Die Menschen haben auf allen Gebieten die Neigung, von einem Extrem ins andere zu fallen. Die Sexualität ist ein solches Gebiet, das sich von einer aus vergangenen Zeitepochen geprägten Prüderie zu einer totalen Übersexualisierung der gesamten Gesellschaft wandelte.
Nicht selten wurde früher Sexualität als ein Trieb angesehen, den es zu überwinden galt. Ihre Legitimation wurde oft nur in Verbindung mit der Zeugung von Nachwuchs gerechtfertigt. Heute gilt sie als ein Trieb, welchen es (wie im Übrigen die anderen menschlichen Triebe auch) hemmungslos, exzessiv und ohne Tabus auszuleben gilt. Sexualität ist wie das übermässige Essen und Trinken für viele zur „Fast Food“-Befriedigung geworden: billig, viel, hält nicht lange an und verlangt bald nach mehr.
Sexualität als Ware
Die globalisierte Welt wird überschwemmt mit Lesestoff, Bildern, Plakaten, Filmen und Internetbeiträgen aus der Sex-Industrie. Die Inhalte und darin präsentierten Verhaltens- und Denkmuster haben gravierende Auswirkungen auf das Gefühlserleben der Menschen. Die USA und China sind die grössten Anbieter von pornographischem Material in der Welt. Der Umsatz aus dieser Industrie in den USA allein beläuft sich jährlich auf rund 100 Milliarden US-Dollar! Bei den Chinesen ist der Umsatz etwas weniger, aber verlässliche Zahlen sind schwer zu bekommen. Der Trieb wird künstlich hochgepuscht, was wirkliche sexuelle Erfüllung in einer Beziehung zunichte macht. Ein gesundes Masshalten und die damit verbundene Orientierung und Sicherheit auf der Beziehungsebene sind verloren gegangen.
Für die Paarbeziehung bzw. für das System „Familie und Familienmodelle“ hat diese sexuelle Revolution ebenfalls bedeutsame negative Folgen. Die Fortschritte in der Fortpflanzungstechnik könnten in naher Zukunft den Aspekt der „sexuellen Beziehung“ innerhalb einer intakten Paarbeziehung sogar überflüssig machen, denn Kinder aus der Retorte sind nicht nur denkbar, sondern heute medizintechnisch durchaus realisierbar, für hetero-, aber auch homosexuelle Paare. Die Sexualität selbst wird natürlich nicht verschwinden. Wenn auch der Fortpflanzungsaspekt anscheinend immer überflüssiger wird, so ist der Lustaspekt beliebter denn je, allerdings nicht unbedingt im Kontext der Ehe. Wenn man Fernsehen und Filmen in Europa glauben will, haben alleinstehende Männer und Frauen den grössten Spass an Sex. Die Ehe verhöhnend wird sogar die Meinung verbreitet, die Ehe sei die beste Methode, um das Sexualleben zu ruinieren. Ist an dieser Meinung etwas Wahres?
Sozialwissenschaften widersprechen den Medien
Nationale Studien zum Thema Sexualität in den USA (Linda Waite, Scott Stanley, Howard Markman, Edward Laumann et. al.) zeigen ein ganz anderes Bild der Sexualität auf als die Medien. Die Ergebnisse zeigen, dass verheiratete Paare sowohl mehr als auch besseren Sex als unverheiratet Alleinstehende haben. Nur Paare, die im Konkubinat zusammenleben, haben häufiger Sex miteinander als Ehepaare, aber der Genussaspekt ist weniger stark ausgeprägt als bei verheirateten Paaren. Männer, die ohne Trauschein mit einer Partnerin leben, gaben auf den Fragebogen deutlich weniger positive Antworten zum Thema körperliche und seelische Befriedigung in der Sexualität als verheiratete Männer. Die Wissenschaftler vermuten, dass diese Unterschiede im Genussfaktor mit der Verbindlichkeit zusammenhängen. Die in der Ehe versprochene Treue bewirkt eine grössere Motivation herauszufinden, was der Partner mag, und ihm das zu geben, was ihn befriedigt.
