Dass die geplante Individualbesteuerung massive Steuerungerechtigkeiten für die klassische Ehe mit Kindern schafft und verfassungswidrig ist, hat Zukunft CH kürzlich in einem Artikel dargelegt. Neben den rechtlichen Bedenken fördert ein genauerer Blick auf diese Vorlage jedoch noch weit Beunruhigenderes zu Tage.

Von Ralph Studer und Regula Lehmann

Eine Ehe beruht normalerweise auf Liebe, Mitgefühl und der Wertschätzung der Familienmitglieder um ihrer selbst willen. Zugleich begründet sie aufgrund ihrer Nähe und gegenseitigen Verantwortungsübernahme in Existenz- und Finanzfragen eine Wirtschaftsgemeinschaft.

Individualbesteuerung widerspricht der Ehe

Mit der Individualbesteuerung soll nun die Ehe als bisherige Wirtschaftsgemeinschaft aufgelöst werden. Eine bewusst von den Ehepaaren gewählte Einheit soll aufgebrochen werden. Dies widerspricht der Logik, dem Wesenskern und der Institution Ehe.

Menschen heiraten, weil sie gerade auch eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden wollen. Wer keine Wirtschaftsgemeinschaft will, muss auch nicht heiraten. Wer alleine bleiben will oder aus irgendwelchen Gründen nicht heiraten kann, wird auch nicht zur Ehe gezwungen. Weshalb soll dann die Ehe mittels Individualbesteuerung geschwächt werden? Dies ergibt keinen Sinn, ausser dann, wenn die Ehe auf lange Frist als Einrichtung letztlich ausgehöhlt und abgeschafft werden soll.

Auf dem Weg in den sozialistischen Staat

Dass die Individualbesteuerung von linken Kreisen besonders stark vertreten wird, kommt nicht von ungefähr. Werfen wir einen Blick zurück ins 19. Jahrhundert. Karl Marx und Friedrich Engels, die Begründer des Marxismus, sahen in der Abschaffung der bürgerlichen Familie und der Vergesellschaftung der Kindererziehung einen notwendigen Zwischenschritt zur Überwindung des Kapitals und des Privateigentums auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft.

Es ist deshalb nicht überraschend, dass sich vor allem die Jungsozialisten und marxistische Gruppierungen wie die „Revolutionäre kommunistische Partei“ auf die Fahne geschrieben haben, die Frau „von der heimischen Isolation“ zu befreien. Ebenso wenig überraschte die – allerdings gescheiterte – Forderung von Cédric Wermuth/SP anlässlich der Debatte vom 25. September 2024 im Nationalrat zur Individualbesteuerung, die Kinderbetreuung in die Vorlage aufzunehmen: „Familienexterne Kinderbetreuung“, so Wermuth, „wird viel entscheidender sein für die Förderung der Erwerbsarbeit.“

Dazu gehört auch, dass nach linker Manier „Care-Arbeit“ nur bei Fremdbetreuung der Kinder in KITAs Anerkennung findet, während die gleiche Arbeit von Müttern abgewertet wird. Das Ziel ist ja letztlich die „Lufthoheit über den Kinderbetten“, wie es der sozialistische Kanzler Deutschlands Olaf Scholz bereits im Jahr 2002 ausdrückte.

Hält man sich dies vor Augen, reiht sich die Individualbesteuerung nahtlos in die Forderungen von linken Kreisen nach Frauenquoten, Ganztagesschulen, einem einheitlichen und flächendeckenden Betreuungssystem und KITA-Förderung ein.

Liberale als Steigbügelhalter

Auffällig ist, dass wirtschaftsfreundliche Kreise solche linken Forderungen unterstützen bzw. im Falle der Individualbesteuerung diese sogar von den FDP-Frauen aufs Tapet gebracht wurde. Dabei wird übersehen, dass Ehe und Familie als Fundament der Gesellschaft geschwächt werden. Im Kern geht es um zutiefst sozialistische Ziele, denen die Liberalen damit zum Durchbruch verhelfen wollen: der Schwächung der Familienbindungen und der Ausdehnung des staatlichen Einflusses auf Kinder.

