In vielen westlichen Ländern, so auch in der Schweiz, sind mittlerweile nicht mehr Frauen, sondern Männer im Nachteil. Dies zeigt zumindest ein neuer Ansatz von zwei US-Forschern, die Geschlechterungleichheit zu messen. Nichtsdestotrotz wird anlässlich des Internationalen Frauentags vom 8. März wieder der feministische Mythos der strukturell benachteiligten Frau zelebriert.

Von Dominik Lusser

Gijsbert Stoet und David C. Geary von der University of Essex bzw. der University of Missouri haben am 3. Januar 2019 in einem Beitrag auf PLOS ONE einen neuen Ansatz präsentiert, um die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu messen. Im deutschsprachigen Raum haben zuerst der Wissenschaftsblog sciencefiles.org sowie die „Süddeutsche Zeitung“ darüber berichtet. Die „NZZ am Sonntag“ widmete dem neuen Ansatz am 2. Februar einen Beitrag. Ansonsten herrscht grosses Schweigen über das neue Forschungsresultat, das dem feministischen Kampf um Gleichstellung den Boden zu entziehen droht.

Das Interessante am neuen Ansatz sei, dass er die (Un-)Gleichheit im Lebensverlauf berücksichtigen wolle, schreibt Sciencefiles. „Anders als die meisten Masse, die die Genderista so gerne für sich ins Feld führt, wie z.B. die Erfindung des Gender Pay Gaps, zielen Stoet und Geary nicht darauf ab, ein Mass zu finden, auf dessen Grundlage man die eigene Klientel bereichern kann, sondern darauf, ein Mass für die Fähigkeit zu entwickeln, Lebenschancen in einer Gesellschaft zu nutzen.“ Dieses neue Mass nennen die beiden Forscher „Basic Index of Gender Inequality“ (BIGI).

Bildung, Lebenszufriedenheit, Lebenserwartung

Der BIGI besteht aus drei Faktoren, und zwar den Bildungsmöglichkeiten in Kindheit und Jugend, der Lebenserwartung und der Lebenszufriedenheit. Der BIGI kombiniert diese drei Kriterien zu einem Index, der – so Sciencefiles – „einen negativen Wert annimmt, wenn Männer im Nachteil sind, einen positiven, wenn Frauen im Nachteil sind und der aufgrund seiner Berechnung die Möglichkeit bereitstellt, den Nachteil als Prozentwert auszudrücken.“

Das ist ein grosser Fortschritt in der Diskussion um Chancengleichheit und Gleichstellung. Denn seit zehn Jahren werde – so schreibt Patrick Imhasly in der „NZZ am Sonntag“ – meistens der „Global Gender Gap Index“ des Weltwirtschaftsforums bemüht, wenn es darum gehe, Buch zu führen über die gesellschaftliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Doch der GGGI habe ein „grosteske Schlagseite“, da er Nachteile nur dann erfasse, wenn sie Frauen beträfen.

Ganz anders der BIGI. Für die Schweiz haben die beiden US-Forscher für die zusammengefassten Jahre von 2012 bis 2016 einen Wert von -0.00794 errechnet. D.h. Männer sind gemessen am BIGI um 0.79 Prozent im Nachteil gegenüber Frauen. In Deutschland beträgt diese Benachteiligung 1.3, in Schweden 1.6 Prozent und in Dänemark gar 2.3 Prozent. Dies im Unterschied zu fast allen afrikanischen Ländern, wo Frauen nach wie vor im Nachteil sind. Insgesamt haben die Forscher den BIGI von 134 Ländern berechnet.

Klempner oder Akademiker?

Wie hängen die drei Faktoren des BIGI zusammen? Bildung ist die Voraussetzung für den Einstieg ins Berufsleben. Dabei geht es, im Hinblick auf ein langes und erfülltes Leben, nicht primär um die Frage, wie viele Jahre jemand die Schule und anschliessend die Universität besucht hat, wie Sciencefiles an einem Beispiel deutlich macht: Ein guter Abschluss an einer Hauptschule, der einem jungen Menschen eine Berufslehre ermöglicht und später eine Meisterprüfung, die ihn dazu befähigt, irgendwann einen Betrieb zu führen, ist ebenso eine gute Voraussetzung für ein Leben in Zufriedenheit wie es der Hochschulabschluss mit der Möglichkeit ist, eine Stelle an einer ausländischen Universität anzutreten. Unter Umständen sogar die bessere. Denn ein Hochschulabsolvent könne angesichts seiner prekären Beschäftigung als halber wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Projekt mit zwei Jahren Laufzeit aus Frust möglicherweise früh sterben, während ein Klempner ein erfülltes und langes Leben führe.

