Was haben Ekliges, Verbotenes, „Lack und Leder“ oder SM-Handschellen mit Gesundheitsförderung zu tun? Geht es nach dem nationalen Kompetenzzentrum éducation21, ist sexuelle „Verwirrung“ und „Verstörung“ die geeignete Methode, um Selbstbestimmung und Gesundheit zu fördern.
Von Dominik Lusser
éducation21 ist von Bund und Kantonen beauftragt, die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an Schweizer Schulen zu fördern. Zum Weltgesundheitstag vom 7. April 2016 empfiehlt die Stiftung nun ausgerechnet das Skandalbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ als Unterrichtstipp für die Sekundarschule. Mit Gesundheitsförderung und Prävention hat das aber nichts zu tun. Namhafte Experten bezeichnen das Buch mit dem sympathischen Namen zurecht selbst als übergriffig. Die Kantone stehen in der Pflicht, éducation21 genauer auf die Finger zu schauen.
Gesundheit ist ein wichtiger Aspekt gesellschaftlicher Nachhaltigkeit. Und auch der Zusammenhang von Selbstbestimmung und Gesundheit liegt, wenn wir z.B. an die weibliche Genitalverstümmelung denken, auf der Hand. Das Methodenbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“, das neuerdings bei éducation21 ausgeliehen und bestellt werden kann, hat jedoch mit Gesundheitsförderung nichts zu tun. Die Stiftung schreibt zwar: Das Buch „trägt der gegenwärtigen Vielfalt an Beziehungsformen und Lebensweisen Rechnung“. Und es biete die Möglichkeit, „Sexualpädagogik mit interkulturellem Lernen zu verknüpfen.“ Doch ein Blick ins Buch zeigt, dass die Autoren weder die gebührende Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten, noch interkulturelle Sensibilität zum Ziel haben. Im Gegenteil sollen nach der radikalsten Gender-Theorie die Geschlechtsidentität hinterfrag und die Sexualität aus den für Schüler gewohnten und vertrauten Lebens- und Liebeszusammenhängen herausgerissen werden.
Als Methode wollen die Autoren von „Sexualpädagogik der Vielfalt“ explizit „Verwirrung“ und „Veruneindeutigung“ (S. 40) angewendet wissen. Ziel der Sexualpädagogik könnte zudem „im Verstören, im Aufzeigen verschiedener Identitätsmöglichkeiten und im Schaffen neuer Erlebnisräume liegen.“ (S. 90) In einer Übung ersteigern 14-Jährige für das Liebesleben verschiedener Paarkonstellationen, z.B. zweier Lesben oder eines heterosexuellen Rentnerpaares, Gegenstände wie Dildo, Handschellen, „Lack und Leder“ und Vaginalkugeln. (S. 51) In einer weiteren Übung soll ein „Puff für alle“ (S. 75) eingerichtet werden, in dessen Räumen jede sexuelle Vorliebe auf ihre Rechnung kommt. In „Galaktischer Sex“ sollen 15-jährige Schüler alle ihnen bekannten Bezeichnungen für sexuelle Praktiken nennen: „Die Jugendlichen werden ermutigt, auch scheinbar Ekliges, Perverses und Verbotenes zu nennen.“ In Kleingruppen erfinden sie sodann galaktische Sexpraktiken, die auf der Erde unbekannt sind. „Sie überlegen, wer welchen Sex wann, wie, mit wem, unter Verwendung welcher Hilfsmittel hat.“ (S. 126) „Wo könnte der Penis sonst noch stecken?“ (S. 39) dient – wie es schon im Vorwort heisst – als Kontrollfrage für genügende Berücksichtigung sexueller „Vielfalt“.
