Im Vergleich zu anderen Teilen des Gedächtnisses bleibt das Langzeit-Musikgedächtnis von Alzheimer-Patienten oftmals erstaunlich lange intakt und funktionsfähig. Das stellten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig fest. Diese Erkenntnis ist für Musiktherapeuten nicht überraschend.
Mit einer neuen Studie hätten die Wissenschaftler erstmals das Musikgedächtnis lokalisiert. „Dies ist die erste neurowissenschaftliche Studie, die eine anatomische Erklärung für den Erhalt des Musikgedächtnisses liefert“, erklärte Jörn-Henrik Jacobsen, Wissenschaftler am Leipziger Max-Planck-Institut und der Universität Amsterdam. Tatsächlich verliere bei den Alzheimer-Patienten das Gehirnareal, das zuvor als Langzeit-Musikgedächtnis-Gebiet lokalisiert worden war, weniger Nervenzellen als das übrige Gehirn, erläuterte Jacobsen. Auch der Stoffwechsel sinke nicht so stark ab. Das Ausmass der Amyloidablagerungen wäre ähnlich wie in anderen Gehirngebieten, führe aber nicht zu den sonst damit einhergehenden weiteren Entwicklungsstufen der Krankheit. Die Gehirnregionen des Langzeit-Musikgedächtnisses gehörten damit zu den Arealen, welche bei Alzheimer-Patienten häufig am geringsten vom Nervenzellverlust und den typischen Stoffwechselstörungen betroffen seien.
„Die Ergebnisse der Untersuchungen deuten also daraufhin, dass das Langzeit-Musikgedächtnis bei Alzheimer-Patienten im Vergleich zum Kurzzeitgedächtnis, dem autobiografischen Langzeitgedächtnis oder Sprache besser erhalten bleibt“, so Jacobsen. Deshalb funktioniere es möglicherweise auch in späteren Stadien der Krankheit noch weitestgehend.
Dieses bisher wissenschaftlich noch weitgehend unerforschte Phänomen sei für die Musiktherapie keine Überraschung, betonte die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG) in Berlin. Über 300 fachlich qualifizierte Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten in der Bundesrepublik arbeiteten seit langem mit dementen Patienten in geriatrischen und gerontopsychiatrischen Kliniken, in Pflegeheimen, aber auch in der ambulanten Versorgung in Tageskliniken oder mit Patienten in ihrer häuslichen Umgebung. In den letzten Jahren erhielten die Effekte musiktherapeutischer Verfahren aufgrund der besseren Diagnostik und der Enttabuisierung des Themas Demenz in der Gesellschaft wie in der Demenzforschung und -praxis eine besondere Aufmerksamkeit. Musiktherapie biete bereits seit langem für die häufigsten psychischen bzw. psychiatrischen Erkrankungen im Alter, etwa Depression und Altersdemenz, grundlegende Hilfen. Mit Hilfe der Musik gelinge es den Betroffenen oft, an Gedächtnisinhalte wieder anzuknüpfen, Emotionen und Eindrücke zu beleben. Manchmal könnten sie Liedzeilen mitsingen, obwohl ihnen das Sprechen sonst nahezu unmöglich geworden sei.
Ein altersdementer Patient, der die Orientierung zu sich selbst verloren habe und seinen eigenen Namen nicht mehr aussprechen könne, könne aber mühelos ein vierstrophiges Volkslied singen. „Die Erfahrung, dies noch zu können, trägt zum Identitätserhalt, zum Angstabbau und somit zu einem erheblichen Stück Lebensqualität bei“, so die DMtG. Die Emotionalität, über die Altersdemente noch sehr viel länger verfügten, als über kognitive Fähigkeiten, werde mit Hilfe vertrauter Musik und Liedern gezielt angeregt und münde nicht selten in erhöhte Wachheit und Verbalisierungsfähigkeit. Erlebnisse aus dem Altgedächtnis könnten wieder erzählt werden. Auch die äussere Beweglichkeit nehme zu, und bei der Bewegung zur Musik würden wichtige Vitalfunktionen wieder angeregt.
Mit Blick auf den steigenden Bedarf an qualifiziert ausgebildeten Fachtherapeuten und -therapeutinnen in der alternden Gesellschaft und im Zuge einer weiteren Ausdifferenzierung der Disziplin wurde an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt 2010 ein spezialisierter Master-Studiengang „Musiktherapie bei Behinderung und Demenz“ eingerichtet.
Quelle: APD