Bei einer nationalen Befragung junger unverheirateter Erwachsener ist der Trend ebenfalls eindeutig: junge Menschen suchen tiefe, dauerhafte, verbindliche und von Treue gekennzeichneten Beziehungen. Das Bedürfnis nach seelischer Geborgenheit nimmt dabei bei den jungen Erwachsenen einen zentralen Platz ein.
Mensch sucht geistig-seelische Erfüllung
Warum sucht der Mensch letztlich auch geistig-seelische Erfüllung in der Sexualität und nicht nur Triebbefriedigung? Die Bibel nennt diese spirituelle Komponente den „Geist des Menschen, der in ihm ist“ (1. Kor. 2, 11). Dieses geistliche Element ist etwas, das zum physischen Körper hinzukommt und dem Gehirn die Macht des Verstandes gibt. Darüber hinaus gibt es im geistlichen Bereich des Menschen moralische und ethische Fähigkeiten, die Tiere nicht besitzen. Der Körper ist also sozusagen lediglich der irdische Sitz des menschlichen Geistes, welcher es ihm ermöglicht, auf dieser Welt kreativ, gestaltend und schöpferisch zu sein. Der Mensch ist nach biblischer Auffassung ein Abbild Gottes und somit mit einem in seinen Grundzügen ähnlichen Geist oder Intellekt ausgestattet, mit dem er denken, wissen und schlussfolgern kann.
Eine weitere Erklärung für die Sehnsucht nach einer geistigen nebst einer körperlichen Verbindung liegt darin, dass der Mensch durch den Schöpfer dazu aufgerufen wird, Mutter und Vater zu verlassen, um mit seiner Frau (Mann) ein Fleisch (geistig, seelisch, körperlich) zu sein“ (1. Mose 2, 24). Durch die sexuelle Gemeinschaft, an der der Geist voll beteiligt ist, entwickeln ein Mann und eine Frau nach dem Willen Gottes eine tiefe, innige Bindung im körperlichen, seelischen und geistlichen Sinn und werden „ein Fleisch“. Den Kontext für diese Gemeinschaft bildet die Ehe. Den wahren Sinn der Sexualität in der Ehe zu verstehen, gibt ihr eine Dimension der Geistigkeit. Sie erfüllt die Sehnsucht nach einer tiefen Verbindung mit einem anderen Menschen. Die geistige und lebenslange Bindung, die der Mensch nach den oben erwähnten Studien wieder im 21. Jahrhundert sucht, deutet auf eine Kehrwende hin zum ursprünglichen Plan des Schöpfers.
Rezept für eine dauerhaft erfüllte Sexualität
Eine dauerhaft erfüllte Sexualität entsteht nur durch die seelische und geistige Einheit zweier Menschen. Werte wie Hingabe, Verbundenheit, Treue, Beständigkeit und Sicherheit sind die Rahmenbedingungen hierfür. Das egoistische Streben nach eigener Erfüllung wird durch die Liebe und Hingabe zum Partner bzw. zur Partnerin umdirigiert. Nicht mehr die eigenen Bedürfnisse stehen an erster Stelle, sondern die Bedürfnisse des Partners. Sexualität kann nur wirklich auf Dauer befriedigend sein, wenn sie in einer ganzheitlich erlebten, verlässlichen und dauerhaften Liebesbeziehung eingebettet ist, in der Herz, Verstand und Körper eine Einheit bilden, wie es im Bauplan Gottes für die Ehe vorgesehen war und heute noch ist.
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Dr. Richard Keller ist verheiratet und war Psychotherapeut in eigener Praxis und Direktoriumsmitglied einer Privatklinik. Er ist Verfasser zahlreicher Beiträge in Tageszeitungen und Zeitschriften und setzt sich besonders für die Erneuerung der praktischen christlichen Ethik und Moral in Staat und Gesellschaft in Europa ein.
Von Dr. Richard Keller