Der heute 98-jährige Joe Rubinstein hat die Konzentrationslager von Buchenwald, Auschwitz und Theresienstadt überlebt. Seine soeben erschienene Biografie ist gerade in der heutigen Zeit wichtig, da der Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch ist.
Von Giuseppe Gracia
Es gibt immer weniger Holocaust-Überlebende, die uns mit persönlichen Worten bezeugen, was unter den Nazis geschah. Aber es gibt sie noch. Zum Beispiel Joe Rubinstein (98), über den gerade ein Buch erschienen ist („Auschwitz 34207 – Die Joe Rubinstein Story“, Fontis Verlag).
Rubinstein ist ein polnischer Jude, der die Konzentrationslager von Buchenwald, Auschwitz und Theresienstadt überlebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderte er in die USA aus, heiratete eine Christin mit deutsch-polnischen Wurzeln und machte als Schuh-Designer Karriere. 70 Jahre lang hat Rubinstein über seine Erlebnisse geschwiegen und erst mit 92 Jahren darüber gesprochen, mit einer Altenpflegerin namens Nancy Sprowell Geise. Diese war es, die alles aufgeschrieben hat.
Leichen wie Bücher im Regal
So ist das Buch entstanden, in dem sich Rubinstein daran erinnert, wie damals ein Nachbar den anderen verriet und mitten in Deutschland die Hölle ausbrach. Es sind Erinnerungen an eine unfassbare menschliche Finsternis, an den Abgrund eines industriell geplanten Massenmords. Einmal sagt Rubinstein: „Vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit mussten wir, die wir selbst erschöpft und halb verhungert waren, die Leichen, die bei den Gaskammern lagen, zu nahegelegenen Gruben bringen, wo sie übereinandergestapelt wurden wie Bücher, die ins Regal einsortiert werden sollen.“
Solche Berichte sind gerade heute wichtig, da der Antisemitismus in Europa wieder auf dem Vormarsch ist. Von linker Seite getarnt als Israelkritik, mit systematisch einseitiger Berichterstattung über den Nahen Osten. Von islamischer Seite offen als Judenhass. Von rechter Seite mit dem Rassenwahn der Neonazis.
„Unfassbar, dass ich immer noch hier bin“
Rubinsteins Geschichte ist auch deshalb wertvoll, weil es um ein Leben nach dem Holocaust geht. Um ein trotz allem bejahendes, von Liebe getragenes Leben, in dem der Überlebende versucht, die Schrecken der Vergangenheit „wegzutanzen“, wie es an einer Stelle heisst.
Hier spricht ein Mann, der nach dem Nazi-Horror nicht aufgehört hat, das Leben zu lieben, der nie aufgegeben hat. Das mutet unglaublich an. Oder wie Rubinstein selber sagt: „Nancy hat all das, was ich durchgemacht habe, in wunderbarer Weise niedergeschrieben. Es ist unfassbar, dass ich immer noch hier bin. Einfach unfassbar.“
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Giuseppe Gracia (52) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Dieser Text erschein zuerst im Blick.