Die neueste Gesundheitsbefragung des Zürcher Schulamtes bringt alarmierende Entwicklungen ans Licht: Immer mehr Teenager besuchen nicht mehr den ganzen Schulunterricht. Insbesondere bei den Mädchen hat das Schwänzen massiv zugenommen, bei einer Mehrheit der Betroffenen gibt es Hinweise auf psychische Probleme. Die Zürcher Behörden stehen vor einem Rätsel.
Das Gesundheitsamt des Kantons Zürich hat 2023 eine Umfrage zur Gesundheit der Zürcher Teenager durchgeführt. Inhalt der Befragung war unter anderem auch der Schulbesuch. Rund 2000 Schülerinnen und Schüler der zweiten Sekundarklasse wurden zu ihrer Anwesenheit im Unterricht befragt. Die Antworten sind ernüchternd: Absentismus, wie das Schule schwänzen in der Fachsprache genannt wird, ist fast schon Standard. Ein Drittel der im Schnitt 14-jährigen Schüler kommt regelmässig zu spät zum Unterricht, jedes fünfte Mädchen und jeder sechste Junge schwänzte im vergangenen Jahr mindestens eine Schulstunde. 15 Prozent der Mädchen und 12 Prozent der Knaben fehlten gleich einen ganzen Schultag. Im Vergleich zur 2018 durchgeführten Befragung fehlten Mädchen doppelt so häufig im Unterricht. Dies jedoch nicht (nur) wegen Faulheit oder charakterlichen Defiziten. Viele Betroffene haben schulische oder familiäre Probleme und leiden unter Angststörungen oder Depressionen. Wie die NZZ am ersten Dezember 2023 berichtete, haben Krankmeldungen in bedenklichem Mass zugenommen.
Hoher Druck und wenig Resilienz
Die Befragung der Stadt Zürich zeigt wie viele andere Studien, dass es um die psychische Gesundheit von Teenagern gegenwärtig schlecht bestellt ist. Immer mehr von ihnen leiden unter Dauerstress und einem negativen Körperbild. Sich in der Schule nicht nur dem Urteil der Gleichaltrigen, sondern auch einer Bewertung der eigenen Fähigkeiten und Leistungen auszusetzen, wird als bedrohlich erlebt. Und allein schon die Forderung, etwas leisten zu müssen, empfinden viele verwöhnte Kindern der „Generation Z“ als Zumutung. Dies zeigt sich dann unter anderem darin, dass sie entweder keine Lust oder aber Angst davor haben, die Schule zu besuchen. Wird ein Absentismus-Problem zu spät erkannt, hat dies oft massive Auswirkungen. Nicht nur auf die Schulnoten, sondern auch auf die persönliche Reifung und die Kompetenz, sich in einer Gruppe zu behaupten. Wer Problemen ausweicht, statt sich ihnen zu stellen, baut weniger Resilienz auf und hat entsprechend mehr Mühe, Herausforderungen zu bewältigen. Dass das Schwänzen negative Folgen haben könnte, ist vielen der befragten Schüler jedoch kaum bewusst.
Schwänzen ohne Konsequenzen
Zu denken gibt den Zürcher Schulbehörden, dass viele Schüler erklärten, ihr Verhalten hätte keine Konsequenzen nach sich gezogen. Nur eine kleine Minderheit war in der Schule für ihr Fernbleiben vom Unterricht zur Rede gestellt oder sanktioniert worden. Das vermittelt den Schulschwänzern zusätzlich den Eindruck, ihre Anwesenheit im Unterricht sei gar nicht von Interesse. Einen starken Einfluss üben bei der Problematik auch die Eltern aus: Melden diese ihr Kind schon bei kleinsten Schwierigkeiten von der Schule ab, unterstützen sie den Trend zum Absentismus. Damit verhindern sie letztlich, dass ihr Teenager lernt, Ängste oder Unlust zu überwinden, statt den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.
Zusatzaufgaben für überlastete Lehrer
Dass es für Lehrer unmöglich ist, parallel zum Unterrichten auch noch mehreren Schulschwänzer hinterherzutelefonieren, versteht sich von selbst. Eine Schulleiterin aus dem Zürcher Unterland kämpft an ihrer Schule gegenwärtig mit fünf Fällen von notorischem Schwänzen. „Wir stehen enorm unter Druck“ erklärte sie gegenüber der NZZ: Vermögen Eltern es nicht, ihre Teenager zum Schulbesuch zu motivieren und ihnen vernünftige Grenzen zu setzen, bedeutet dies eine hohe Mehrbelastung für die Schulen und die öffentliche Hand. Statt sich auf das Unterrichten fokussieren zu können, müssen Lehrer unzählige Gespräche führen und Therapieplätze für ihre Schüler suchen. Die Frage, ob es vielleicht sinnvoll wäre, dass Sozialarbeiter Hausbesuche machen, um Schüler zum Aufstehen motivieren, dürfte die Zürcher Behörden wohl noch länger beschäftigen.