Wie soll das Familienrecht der Zukunft aussehen? Diese äusserst brisante Frage diskutierten gesellschaftspolitisch interessierte Kreise und Juristen am 24. Juni 2014 an der Uni Freiburg. Zur Fachtagung „Zukunft Familie“ hatte das Bundesamt für Justiz (EJPD) eingeladen.
„Verheiratete Paare sind eine Minderheit und die Realität erfordert eine liberale Gesellschaftspolitik.“ – mit dieser Falschaussage startete Justizministerin Simonetta Sommaruga die Tagung in ihrem Eingangsreferat und zeigte ihre Vision für ein künftiges Familienrecht. Viele Menschen seien alleinerziehend, wohnten in Patchwork-Haushalten oder lebten in neuen Formen von Partnerschaften ohne Eheschliessung. Eine Rechtsordnung aber solle nicht vorschreiben, wie der Einzelne zu leben hätte.
Vielfalt oder Zerfallserscheinung?
Die Justizministerin pries also die familiäre Zerstückelung als positiven Ausgangspunkt für das künftige Familienrecht, gerade so, als ob der Alleinerziehenden-Haushalt ein ebenso erstrebenswertes Ziel wäre wie die natürliche Familie mit Mutter und Vater – und als ob eine unverbindliche Elternbeziehung dem Kind ebenso viel Sicherheit geben könnte wie eine Ehe. Wer die Sache hingegen nüchtern betrachtet, erkennt, dass es zur dauerhaften Lebensgemeinschaft von Mann und Frau mit deren natürlichen Kindern keine gleichwertige Alternative gibt.
Doch die grosse Mehrheit der vom Departement Sommaruga eingeladenen Juristen sah dies anders. Selbst das im Vorfeld der Tagung weithin als skandalös kritisierte Gutachten der Basler Juristin Ingeborg Schwenzer wurde von den anwesenden Juristen grösstenteils als wertvoller Input begrüsst. Schwenzer hatte in ihrem Bericht u.a. gefordert, die Ehe – die weitgehend nur noch symbolischen Charakter haben soll – auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu öffnen sowie die obligatorische Zivilehe abzuschaffen. Familienrechtliche Folgen sollten nicht mehr an feste Institutionen gebunden sein, sondern – vereinfacht gesagt – überall dort automatisch eintreten, wo bestimmte Kriterien, z.B. eine bestimmte Beziehungsdauer, ein gemeinsames Kind oder eine finanzielle Investition in die Beziehung, gegeben sind.
Auf Kosten des Kindeswohls
Wenn aber, wie Zukunft CH in einem Schreiben an Sommaruga zu bedenken gab, nur noch faktische Lebensgemeinschaften Rechtsfolgen begründen, dann sind Polygamie und Inzest (welche Schwenzer als Optionen durchaus in Betracht zieht!) auch dann rechtlich legitimiert, wenn sie vom Gesetzgeber nicht explizit erlaubt sind. Es steht dann nämlich nichts mehr im Wege, gleichzeitig mehrere faktische Lebensgemeinschaften zu führen, die jeweils entsprechende Rechtsfolgen begründen.
Obwohl ein Drittel der Tagungszeit explizit der Stellung des Kindes im Familienrecht gewidmet war, schien es nur ganz wenige Tagungsteilnehmer zu kümmern, dass Schwenzers Patchwork-Mentalität offensichtlich nur Unverbindlichkeit, Beziehungsabbrüche und Bindungsverluste fördert. Dem Kindeswohl zum Trotz zeigte sich Schwenzer am Ende der Tagung sehr zufrieden; konnte sie die Freiburger Tagung doch als persönlichen Sieg über ihre Kritiker verbuchen, die den ganzen Tag über immer wieder als konservativ, unkundig oder gar hysterisch abqualifizierten wurden.
Widerstand aus der Romandie
Nur wenige Stimmen, grösstenteils aus der Romandie, sprachen sich entschieden für das Festhalten am Ideal der Ehe aus, und dies, ohne die Bedürfnisse von in anderen Verhältnissen lebenden Personen zu ignorieren. Suzette Sandoz (Uni Lausanne) plädierte in einem profunden und scharfsinnigen Referat für den unverzichtbaren gesellschaftlichen Wert der Ehe als dauerhafte und monogame Beziehung zwischen Mann und Frau.
Sandoz Kollege von der Uni Lausanne, Philippe Meier, hob hervor, dass es nicht Aufgabe des Familienrechts sein kann, Beliebigkeit zu legitimieren. Das Familienrecht stehe auch im Dienst der gesellschaftlichen Ordnung, für welche die Ehe nach wie vor eine wesentliche Norm darstelle. Noch immer würden 4 von 5 Kindern in einer Ehe geboren. Und entgegen Sommarugas Behauptung seien die Verheirateten in der Schweiz immer noch eine klare Mehrheit. Nach aktuellen Zahlen des BAG gehen 58.6 Prozent der Männer und 63.7 Prozent der Frauen eine Erstehe ein.
Familie als familienpolitisches Tabu
Die wichtige Frage nach dem, was eine Familie eigentlich ausmacht, wurde an der Tagung erstaunlicherweise gar nicht erst thematisiert. SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr, die mit einem 2012 eingereichten Postulat die Reformüberlegungen zum Familienrecht angestossen hatte, wertete diesen Umstand als Zeichen des Fortschritts. Familie sei eben vielfältig und überall gegeben, wo sich Menschen als Familie fühlten. Was vielleicht sympathisch klingen mag, erweist sich bei näherer Betrachtung allerdings als gefährliches Tabu. Ganz bewusst, der politischen Korrektheit wegen oder aus Angst vor der mächtigen LGBT-Lobby wurde so das irrige Dogma von der Gleichwertigkeit aller möglichen Lebensformen stillschweigend vorausgesetzt.
Insofern entsprach die Freiburger Tagung auch zu keinem Zeitpunkt den Erwartungen an eine wissenschaftliche und offene Diskussion. Die in Freiburg versammelte Juristenzunft scheint sich mit dem Justizdepartement einig zu sein, in welche Richtung die Gesellschaft gesteuert werden soll. Doch ist sie sich auch bewusst, dass die politische Durchsetzung nur nach Salamitaktik wird erfolgen können. Für die Freunde der Familie heisst es also, auf der Hut zu sein.
Von Dominik Lusser