Die Advents- und Weihnachtszeit ist eine riskante Zeit für Paare. Aber auch viele weitere Ursachen können für ein Paar zu Stress führen und die Beziehung scheitern lassen. Das neue Buch «Bevor der Stress euch scheidet» des Zürcher Paartherapeuten und Psychologen Guy Bodenmann zeigt, wie Paare auch in stressreichen Zeiten ihre Liebe bewahren und gar vertiefen können. Der folgende Text beruht auf Texten aus diesem Buch.
Die Wissenschaft weiss bis heute nicht, warum Liebe entstanden ist, es gibt aber Hinweise, worunter sie leidet und wie man sie pflegen kann.
Verlorene Würze und veränderter Blick
Neues ist zunächst immer aufregend und faszinierend, Bekanntes dagegen kommt uns manchmal langweilig vor. Wir haben ein Bedürfnis nach Neuem und Abwechslung, und wenn man etwas häufig hat oder tut, verliert es mit der Zeit seinen Reiz. Dies geht uns mit allem so: mit Orten, Gegenständen, aber eben auch mit dem Partner. Dabei spielt es keine Rolle wie attraktiv, intelligent und faszinierend wir den Partner zu Beginn fanden, er ist dennoch diesem Mechanismus unterworfen. Denn Gewöhnung verändert unseren Blick: Zu Beginn finden wir fast alles toll an unserem Partner und schwelgen im Rausch der Hormone. Doch leider verliert sich diese Faszination schnell, und man beginnt ehemals positiv Bewertetes neutral oder sogar negativ zu sehen. Viele Eigenschaften fangen an zu stören und werden kritisch wahrgenommen. Man beginnt sich nach einem neuen Kick zu sehnen.
Unrealistische Erwartungen und Wegwerfmentalität
Ein weiteres Problem vieler Partnerschaften sind unrealistische und überhöhte Erwartungen. Für viele soll der Partner zuvorkommend, interessiert und unterstützend sein, gleichzeitig aber auch Freiräume lassen und die persönliche Entwicklung fördern. Die Liste der Ansprüche ist lang und dies löst Druck aus. Dabei wird das Problem oft nicht erkannt, und man ist enttäuscht vom Partner.
Besonders problematische Erwartungen sind beispielsweise, dass der Partner ja wissen müsse, wie es einem geht (ohne dass man es mitteilt), wenn er einen wirklich lieben würde. Dies ist eine nicht zu erfüllende Erwartung und macht langfristig beide Partner unglücklich. Hinzu kommt, dass wir in unserer Gesellschaft dazu tendieren, Dinge nicht zu reparieren, sondern wegzuwerfen. Diese Tendenz greift oft auf die Partnerschaft über. Denn es ist manchmal einfacher, sich zu trennen und einen neuen Partner zu suchen, anstatt für die Partnerschaft zu kämpfen.
Auswirkungen von Stress auf die Partnerschaft
Gerade unter Stress wird man vermutlich den Weg wählen, der zunächst einfacher erscheint. Allerdings ist auch die neue Partnerschaft nach dem aufregenden Anfang denselben Gesetzen unterworfen und das Problem ist langfristig nicht gelöst. Stress verstärkt aber nicht nur die «Wegwerfmentalität», sondern schränkt grundsätzlich die Ressourcen zur Partnerschaftspflege ein, die man zur Verfügung hat. Während man sich darauf konzentriert, den Stress zu bewältigen, wird die Partnerschaft hinten angestellt.
Stressoren, die von aussen kommen und erst einmal nichts mit der Partnerschaft zu tun haben, können für die Beziehung gefährlich werden: Stress am Arbeitsplatz, tägliche Widrigkeiten, wie den Bus zu verpassen, Konflikte zum Beispiel mit den Nachbarn oder eine Kombination aus verschiedenen Anforderungen. Oft reden wir uns ein, dass Belastungen nur vorübergehende Phasen sind und verlieren dabei den Partner aus dem Blick. Wir nehmen uns wenig Zeit für den Anderen, sind schnell gereizt und übersehen wichtige Signale des Partners. Wenn dieser dann ebenfalls ärgerlich und abweisend reagiert, läuft das Ganze Gefahr, zu eskalieren. Stress bleibt lange unbemerkt und greift so die Beziehung unbewusst und über einen längeren Zeitraum an. Räumt man der Beziehung zu wenig Wichtigkeit ein zugunsten von Alltagsanforderungen, beginnt man, nebeneinander her zu leben.
Stress ist ein Beziehungs- und Lustkiller
Stress ist somit ein Beziehungskiller und beeinträchtigt auch massgeblich die Sexualität: Frauen haben unter Stress meistens weniger Lust auf Sexualität, da sie zu sehr mit der stressigen Situation beschäftigt sind, Männer hingegen nutzen die Sexualität als Ventil, um ihren Stress abzubauen und sich zu entspannen.
Um der Gewöhnung an den Partner entgegenzuwirken, wäre es wichtig, sich immer wieder um eine positive Sicht auf den Partner zu bemühen. Was nimmt man als zu selbstverständlich hin, was eigentlich sehr schön ist? Weiterhin sollte die Partnerschaft genauso wichtig genommen werden wie andere Bereiche des Lebens. Dies bedeutet auch, die Partnerschaft aktiv zu pflegen. Jeder Partner sollte sich um schöne gemeinsame Erlebnisse bemühen und dabei auch möglichst kreativ sein. Einem Partner allein gehen dabei schnell die Ideen und die Energie aus.
Die Partnerschaft ist für die meisten Menschen eine wichtige Ressource, und auch Stress kann mithilfe des Partners bewältigt werden. Der erste Schritt bei Stress ist zwar, das Belastende selbstständig zu bewältigen; aber handelt es sich um ein Thema, das einen stärker belastet, kann der Partner einen bei der Bewältigung unterstützen.
Die Rolle der Selbstöffnung
Berichtet man stressreiche Ereignisse, ist es wichtig, sich selbst zu öffnen, d.h. auch über Gefühle und die (enttäuschten) Bedürfnisse zu sprechen, die hinter den Ereignissen stehen. Dadurch kann der andere besser nachvollziehen, weshalb der Vorfall so belastend war, und er kann besser darauf eingehen und die Unterstützung anbieten, die man wirklich braucht. Stressabbau als Einzelperson und als Paar ist auch Teil der Pflege der Sexualität: Denn Zeit und Musse zu haben und entspannen zu können sind für die meisten Menschen günstige Rahmenbedingungen, um sich fallenlassen und Sex geniessen zu können. Durch gegenseitige Unterstützung und persönliche Gespräche werden Nähe und emotionale Intimität gefördert, die in der Regel ebenfalls wichtige Voraussetzungen für Sexualität sind.
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Buchhinweis:
Guy Bodenmann, Bevor der Stress uns scheidet – Resilienz in der Partnerschaft (2015).
http://www.familieistzukunft.ch