DNA. Drei Buchstaben, hinter denen sich ein ganzes Universum verbirgt. Sie stehen für Desoxyribonukleinsäure, ein Wort, an dem Biologieschüler verzweifeln oder das sie beim Galgenmännchenspiel verwenden. Die DNA ist unsere Erbsubstanz und zudem ein Forschungsfeld, das viele Wissenschaftler nach wie vor fesselt und vor unzählige Rätsel stellt. Jedes Jahr am 25. April wird darum der Welt-DNA-Tag begangen. Begeben wir uns also auf eine Reise in unseren Zellkern und staunen!
Von Ursula Baumgartner
Nehmen Sie einen sehr dünnen Faden und schneiden ihn auf eine Länge von zwei Metern zu. Nun machen Sie daraus 46 Teile. Als nächstes basteln Sie eine winzig kleine Box mit einem Durchmesser von einem Hundertstel Millimeter. Verpacken Sie alle Fadenstücke in der Box. Bedingung: Die Fädchen dürfen weder reissen noch verknoten!
Der eingewickelte Äquator
Das geht nicht, sagen Sie? Nun, bei Ihnen hat es jemand geschafft – ob Sie es nun dem Zufall, der Evolution oder einem Schöpfergott zuschreiben. Im Kern jeder einzelnen Ihrer Zellen befindet sich DNA (oder eben Erbsubstanz) in fadenähnlicher Form. Sie ist in 46 Teile unterteilt, die man als Chromosomen bezeichnet. Aneinandergelegt ergibt der Faden insgesamt etwa zwei Meter Länge.
Der Mensch besteht aus 10 bis 100 Billionen Zellen. Eine Billion ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Aus all der DNA in unseren Zellen ergibt sich also eine Gesamtlänge von 20 bis 200 Milliarden Kilometern. Somit könnte man das DNA-Fädchen eines einzelnen Menschen bis zu fünf Millionen Mal um den Äquator wickeln.
Bauanleitung in Geheimschrift
Doch was ist eigentlich diese Erbsubstanz? Wie der Name schon sagt, bekommen wir sie von unseren Eltern vererbt und vererben sie selbst an unsere Kinder weiter. In diesem Wunderfädchen verbergen sich – verschlüsselt in einem Code – alle Informationen zu unserem Körper: Augenfarbe, Hautfarbe, Haarfarbe, Körpergrösse, Fingerabdruck, Nasenform, Stimmlage u.v.m. Die DNA enthält die Bauanleitung für Körperstrukturen wie Nerven, Knochen, Organe und Gewebe, aber auch z.B. für Hormone. Gleichzeitig tragen wir mit ihr aber auch sozusagen ein „schweres Erbe“ in uns, denn auch die Veranlagung für bestimmte Krankheiten schlummert damit in unseren Zellen.
Der Code ist geknackt!
Wie ist es möglich, dass all das in einem kleinen Faden gespeichert ist? In den 1950er Jahren kamen die Molekularbiologen James Watson und Francis Crick sowie die Chemikerin Rosalind Franklin der Antwort auf diese Frage ein gutes Stück näher. Sie erkannten, dass die DNA in Wahrheit kein einfacher Faden ist, sondern eine Art Miniatur-Strickleiter, die zunächst um die eigene Achse gewunden und dann spiralförmig aufgewickelt ist. Damit sie dabei nicht reisst oder sich verheddert, stabilisieren Proteine diese Spirale wie kleine Perlen.
Der Code ist nun in der Strickleiter versteckt. Es gibt vier verschiedene Sprossentypen in dieser Strickleiter. Man kann sie mit Farben vergleichen – rot, grün, blau und gelb. Die Reihenfolge dieser verschiedenfarbigen Sprossen enthält alle Informationen. Immer drei Sprossen stehen zusammen vereinfacht gesagt für einen Buchstaben. Beispiel: „Rot, blau, gelb“ bedeutet A, „Blau, gelb, rot“ B, „Grün, grün, gelb“ C usw. In einer Reihe gelesen, ergibt das wie bei einem Rätsel dann ein Lösungswort. Da unsere DNA mehrere Milliarden Sprossen enthält, kann man sich leicht vorstellen, dass man mit der Anzahl der „Lösungsworte“ mehrere Bücher füllen könnte!
Die Taube bei der Taufe
Der Sinn eines Satzes ändert sich zudem durch den Austausch eines einzigen Buchstaben zum Teil massiv. Auch hier ein Beispiel: „Am Sonntag feiern wir die Taufe“ oder „Am Sonntag feiern wir die Taube“. Unmittelbar stellen sich zwei völlig verschiedene Bilder vor dem inneren Auge ein (oder sogar drei, wenn man bedenkt, dass „die Taube“ sowohl ein Vogel als auch eine gehörlose Frau sein kann). Noch ein Beispiel? „Die Tante backt Kuchen“ versus „Die Tinte backt Kuchen“. Ebenso wie in diesen Sätzen kann ein „Rechtschreibfehler“ im genetischen Code zu Sinnentstellung führen. Diese äussern sich dann eventuell in Organschäden oder schweren Krankheiten.
Am Welttag der DNA sollen Menschen „mehr über Genetik und Genomforschung lernen“. Denn eines ist klar: Wir wissen noch längst nicht alles über die Erbsubstanz, die wir in jeder unserer Zellen tragen. Doch wir wissen mit Sicherheit: Es ist ein grosses Wunder im Miniaturformat.