Eine Studie zeigt, dass die Sozialkosten für verhaltensauffällige Kinder am höchsten sind, wenn deren Bindung zum Vater unsicher ist.
Von Teresa Suttner-Gatterburg
Eine bereits 2019 veröffentlichte britische Langzeitstudie „The cost of love: financial consequences of insecure attachment in antisocial youth“, die im „Journal of Child Psychology and Psychiatry“ erschienen ist, nahm die finanziellen Folgen von Bindungsunsicherheit in den Blick und eruierte, welche Sozialkosten Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten verursachen. Damit sind Unterstützungsleistungen für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche gemeint. Die Spannweite reicht von Therapien über Heim- und Krankenhausaufenthalte, Schulförderung, Erziehungsberatung oder Suchthilfe bis hin zu Bewährungsprogrammen nach Straffälligkeit. Diese Kosten fallen laut den Studienergebnissen umso geringer aus, je sicherer die Bindung an Mutter oder Vater ist.
Das zentrale Ergebnis der Studie lautete: Kinder und Jugendliche, die durch antisoziales Verhalten auffallen, verursachen höhere Kosten. Unerwartet war allerdings das zweite Resultat: Diese Kosten waren um ein Vielfaches höher, wenn ein Kind keine sichere Bindung an seine Mutter aufwies. Doch am höchsten waren die Kosten, wenn ein Kind über keine sichere Bindung an seinen Vater verfügte. „Das Ergebnis hat auch uns sehr überrascht“, sagte der an der Studie beteiligte Christian Bachmann, Kinder- und Jugendpsychiater am Universitätsklinikum Ulm, laut eines Berichts des Forums Familiengerechtigkeit.
Fehlende Bindung an den Vater verursacht die höchsten Kosten
Für die Studie wurden 174 verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und 17 Jahren befragt. Rund 70 Prozent waren Jungen. Den ermittelten Grad der Bindung setzten die Forscher in Relation zu den Kosten, die der Staat für diese Kinder aufwendete. Für Kinder mit einer sicheren Bindung an die Mutter waren insgesamt Kosten in Höhe von umgerechnet 8000 Euro aufgebracht worden. Kinder mit einer unsicheren Mutterbindung verursachten hingegen Kosten in Höhe von rund 12000 Euro. Für verhaltensauffällige Kinder mit einer sicheren Bindung an ihren Vater fielen vergleichsweise geringe finanzielle Aufwendungen in Höhe von rund 1600 Euro an.
War die Bindung an den Vater jedoch unsicher, war der Unterschied sehr viel grösser. So kostete die Unterstützung dann rund 17’000 Euro – mehr als das Zehnfache. Die finanziellen Auswirkungen einer unsicheren Bindung an den Vater könnten sogar noch gravierender sein, folgerten die Forscher. Da die Sozialkosten weiter zunehmen würden, je älter die Jugendlichen werden, könnte eine unsichere Bindung über eine längere Lebensspanne hinweg zu erheblichen Ausgaben führen.
Eindeutiger Stellenwert von sicherer Bindung
Den eindeutigen Stellenwert einer sicheren Bindung scheinen die Ergebnisse der Studie jedenfalls nachzuweisen. Denn die Kosten für unsicher gebundene Kinder waren auch dann höher, wenn bei den Probanden weitere „Risikofaktoren“ herausgerechnet wurden, die ebenso zu erhöhten Sozialausgaben beitragen können. Dazu zählen der sozioökonomische Hintergrund der Familien, ein höheres Alter der Kinder, männliches Geschlecht und der Intelligenzquotient.
