„Alles Gute zum Alltag!“ Dieser überraschende Wunsch hängt gerahmt an einer Wand im „Bistro Sein“ in Winterthur. Aber warum überrascht dieser Wunsch eigentlich? Regelmässig an ihrem Geburtstag wünschen wir unseren Freunden und Verwandten alles Gute. Warum also nicht auch zum Alltag? Schliesslich haben wir doch viel öfter Alltag als Geburtstag!

Von Ursula Baumgartner

Unter dem klassischen Wunsch „Alles Gute!“ sammelt sich so einiges. Denn was wünschen wir unseren Lieben, wenn wir ihnen dies auf eine Karte schreiben oder an ihrem Ehrentag sogar singen?

Was ist alles gut?

Was man als gut empfindet, ist sehr individuell. Doch viele Menschen würden darunter wohl verstehen, dass es einem körperlich und seelisch gut geht, man selbst und die Lieben gesund sind, dass man Freude an seinem Leben und seinem Tun hat, von Familie, Freunden oder zumindest Gleichgesinnten umgeben ist und man sich ganz grundlegend keine Sorgen um Leib und Leben zu machen braucht.

Anderen dies einmal im Jahr ehrlich und von Herzen zu wünschen, ist schön. Noch schöner ist es allerdings, anderen – und sich selbst! – dies jeden Tag zu wünschen. Und am schönsten ist es, wenn man sich bemüht, anderen dieses Gute nicht nur zu wünschen, sondern sogar zukommen zu lassen, soweit dies in der Macht des Einzelnen steht.

Der Wert des Alltags

Nach einem Schicksalsschlag wie z.B. einer Krankheitsdiagnose, einem Unfall oder gar einem Todesfall ist plötzlich nichts mehr wie zuvor. Man wird aus dem Alltag buchstäblich herausgerissen. Oft hat dies zur Folge, dass man diesen Alltag dann auf einmal ganz anders zu schätzen weiss, nur eben bloss noch im Nachhinein. Wäre es also nicht tatsächlich viel klüger, sich rechtzeitig klarzumachen, welche Bedeutung der Alltag für unser Leben hat?

Im Durchschnitt hat ein in Vollzeit arbeitender Schweizer fünf Wochen Ferien im Jahr. Umgekehrt bedeutet dies: Etwa 47 Wochen pro Jahr sind der Arbeit gewidmet, mit anderen Worten: der weitaus grössere Teil des Jahres. Welche Qualität könnte diese viele Zeit gewinnen, wenn wir sie nicht als oft geschmähten „Alltagstrott“ behandeln würden, sondern als Grossteil unseres Lebens, der uns prägt und formt?

Raus aus dem „Alltagstrott“!

Was wäre, wenn wir an Kollegen nicht achtlos und mit jahrelanger Selbstverständlichkeit vorbeigingen, sondern sie intensiver als Menschen auf unserem Lebensweg wahrnehmen würden, mit denen wir oft mehr Zeit verbringen als mit unseren Familien? Was könnte daraus entstehen, wenn wir kleine Routinen im Alltag nicht gleichgültig mitmachen, sondern sie als feste und wichtige Bestandteile unseres Lebens schätzen würden, die wir im Falle eines Schicksalsschlages schmerzlich vermissen würden?

Von Geburtstagsfeiern und Kaffeepausen

Ein Spruch sagt: „Dick wird man nicht zwischen Weihnachten und Silvester, sondern zwischen Silvester und Weihnachten.“ Das will sagen: Nicht die wenigen Tage, an denen man besonders (und vielleicht mit schlechtem Gewissen) darauf achtet, was man isst, haben die grösste Bedeutung. Viel mehr ins Gewicht (im wahrsten Sinne des Wortes!) fällt der Grossteil des Jahres, in dem man dem weniger Beachtung schenkt.

Auf unsere Situation angewendet könnte man sagen: Ein gutes, gelingendes, zufriedenstellendes Leben zeigt sich nicht an Urlaubstagen und Geburtstagsfeiern. Es entscheidet sich in Meetings, Kaffeepausen und am Kopierer, in dem sich schon wieder das Papier staut.

Nicht jede Situation im Leben muss gefeiert werden, nicht jeder Arbeitstag ist ein Highlight. Aber wenn man sich abends weniger an den Ärger über den Papierstau erinnert und mehr an die schnelle Hilfsbereitschaft des technisch versierten Kollegen, der ihn beseitigen hilft, ist schon viel gewonnen. Wenn man morgens nicht widerwillig ins Büro schlurft, sondern sicher sein kann, dass man auch heute wieder herzlich mit der Kollegin lachen kann, ist der Tag gleich in ein anderes Licht getaucht.

In diesem Sinne: Alles Gute zum Alltag – vielleicht ja bei einem gemütlichen Kaffee.