Die Wellen der Finanzkrise überfluten Europa und bilden den Ausgangspunkt der Diskussionen über die Zukunft der Ökonomie auf unserem Planeten. Gewisse Kreise sehen darin den Zusammenbruch der Markt-Ideologie und Voraussagen über das Ende des Kapitalismus bestätigt. Andere, die Vertrauen in die Fähigkeit der Märkte haben, sich selbst zu regulieren, betrachten die Finanzkrise als physiologische Krise, die zu einer natürlichen Wiederanpassung der Preise führen wird.
In beiden Fällen liegt die Lösung der Probleme innerhalb unseres ökonomischen Systems, das zwischen zwei Modellen abwechselt: dem reinen Liberalismus und dem staatlichen Interventionismus. Weil nun weder der einzelne Mensch, noch der Staat, der Privatsektor und der öffentliche Sektor die Fähigkeit haben, zur Rettung Korrekturen an den beiden Systemen zu erzielen, werden „dritte Wege“ vorgeschlagen, welche beide Elemente – Staat und Markt – enthalten und bei welchen sich lediglich die Dosierung der Bestandteile ändert.
Der Gedanke, die Finanzkrise durch ein gelungenes Kombinieren von öffentlicher und privater Ökonomie, von ökonomischen Regeln und individueller Freiheit zu überwinden, ist so illusorisch, dass er verhindert, die Ursachen des Problems anzugehen. Man gibt vor, innerhalb eines Systems zu verbleiben, das in seinem Ursprung mangelhaft ist, während es doch darum geht, aus diesem Mechanismus auszubrechen und zu verstehen, dass es notwendig ist, die Wirtschaft auf Faktoren zu gründen, die unabhängig von der Ökonomie selbst sind. Die Wirtschaft wie auch die Politik oder jede andere menschliche Wissenschaft kann sich nicht als autonom und selbstverantwortlich betrachten. Die Gesellschaft, die im Dienst des allgemeinen Wohls des Menschen ist, kann nicht eine Vielzahl von separaten „Wissenschaften“ verfolgen, die kein gemeinsames Ziel aufweisen. Der Mensch und die Gesellschaft, in all ihren Ausdrucksformen, haben eine einzige Finalität: Gott selber, von dem nicht nur das ewige und absolute Glück im Himmel abhängt, sondern auch das eher relative und unvollkommene Glück hier auf Erden.
Wenn die Wissenschaft sich lossagt von Moral und Philosophie, dann erklärt sie sich selber zur Moral, zur Philosophie und oft auch zur Religion. Aus Wissenschaft wird Wissenschaftsgläubigkeit und diese hat ihre Dogmen, ihren Kult und ihre Priester. Das zeigt sich nicht nur bei den Bio- und Naturwissenschaften, sondern auch bei der Volks- und Wirtschaftswissenschaft. Lord Keynes war zweifellos der „Hohepriester“ der modernen Ökonomie, aber auch seine Kritiker haben sich oft zu einer Marktreligion inspirieren lassen, die nicht minder absolut war als jene des britischen Ökonomen.
Die Produktion von Gütern innerhalb unserer Gesellschaft – inspiriert durch einen radikalen Hedonismus – orientiert sich v.a. in Richtung eines materiellen, kurzlebigen Konsums von Gütern zu tiefem Preis. Das bedeutet den Verlust der Bereitschaft zu einem Opfer, um ein wirkliches, wenn auch erst später verfügbares Gut zu erlangen, und nicht nur ein sofort und scheinbar verfügbares Gut. Der Hedonismus vereinigt sich mit einem moralischen Relativismus, der auf der Idee einer ausserhalb jeglicher Regeln liegenden Freiheit gründet. Die Freiheit ist tatsächlich und per Definition relativ. Sie ist immer eine Freiheit eines in der Zeit und im Raum limitierten Subjekts zur Erreichung eines spezifischen Ziels, im Verhältnis zu dessen eigener Vollkommenheit. Die Freiheit ist also nicht die Möglichkeit, zwischen „gut“ und „schlecht“ zu wählen, sondern die Fähigkeit, Güter anzustreben, welche die Vernunft uns als vollkommener erscheinen lässt. Anders ausgedrückt: man verwechselt die psychologische Freiheit mit der moralischen Freiheit. Aus psychologischer Sicht kann der Mensch tun, was er will, während er aus moralischer Sicht nur frei ist, wenn er das Gute wählt.
