Das Medienmagazin PRO veröffentlichte ein Interview mit Thomas Schirrmacher, Vertreter der Weltweiten Evangelischen Allianz. Nachfolgend Auszüge daraus.
Sie haben den Papst erst kürzlich getroffen. Ist er wirklich so schwach?

Dass Papst Benedikt XVI. zwar geistig noch ganz auf der Höhe ist, sein Körper bis hin zum Sprechen tagesweise aber den Dienst versagt oder beschränkt, konnte jeder bei der dreiwöchigen Synode in Rom im Oktober letztes Jahres sehen. Ich habe ihn jüngst bei zwei Messen gesehen – das erinnerte schon stark an die letzte Zeit von Papst Johannes Paul II. Im Gespräch mit mir war er voll informiert, konnte aber nicht alleine stehen.

Waren Sie erstaunt über den Rücktritt?

Den genauen Termin kannte natürlich niemand, aber Papst Benedikt hatte ja 2010 in einem Interview unmissverständlich deutlich gemacht, dass der Papst, wenn er körperlich oder geistig nicht mehr in der Lage sei, die Kirche zu leiten, das Recht, „ja unter Umständen sogar die Pflicht“ habe, zurückzutreten. Und dass Benedikt den Weg seines Vorgängers nicht gehen würde, wusste eigentlich jeder, nur war nicht ganz klar, wie er das machen würde.

Ist es nicht viel wichtiger, dass der Papst geistig auf der Höhe ist?

Natürlich. Aber die dreiwöchige Synode war schon für einen 52jährigen Gast wie mich anstrengend, erst recht für die Synodenleitung. Der Papst hat aber parallel die normalen Geschäfte weiter geführt, viel mehr Treffen als sonst wahrgenommen und abends mehrere öffentliche Auftritte gehabt. Da haben sich schon viele gefragt, wie er das eigentlich noch hinbekommt. Auch eine Papstmesse ist schon eine körperliche Strapaze und dabei sind immer Fernsehkameras auf einen gerichtet. Entweder überlässt ein schwächer werdender Papst die Geschäfte anderen, wie es eigentlich immer gewesen ist, oder er lässt sie ruhen – wie in der Schlussphase von Johannes Paul II. Der Schritt von Benedikt ist zwar im Kirchenrecht vorgesehen, aber eben nie eingesetzt worden – Rücktritt aus Altersschwäche.

Sie haben 2002 ein Buch „Der Papst und das Leiden: Warum der Papst nicht zurücktritt“ veröffentlicht, 2005 dann in zweiter Auflage unter „Papst Johannes Paul II. und das Leiden: Warum der Papst nicht zurücktritt“. Was unterscheidet Papst Benedikt von seinem Vorgänger?

Papst Benedikt hat sein Amt eindeutig weniger sakramental verstanden als sein Vorgänger, der sein Leiden als Fortsetzung der Leiden Christi verstanden hat. In den letzten Monaten war ja spürbar, dass Benedikt vor allem die Kontrolle über den staatlichen Teil des Vatikans mehr und mehr verlor. Nun stand ihm der geistliche Teil seines Amtes als Kirchenführer und Theologe immer schon näher als der politische Teil als Staatsoberhaupt des ‚Heiligen Stuhls‘ – nicht zufällig hat er ja die politische Bedeutung und das politische Wirken des Vatikan an etlichen Stellen zurückgefahren und selbst in Deutschland in seiner Freiburger Abschiedsrede gefordert, die katholische Kirche solle sich mehr aus der Verklammerung mit der Welt lösen. Es ist ganz im Einklang damit, wie Benedikt Papst wurde und wie er das Papstamt verstand, das er es aufgibt, wenn er Führung nicht mehr garantieren kann.

Weniger sakramental?

Ja. Den Kardinälen sagte er einmal, dass ein Papst die meiste Zeit fehlbar sei. In den meisten seiner Messen und Ansprachen finden sich Hinweise darauf, dass er Fehler mache, dass Gott und die Kirche ihm vergeben mögen und er nur hoffen könne, dass Gott ihn vor Fehlentscheidungen bewahre. Das gilt selbst noch für seine kurze Rücktrittsankündigung. Das findet sich so bei Johannes Paul II. nicht. Dazu gehört der ständige Hinweis Benedikts, dass nicht er, sondern Jesus der Herr der Kirche sei.
Der Papst hat manche ungewöhnlichen Entscheidungen getroffen, die das untermauerten. So hat er das dreibändige Jesusbuch ausdrücklich als Privatmann geschrieben, der Fehler mache, die man ihm gerne schreiben könne. So etwas hat noch nie ein Vorgänger gemacht – Papstschreiben sind eigentlich immer amtliche Schreiben. Bei seinem jährlichen Schülerkreis war er nur der diskutierende Professor, der sich auch gerne protestantische Professoren zum Diskutieren einlud. Er hat Statussymbole seiner Vorgänger, vor allem solche politischer Natur wie die Kopfbedeckung, die die politische Macht symbolisierte, kurzerhand abgeschafft. Anders gesagt, im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat Papst Benedikt den Privatmann Joseph Ratzinger nie aufgegeben und da ist es nur konsequent, dass er sich jetzt auf das private Altenteil zurückzieht.

Ihre Meinung als Protestant?

1,2 Milliarden Menschen zu führen, einen, wenn auch kleinen Staat monarchisch zu verwalten, gewaltige Vermögen zu kontrollieren und als einer der wenigen Menschen pausenlos in den Medien präsent zu sein, das ist selbst für körperlich fitte Menschen kaum zu leisten. Der Papst ist eben auch nur ein Mensch und die Überhöhung seines Amtes im Papstdogma von 1870 wird mehr und mehr von der Realität eingeholt. Der Papst selbst hat den orthodoxen Kirchen vorgeschlagen, es reiche, das Papstamt in seiner Ausgestaltung vor der Kirchenspaltung von 1054 anzuerkennen. Sein Rücktritt, wenn auch vom Kirchenrecht abgedeckt, entzaubert das Amt und macht es menschlicher. Vermutlich wird es nicht der letzte Rücktritt aus Altersgründen bleiben, sondern ab jetzt die Regel werden.

Quelle: BQ 242 – Nr. 06/2013

Interview mit Dr. Thomas Schirrmacher