So tritt der Staat zunehmend an die Stelle der Eltern und übernimmt elterliche Erziehungsaufgaben. Ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem Weg in eine sozialistische Gesellschaft mit einem übermächtigen Staat und einer schwachen Position der Eltern. So wirken Liberale als Steigbügelhalter einer sozialistischen Gesellschaft. Darin liegt eine besondere Tragik.

Frauen und Mütter werden nicht ernstgenommen

Die laufenden Diskussionen verdeutlichen die fatale und bevormundende Sichtweise, dass Frauen, die sich bewusst für eine klassische Ehe entschieden haben, als zu „befreiendes Opfer“ gesehen werden. Oder wie es Volkswirtschaftsprofessorin Monika Bütler im Zusammenhang mit der Individualbesteuerung ausdrückt: „Frauen sollen nicht länger als Anhängsel begriffen werden“.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, warum man Frauen, welche diesen Weg bewusst gegangen sind, ihre Wahlfreiheit abspricht bzw. anlastet. Es scheint so, als ob nur die Frau, die eine hochprozentige Berufstätigkeit ausübt und ihre Kinder fremdbetreuen lässt, eine eigenständige, dem Mann ebenbürtige Partnerin ist. Eine Vollzeit-Hausfrau und Mutter mit oftmals ehrenamtlichen Aufgaben ist in diesem Weltbild offenbar keine „richtige“ Frau und muss von Politik und Gesellschaft zu „ihrem Wohl“ befreit werden.

Was ausgeblendet wird

Bei der Debatte um Frauen im Arbeitsmarkt werden die Interessen der Kinder hintangestellt, die Erkenntnisse der Bindungs- und Entwicklungsforschung und die Folgen für das Familienleben ausser Acht gelassen. Wer letztlich vor allem von diesen „Erwerbsanreizen“ profitiert, sind die Wirtschaft und die Vertreter einer feministischen Familien- und Gesellschaftspolitik, aber weniger die betroffenen Ehepaare, geschweige denn die Kinder.

Für die Entwicklung einer rundum stabilen Persönlichkeit ist die Qualität der frühen emotionalen Bindung entscheidend und die Mutter zentral. Aus der sicheren Bindung an sie entwickelt das Kind ein gefestigtes Selbstvertrauen, die Welt zu erkunden. Auf dieser Basis kann es Beziehungskreise erweitern und an Lebensaufgaben wie die Schule herangehen. Der renommierte Bindungsforscher und Entwicklungspsychologe Dr. Gordon Neufeld nennt dies „Bindung auf Herzensebene“. Sie ermöglicht dem Kind, „auf tiefer emotionaler Ebene alles zu erhalten, was es braucht, um zu wachsen und zu reifen“.

Welches Familienbild setzt sich durch?

Mit der geplanten Individualbesteuerung setzt die Politik ganz bewusst weitere Anreize, um Mütter möglichst früh zurück in den Arbeitsprozess zu holen. Diese Entwicklung ist politisch schon lange gewollt und eng verknüpft mit der KITA-Förderung. Damit wird auch politisch zunehmend ein Wertesystem unterstützt, das den Wert der Frau und Mutter vor allem im Arbeitsprozess sieht und die familieninterne Betreuungsarbeit abwertet.

Ein Blick auf Befürworter und Gegner verdeutlicht, dass es hier um mehr als „nur“ eine Steuervorlage geht. Es geht um einen kulturellen Konflikt zwischen konservativen und progressiven Kräften: Die Mitte, SVP, EDU und EVP bekämpfen die Individualbesteuerung, während SP, FDP, Grüne und GLP sich dafür aussprechen.

Auf lange Frist wird die Schweiz jedoch nur dann überlebensfähig sein, wenn sie die Ehe und Familie wieder als Kitt der Gesellschaft und als persönliche und wirtschaftliche Gemeinschaft anerkennt und fördert. Mit dem Entscheid über die geplante Individualbesteuerung steht die Schweiz einmal mehr an einem familienpolitischen Scheideweg.