Christliche Leiter fürchten, dass die 2000 Jahre alte Präsenz der irakischen Christenheit bald nur noch Geschichte sein könnte. Der ISIS-Dschihad treibt die Christen aus der Wiege der Christenheit. Manche flüchten innerhalb des Landes, in Kirchen in irakischen Städten. Das Hilfswerk Open Doors steht den Entkommenen bei.
Noch vor rund einem Jahrzehnt, anno 2003, beheimatete der Irak rund 1,5 Millionen Christen. Nach Jahren der Gewalt gegen diese Minderheit dürften es heute noch rund 400’000 sein. Die Zahl nimmt durch die erneuten Flüchtlingsströme rapide ab. „Wenn sich die Lage nicht ändert, bleibt von den Christen nur noch eine symbolische Präsenz im Irak zurück“, sagte der chaldäisch-katholische Bischof Louis Sako aus Bagdad kürzlich bei einem Besuch in Brüssel.
Früher flüchteten Christen nach Mosul und in die Ninive-Ebene. Vor dem ISIS-Angriff letzten Monat galt die kurdische Gegend als einigermassen sicher für Christen. Auch aus dem noch etwas sichereren Kirkuk fliehen derzeit täglich bis zu mehrere hundert Christen. Teils in andere Gebiete im Irak, teils ins Ausland. „Unsere Präsenz war ein Symbol des Friedens. Aber nun ist Panik aufgekommen und nur wenige Christen sehen noch ihre Zukunft im Irak“, erklärte Kirkuks Bischof Youssif Mirkis in Brüssel.
Bauarbeiten in der Stadt Mosul sind gestoppt worden, viele stehen ohne Arbeit da. Die Versorgungslage ist schlecht geworden. Der Zugang zu Strom und Wasser ist nicht mehr gewährleistet. Frauen werden gezwungen, Kopftücher oder Hidschab zu tragen. Auch ist ihnen nicht mehr erlaubt, ohne männliche Begleitung auf die Strasse zu gehen. Alle Friseursalons sind geschlossen worden; berichtet die assyrische Nachrichtenagentur „AINA“.
Flüchtlinge schlafen auf Kirchenboden
Das Werk Open Doors, das sich für verfolgte Christen einsetzt, gehört zu jenen, die vor Ort Nothilfe leisten. Viele Flüchtlinge mussten ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen und fanden in der Region von Erbil Zuflucht. Open Doors begann sofort mit humanitärer Hilfe durch lokale Kirchen und Partnerorganisationen. Ein einheimischer Partner berichtet: „Kurz nachdem Mosul besetzt wurde, flüchteten Menschen in unsere Kirche, sie ist überfüllt. Die Leute schlafen nicht auf Betten. Sie legen auf den Boden, was sie gerade finden können, und schlafen darauf.“ Doch sie beklagen sich nicht. Sie sind froh, der bedrohlichen Lage in und um Mosul entkommen zu sein. Eine Flüchtlingsfrau betont: „Es ist besser hier, als dort wo ich herkomme. Hier gibt es Elektrizität und Wasser. All das wurde in meiner Gegend nahe Mosul zerstört. Und insbesondere: Hier sind wir sicher.“
Zwei Nonnen wieder frei
Wie kritisch die Lage in den ISIS-Gebieten geworden ist, zeigt sich auch darin, dass am 28. Juni zwei Nonnen entführt worden waren, die ein Waisenhaus für Mädchen in Mosul führten. Erst in dieser Woche sind Schwester Outor Joseph und Schwester Meskenta, sowie zwei mit ihnen gekidnappte Frauen und ein Junge wieder freigelassen worden. Lösegeld soll keines geflossen sein. Die fünf waren verschleppt worden, als sie nach Mosul zurückgekehrt waren, um den Zustand des Klosters zu inspizieren. Zuvor hatten die Schwestern die Waisen nach Dohuk, rund sechzig Kilometer nördlich von Mosul in Sicherheit gebracht.
Schon früher im Monat zerstörten ISIS-Milizen das Grab von Jona im Osten von Mosul. Eine Stätte, die sowohl für Christen wie Muslime als heiliges Kulturerbe betrachtet wird. Für die Extremisten gilt die strenge Auslegung des islamischen Bilderverbots.
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