Eine neue repräsentative Umfrage zeigt, dass Frauen sowohl lebenslange Partnerschaft wie auch der lebenslange sexuelle Treue für besonders wichtig halten. Es ist darum befremdlich, wenn die Schweizer Jungsozialisten in ihrem neuen Feminismus-Papier zur Befreiung der Frau ausgerechnet die Abschaffung der Ehe fordern. Doch worum geht es den Jungsozialisten dann, wenn nicht um die Bedürfnisse der Frauen?

Von Dominik Lusser

Eine im Juni 2015 publizierte Studie des Zürcher Meinungsforschungsinstituts GFS zeigt: 71 Prozent der Schweizer Bevölkerung bewerten sowohl die Partnerschaft auf Lebzeiten als auch die sexuelle Treue als wichtig. Frauen messen beiden Aspekten mit je 74 Prozent Zustimmung nochmals mehr Bedeutung zu als Männer. Das erstaunt nicht, sind doch Frauen besonders in den Phasen von Schwangerschaft, Säuglings- und Kinderpflege besonders verwundbar und darum auf den Schutz einer verlässlichen Partnerschaft angewiesen. Während Staat und Gesellschaft Frauen bisher verschiedene Formen von Schutz angeboten haben, z.B. die Institution der Ehe, ignoriert die JUSO die spezifischen Bedürfnisse von Frauen einfach. Aus Sicht der JUSO wird die Frau nicht nur als Frau diskriminiert, sondern auch dadurch, dass sie Frau zu sein hat und weibliche Bedürfnisse empfindet. „Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus – kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau“, heisst es im neuen Feminismus-Papier, das die JUSO am 20. Juni 2015 in Genf beschlossen hat. Den Weg zur Befreiung sieht die JUSO im Queerfeminismus. Der Befreiung im Weg steht hingegen die Institution der Ehe. Diese soll in einer Übergangszeit „für alle Geschlechter und Konstellationen“ geöffnet und schliesslich abgeschafft werden.

Marx aus der Mottenkiste

Schon Marx und Engels hatten in der Unterdrückung der Frau durch den Mann in der Ehe den grundlegendsten Fall von Klassenunterdrückung gesehen. Die französische Marxistin und Begründerin des „konstruktivistischen“ Feminismus Simone de Beauvoir versuchte dann im 20. Jahrhundert das Frau- und Muttersein dadurch zu entwerten, dass sie es zu einem gesellschaftlichen Konstrukt erklärte: Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht! Sie forderte eine Gesellschaft, in der es keiner Frau erlaubt sein sollte, zu Hause zu bleiben und ihre Kinder grosszuziehen: „Frauen sollten diese Möglichkeit nicht haben, und zwar genau deswegen, denn hätten sie diese Möglichkeit, dann würden sie zu viele Frauen nutzen.“ Doch was dem gesunden Menschenverstand als Vergewaltigung der menschlichen Freiheit erscheint, verkauft der überzeugte Marxist als einzigen Weg zur Befreiung des Menschengeschlechts. Und wer könnte es auch besser wissen als er? Gemäss der ersten Prämisse des Marxismus geht es nicht darum, die Welt zu erkennen, sondern sie zu verändern. Der Marxist braucht sich also weder um eine ojektive Wahrheit noch um die Freiheit des Individuums zu kümmern, da für ihn beide nur Trugbild sind.

Zwangsbefreiung

„Der Staat hat einem nicht vorzuschreiben, wie man zu leben hat. Entweder wird die Institution Ehe vollständig geöffnet oder abgeschafft“, findet auch Nationalrat und Ex-Juso-Chef Cédric Wermuth. Mit seiner scheinbar liberalen, jedoch typisch marxistischen Rhetorik suggeriert er, das System oder ein ominöser gesellschaftlicher Überbau dränge die Schweizerinnen in die Ehe. Dass die Ehe eine vorstaatliche Institution ist, die einem natürlichen Bedürfnis von Frauen und Männern entspricht, liegt offensichtlich ausserhalb des ideologisch eingeengten Blickfeldes eines Neomarxisten. Sehr anschaulich wird das sozialistische Muster der „Zwangs-Befreiung“ in der Doktorarbeit der Schwyzer SP-Nationalratskandidatin und Gender-Forscherin Karin Schwiter. Diese hat untersucht, wie junge Schweizerinnen und Schweizer ihre Entscheidungen bezüglich Berufswahl und Aufgabenteilung in der Beziehung begründen. Schwiter stellt gegenüber früher eine Individualisierung der Begründungen fest: So lernt die Schweizerin heute nicht mehr einen typischen Frauenberuf und bleibt, wenn dann die Kinder kommen, zuhause, weil die Gesellschaft das von ihr erwartet. Vielmehr begründet sie diesen Entscheid heute mit ihrer persönlichen Vorliebe. Da Schwiter als gute Sozialistin mit dieser Realität aber nicht leben kann, unterstellt sie mit Hilfe der Diskursanalyse des französischen Queer-Theoretikers Michel Foucault, es sei durch die Individualisierung im Begründungsdiskurs Jugendlicher zu einer gefährlichen Immunisierung traditioneller Verhaltensmuster gekommen. Junge Leute glaubten heute, frei ihren Präferenzen zu folgen, während sie tatsächlich von verinnerlichten Stereotypen gesteuert würden, die sie einengten, aber als solche nicht durchschaut würden. Schwiter hingegen „durchschaute“ die 2012 von der SVP vorgeschlagene Steuerentlastung für die Eigenbetreuung von Kindern treffsicher als „Herdprämie“.

Neuer Staatsmarxismus

Nun könnte man über die revolutionär-schwärmerisch vorgetragenen Vorschläge der Jungsozialisten ruhig lachen, wenn die dahinterliegende Gesellschafts-Theorie nicht bis auf die höchste Ebene der Weltpolitik längst Fuss gefasst hätte, ja von dort aus mit aller Vehemenz durchgesetzt wird. Und zwar unter dem Begriff „Gender Mainstreaming“, mit dem die UNO bei der Pekinger Weltfrauenkonferenz von 1995 die Schaffung der geschlechterlosen Gesellschaft zu ihrer obersten Priorität erklärt hat. In Übereinstimmung mit Marx, Beauvoir, Schwiter und Wermuth ist auch die UN-Behörde für Frauenforschung (INSTRAW) überzeugt, dass die Frau zu ihrem Glück gezwungen werden muss: „Die praktischen Bedürfnisse von Frauen hängen in der Regel zusammen mit existierenden Geschlechterrollen, die den Frauen durch traditionelle Arbeitsteilung zugewiesen wurden.“ Ginge man aber auf diese Bedürfnisse ein, würde man nur die Arbeitsteilung reproduzieren und die Machtverhältnisse aufrechterhalten.

Der neue Marxismus ist in der EU und auch in der Schweiz längst zur Staatsdoktrin geworden: Sogenannt bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Quoten-Feminismus, Gender-Erziehung im Lehrplan 21… Die kuriose Konstellation eines vermeintlich wirtschaftsdienlichen Staats-Feminismus beschert den alten Ideen von Marx und Engels gerade einen nie geahnten Siegeszug. Warum die JUSO nicht begreifen will, dass sie durch die Zerstörung der Freiräume von Ehe und Familie Frauen und Männer gleichsam in die Fänge einer unbarmherzig profitsüchtigen Wirtschaft treibt, können wir hier nicht beantworten. Doch wo bleiben bei all dem die echt liberalen Kräfte, denen es um die Freiheit und die Bedürfnisse von Frauen und Männern geht?