Stoet und Geary selbst erklären: „Wir glauben, dass diese drei Faktoren einander wesentlich ergänzen; einen davon auszuschliessen bedeutet, einen wichtigen Aspekt dessen auszulassen, was ein gutes Leben ausmacht. Zum Beispiel mag eine Person ein erfülltes und langes Leben haben, doch ohne Bildungsmöglichkeiten hätte sie nicht die Chance gehabt, ihre Talente zu entfalten. Eine andere Person, die nach einer guten Bildung ein erfülltes Leben hätte haben können, stirbt vielleicht früh. Oder es könnte jemand gut gebildet sein und lange leben, ohne Lebenszufriedenheit zu erlangen.“

Frauen profitieren vom Familienlohn

Der Mythos der stets benachteiligten Frau baut vor allem auf die in Westeuropa kaum mehr zutreffende Behauptung, Frauen würden bei gleicher Ausstattung für dieselbe Arbeit schlechter bezahlt. Auch in der Schweiz gehen seriöse Einschätzungen, die darum bemüht sind, alle relevanten Faktoren (wie z.B. Berufserfahrung, Kaderstufe, usw.) in Rechnung zu stellen, davon aus, dass die nicht erklärbaren Lohnunterschiede deutlich geringer sind, als in der Öffentlichkeit immer wieder behauptet wird, und dass aus diesen Differenzen nicht per se auf eine Diskriminierung der Frau geschlossen werden kann.

Stoet und Geary haben das Steckenpferd des Feminismus, den Lohnunterschied, nicht berücksichtigt. Dadurch unterscheidet sich ihr neue Index vom „Gender Development Index“ (GDI) der Vereinten Nationen. Doch haben die beiden Forscher dafür gute Gründe: „Zwar stehen finanzielle Ressourcen und Wohlbefinden in einem Zusammenhang, doch sind wir der Ansicht, dass die individuellen Einkommen von Männern und Frauen nicht notwendigerweise ein guter Indikator für die finanziellen Ressourcen darstellen, da die meisten Erwachsenen in Haushalten wohnen, in denen das Einkommen geteilt wird.“ Tatsächlich lässt sich – auch für die Schweiz – argumentieren, dass Frauen in einem Haushalt mit praktizierter Arbeitsteilung nicht selten am höheren Verdienst ihrer Männer partizipieren. So heisst es im Bericht „Familien in der Schweiz“ des Bundesamtes für Statistik (BFS 2017): „Die Mehrheit der Paare verfügt über eine gemeinsame Kasse. Vor allem verheiratete Paare und Paare mit Kindern legen meistens das gesamte Haushaltseinkommen zusammen.“

Angesichts der Befunde von Stoet und Geary die Frauen in der Schweiz weiterhin als wirtschaftlich und gesellschaftlich strukturell diskriminierte Gruppe darzustellen, die es durch spezifische Förderprogramme oder gar Quoten zu fördern gelte, läuft auf eine aktive Benachteiligung von Männern hinaus.

Ideologie statt Bedürfnisse

Doch das von vielen Medien unkritisch übernommene Mantra der Feministinnen will nicht verstummen. So heisst es in einem Vorbericht zum diesjährigen Frauentag auf Blick.ch: „Laut Nationalrätin Maya Graf, Co-Präsidentin von alliance F, steigen junge Frauen mit acht Prozent weniger Lohn in den Arbeitsprozess ein. Im privaten Bereich übernehmen sie meistens die Hausarbeit und Kindererziehung. Im beruflichen Bereich sind Frauen in Führungspositionen noch immer rar. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist oftmals ein Karrierehindernis.“

Die von Feministinnen alljährlich bewirtschaftete Empörung über die angebliche Benachteiligung der Frau steht auch im Gegensatz zur Tatsache, dass Frauen gemäss Zahlen des BFS (2017) offenbar mit ihrem Leben grossmehrheitlich sehr zufrieden sind. Auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten sie ihre Lebensqualität durchschnittlich mit 8.0, während Männer ihre Lebensqualität mit dem etwas geringeren Wert von 7.9 beziffern. Bei der Bewertung der Zufriedenheit mit der eigenen finanziellen Situation liegen Frauen und Männer mit einem Wert von 7.2 gleichauf.

Damit wird deutlich, dass die heutige feministische Politik in der Schweiz sich nicht mehr primär an den Bedürfnissen von Frauen orientiert. Die feministische Propaganda verfolgt vielmehr zuallererst die ideologisch motivierte Gleichschaltung der Geschlechter in allen Lebensbereichen. Ob dies dem entspricht, was sich die grosse Mehrheit der Frauen von einem guten Leben erhofft, darf bezweifelt werden.

Es ist darum auch in der Schweiz Zeit für einen neuen Feminismus, der sich für ein ganzheitliches Frauenbild einsetzt und Frauen nicht länger als „verhinderte“ Männer behandelt.