Die Freiheit ist sogar dann relativ, wenn sie Beschränkungen erfordert, um sich auf das Ziel zu konzentrieren und es auf wirksamere Art zu erreichen. Die wirkliche menschliche Freiheit hat ihre eigene Natur, ein bestimmtes Ziel und Regeln, die befolgt werden müssen. Die Idee, dass die Beschränkung der Freiheit bedeutet, dass sie eingeschränkt wird, setzt einen falschen Freiheitsbegriff voraus: eine absolute Freiheit, für die jede Begrenzung als solche negativ ist. In der Tat: wenn die Freiheit nicht absolut ist, muss man die Begrenzung als positiven Faktor betrachten, welcher die Weiterentwicklung und die Vervollkommnung gestattet. Die Beschränkung ist somit nicht das Hindernis, sondern das Mittel, um das Ziel zu erreichen. Im ökonomischen Umfeld ist es nicht der Staat, der Beschränkungen und Regeln vorschreiben muss, sondern das Natur- und das göttliche Gesetz mit seinen Prinzipien, welche alle Gebiete der menschlichen Tätigkeit regeln. Die wirkliche moralische Freiheit des Menschen oder die einzige Begrenzung seiner psychologischen Freiheit besteht darin, die Zehn Gebote Gottes nicht zu übertreten.
Die Wirtschaftswissenschaft ist nicht für sich allein in der Lage, die ökonomischen Probleme zu lösen, denn sie ist auf einer unrealistischen Konzeption des Menschen begründet, der als reiner homo oeconomicus gesehen wird, der seines übernatürlichen Ziels beraubt ist.
„Nur das Wort Gottes begründet die ganze Realität“ hat Benedikt XVI am 6. Oktober 2008 bei der ersten Zusammenkunft der Zwölften Ordentlichen General-Versammlung der Bischofs-Synode bekräftigt. „Und um realistisch zu sein“ – fügte der Papst bei – „müssen wir tatsächlich auf diese Realität zählen. Wir müssen davon abkommen, darauf zu bauen, dass die Materie, die Dinge, die wir berühren können, die solideste und sicherste Realität sind. Am Ende der Bergpredigt spricht uns der Herr von zwei Möglichkeiten, unser Haus zu bauen: auf Sand oder auf Fels. Jener, der auf Sand baut, ist derjenige, der nur auf sicht- und fühlbare Dinge baut, auf den Erfolg, die Karriere, das Geld. Scheinbar bilden diese Dinge die wirkliche Realität. Aber all das wird eines Tages vergehen. Wir sehen es heute angesichts des Zusammenbruchs der grossen Banken: Diese Fonds verschwinden; sie sind nichts. So sind also alle diese Dinge, welche man als die wirkliche Realität betrachtet, auf die man bauen kann, Realitäten zweiter Ordnung. Jener, der sein Leben auf diese Realitäten, auf die Materie, den Erfolg, auf das Sichtbare ausrichtet, baut auf Sand. Nur das Wort Gottes ist die Grundlage für die ganze Realität: Es ist die Realität. Wir müssen also unser Konzept des Realismus ändern. Der Realist ist derjenige, der im Wort Gottes, in dieser anscheinend so schwachen Realität, die Grundlage von allem erkennt. Der Realist ist derjenige, der sein Leben auf diese Grundlage baut, welche für immer bleiben wird“.
Die Rückkehr zur Realität, der natürlichen und übernatürlichen, ist der erste Schritt aus der Krise, in der wir uns jetzt befinden. Diese Krise ist nicht nur wirtschaftlich. Sie ist politisch, kulturell, moralisch und im Wesentlichen religiös. Das zu verstehen und entsprechend zu handeln, ist der einzige Weg, um zu vermeiden, dass der gegenwärtige Sturm sich nicht bald in einen zerstörerischen Orkan verwandelt.
Quelle: Correspondance européene 190/01 Übersetzung: Zukunft CH