welt den Islam angenommen hat. Diese Interpretation führt zu Missverständnissen im interreligiösen Dialog, da sie oft mit westlichen Vorstellungen von Koexistenz kollidiert.
Jerusalem gleicht einem Palimpsest. Darunter versteht man ein antikes Schriftstück, das (meist aus Gründen der Sparsamkeit) abgeschabt und erneut gebraucht wurde. Die Kuppel des Jerusalemer Felsendoms strahlt golden über der Altstadt, ein Symbol des islamischen Anspruchs. Doch darunter schlummern die Trümmer des jüdischen Tempels und die Erinnerung an christliche Kreuzfahrerkirchen. Die Stadt ist ein Brennpunkt, in dem Glaube und Macht, Himmel und Erde aufeinandertreffen. Die Feier von Mohammeds Himmelsreise hebt diesen Konflikt in eine metaphysische Dimension und lässt dennoch die weltlichen Kämpfe um Land und Einfluss unberührt.
Mohammeds Himmelsreise zeigt, wie tief Islam und Politik miteinander verflochten sind. Als spirituelles Ereignis inspiriert sie Millionen von Muslimen. Doch als politisches Narrativ dient sie der Legitimation von Machtansprüchen und verschärft bestehende Konflikte. Jerusalem bleibt eine Stadt, die Gläubige verbindet und trennt. Solange spirituelle Erzählungen für politische Zwecke instrumentalisiert werden, bleibt echter Frieden in weiter Ferne.
Passend zum Thema können Sie das Infoblatt „Der islamische Traum vom Kalifat“ hier downloaden. Die Broschüre „Das Abrogationsprinzip im Islam: Grundlage der Gewalt“ kann über das Bestellformular bezogen werden (Bestellungen aus dem Ausland nur bei Übernahme des Portos).