Kinder mit sicherer Bindung meistern das Leben besser
Eine sichere Bindung an Mutter, Vater oder beide Elternteile bietet allen Kindern – unabhängig von der sozialen Schicht – das erforderliche Rüstzeug für die Herausforderungen des Lebens. Sicher gebundene Kinder hätten nach Einschätzung der Wissenschaftler seltener psychische Probleme, könnten sich besser anpassen und mit Konflikten umgehen, sie seien zudem resilienter, könnten also Frust und Niederlagen besser bewältigen. Das Gegenteil sei demnach der Fall bei Kindern mit Bindungsunsicherheit: Das Risiko für psychische Erkrankungen sei höher, ebenso das Risiko, in einem Heim untergebracht zu werden oder die Schule abzubrechen. Und am besten gerüstet seien Kinder, die eine sichere Bindung an beide Elternteile hätten. Zudem könnten Bindungen auch „transgenerativ“ wirken, verweisen die Autoren der Studie: Unsicher gebundene Mütter oder Väter würden diese Beziehungsmuster häufig an ihre Kinder weitergeben, die Folgen unsicherer Bindung könnten also langfristig nachwirken.
Die besondere Rolle des Vaters
Eine Erklärung für die Ergebnisse laute: Um ein stabiles Vertrauensverhältnis zu Kindern aufzubauen, müssten Mütter wie Väter feinfühlig sein und prompt sowie angemessen auf deren Bedürfnisse reagieren. „Über diese Fähigkeiten verfügen eher Männer mit einem emotional ausgeglichenen Charakter. Diese Persönlichkeitszüge können auf die Kinder abfärben. So erlernen sie also soziale Kompetenzen, die für das gesamte Leben von Vorteil sind“, so Coautor Bachmann. Zudem wiesen Forschungsergebnisse darauf hin, dass eine engere Bindung an die Väter dazu führe, dass Kinder ihre Emotionen besser kontrollieren könnten und daher besser in ihrer „peer group“ zurechtkämen.
Bindungsangebote in der familiären und ausserhäuslichen Betreuung
„Wir brauchen gute Bindungsangebote für junge Kinder – sowohl im familiären Rahmen als auch in der Fremdbetreuung“, folgert der Kinder- und Jugendpsychiater Christian Bachmann aus den Erkenntnissen. Seiner Meinung nach sei dies in Kinderbetreuungseinrichtungen vor allem für sehr junge Kinder oftmals nicht gegeben. Einerseits aufgrund des Personalschlüssels, andererseits aufgrund von häufigem Personalwechsel, der den Aufbau einer Bindung behindere. Bachmann verweist zudem auf Grossbritannien, wo die „National Academy for Parenting Practitioners“ über 3000 Berater ausgebildet habe, die Eltern im ganzen Land nach hohen Qualitätsstandards darin schulten, wie man Kinder mit mehr Zuwendung erziehe.
IEF-Kommentar: Förderung der Väterbindung
Wie das Institut für Ehe und Familie (IEF) im Zusammenhang mit den langfristigen Folgen für Kinder aus geschiedenen oder getrennten Ehen/Partnerschaften berichtete, lebte ein Grossteil der Kinder nach Scheidung/Trennung bei ihren Müttern. Dadurch litt oftmals das Verhältnis zum Vater. Die Studienergebnisse könnten getrennte Paare motivieren, die Beziehung der Kinder zum getrennten Elternteil zu fördern – im Sinne des Kindeswohls. Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse, die die Wichtigkeit der Vaterrolle aufzeigen, ist ausserdem der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte zu begrüssen, der Männer ermutigte, eine aktive Rolle im Familienalltag zu übernehmen. Staatliche Karenzangebote in Form von „Papamonat“ und Karenzteilungsmodelle können eine grössere Partizipation beider Elternteile am Familienalltag und die Bindung an Mutter und Vater von Anfang an begünstigen. Darüber hinaus gibt es viele Angebote in Form von Literatur, Coaching, Kursen etc., die die Bindung zwischen Eltern und Kindern fördern möchten. In diesem Zusammenhang sei auch auf das Projekt „Vater sein – verpass nicht die Rolle deines Lebens“ des Katholischen Familienverbands hingewiesen, das sich 2021 dem Thema Väterbeteiligung widmete und Väter informieren und motivieren wollte, ihre Vaterrolle aktiv und präsent zu gestalten. Zahlreiche Landesstellen des Familienverbands bieten über das Projekt hinaus Informationen und Veranstaltungen für Väter an.
Quelle: Institut für Ehe und Familie