Politische Instrumentalisierung
Eine wachsende Anzahl Experten sieht in der ideologisch geprägten Sexualpädagogik, die im deutschsprachigen Raum durch ein Meinungskartell um den Kieler Sexualpädagogen Uwe Sielert bestimmt wird, eine Gefahr für Jugendliche. Die Präventionsexpertin Tabea Freitag schreibt in ihrem Bestseller „Fit for Love“, der 2013 mit dem Gesundheitspreis der Barmer GEK ausgezeichnet wurde: „Diese Sexualpädagogik der Vielfalt trägt in erster Linie die Handschrift politisch motivierter Interessensgruppen und hat entwicklungspsychologische Fragestellungen kaum mehr im Blick.“ Und Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, warnt: „Weltweit wird verstärkt politisch Druck gemacht, eine überall wahrgenommene, ‚diskriminierende Heteronormativität‘ durch eine ‚Sexualpädagogik der Vielfalt‘ zu bekämpfen und das individuelle Lustprinzip zur allgemeinen Basis der Sexualpädagogik zu machen.“ Elisabeth Tuider und Stefan Timmermanns, die Autoren von „Sexualpädagogik der Vielfalt“, gehören zum engen Schülerkreis Sielerts. Dank seines massgeblichen Einflusses auf die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln und das WHO-Regionalbüro Europa drängt Sielert seine Auffassung von Sexualpädagogik mittlerweile einem ganzen Kontinent auf. Auch die Schweiz ist davon zunehmend beteroffen. Die 2011 veröffentlichten „WHO-Standards für Sexualpädagogik in Europa“, die nun versehen mit dem Label der UNO überall in Europa eine gender-ideologisch verbrämte Sexualpädagogik legitimieren sollen, tragen unverkennbar Sielerts Handschrift.
In der Schweiz werden die Standards von der „Allianz für Sexualaufklärung“, der unter der Führung der Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz (SGS) mittlerweile 70 Organisationen angehören, an Schulbehörden und Lehrplänen vorbei als Grundlage für eine „umfassende Sexualaufklärung“ propagiert. Wie eine im März 2016 von der Stiftung Zukunft CH zusammen mit der „Elterninitiative Sexualerziehung Schweiz“ publizierte Analyse zeigt, bieten die Standards aber keine ganzheitliche Sicht menschlicher Sexualität. Versteht man den Menschen als ein sinnvolles Ganzes, so liegt den WHO-Standards gar kein Menschenbild zugrunde, kritisierte der Psychiater Christian Spaemann schon 2014 in einem Kath.net-Interview. Unter dem Leitgedanken einer falsch verstandenen Toleranz wird Jugendlichen vermittelt, jeder beliebige Umgang mit der eigenen Sexualität sei völlig gleichwertig. Damit animieren die WHO-Standards Jugendliche dazu, ihre langfristigen Lebensziele der sofortigen Triebbefriedigung unterzuordnen.
Die Strategie des Bundesamtes für Gesundheit
Als Preis der Ausrichtung an „Vielfalt“ und Lust verwerfen die Standards die WHO-Definition der „sexuellen Gesundheit“ von 1972 als „veraltet“. Darin war explizit von der „Integration der körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Aspekte“ der Sexualität in das Leben die Rede, die zur „Weiterentwicklung von Persönlichkeit, Kommunikation und Liebe beiträgt“. Doch die Autorengruppe der WHO-Standards, zu denen auch zwei SGS-Mitglieder gehören, ziehen es vor, sexuelle Gesundheit auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu reduzieren. Den persönlichen Freiheitsrechten und der sexuellen Selbstbestimmung kommen in der Gesetzgebung liberaler Staaten sicher zu Recht eine hohe Bedeutung zu. Wenn aber diese Freiheitsrechte – und in letzter Konsequenz das Sexualstrafrecht – zu den dominierenden Leitlinien eines guten Umgangs mit Sexualität gemacht werden, ist das pädagogisch mehr als fraglich.
Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) und seine Präventionspartner (SGS und Aids-Hilfe Schweiz) haben auch nach der Schliessung des Luzerner Kompetenzzentrums Sexualpädagogik und Schule (2013) ihre Pläne für eine flächendeckende ideologische Sexualerziehung an Schweizer Schulen nicht aufgegeben. Nun wittern sie im Bereich BNE eine neue Möglichkeit zur Verwirklichung ihrer Sex-Indoktrination. Roger Staub, Präventions-Experte des BAG, forderte schon im Herbst 2012 bei einer von SGS ausgerichteten Fachtagung in Luzern, die Stiftung éducation21 in diese Pläne einzubeziehen. Das BAG und sein Netzwerk scheinen nun bei éducation21 spürbar Fuss gefasst zu haben. Die kantonalen Erziehungs- und Gesundheitsdirektoren sind somit dringend aufgerufen, eine ideologische Einflussnahme des BAG auf die Arbeit von éducation21 und damit auf die Volksschule entschieden zurückzuweisen.
Zu unserer Analyse der WHO-Standards: Wenn nur sexuelle Lust übrig bleib