Die eidgenössische Volksinitiative „Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe“ wurde am 28. Februar 2016 hauchdünn abgelehnt (49,2 Prozent Ja – 50,8 Prozent Nein; 15.5 Stände stimmten zu). Im Abstimmungsbüchlein fanden sich jedoch massiv falsche Zahlen. In der Folge hob das Bundesgericht die Abstimmung auf. Statt auf einer erneuten Abstimmung zu bestehen, zog das Initiativkomitee jedoch die Initiative zurück. Eine Organisation ging dagegen vor Gericht. Nun fiel das – negative – Urteil.
Die Organisation Human Life International Schweiz (HLI) verlangte zusammen mit Privatpersonen die Wiederholung der Abstimmung aufgrund der inzwischen vorliegenden korrekten Zahlen. Das Bundesgericht lehnte die Beschwerde von HLI jedoch im Oktober 2020 ab (Urteil 1C_105/2020). „Das Urteil des Bundesgerichts ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat und die Demokratie nachhaltig zu erschüttern“, kommentiert HLI den Vorgang in einer Medienmitteilung vom 5. November 2020.
Die Organisation weist nochmals klar darauf hin: „Wären den Stimmberechtigten im Bundesbüchlein nicht die irreführende Zahl von 80’000 betroffenen Ehepaaren vorgelegt worden, sondern die tatsächliche Zahl von rund 700’000 effektiv Betroffenen, wäre die Volksinitiative höchstwahrscheinlich angenommen worden.“ Die Volksabstimmung sei deshalb auch folgerichtig vom Bundesgericht in seinem Entscheid (BGE 145 I 207) und Urteil (10_315/2018) aufgehoben worden.
Die naheliegendste, sich daraus ergebende Konsequenz wäre auf der Hand gelegen: Die Volksabstimmung hätte wiederholt werden müssen, dies auf der Basis der inzwischen vorliegenden korrekten Zahlen. Allein diese Wiederholung würde Art. 34 Abs. 2 der Bundesverfassung entsprechen, in dem es heisst: „Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe.“ Das Bundesgericht hätte es jedoch unterlassen, gleichzeitig mit der Aufhebung der Volksabstimmung gleichzeitig deren Wiederholung anzuordnen. „Das Initiativkomitee machte sich diesen Umstand zunutze und zog die Volksinitiative nach erfolgter Abstimmung zurück. Grund: Den Initianten war inzwischen die im Initiativtext enthaltene Formulierung der Ehe als einer Verbindung von Mann und Frau peinlich geworden“, so HLI. Die Organisation sowie Privatpersonen erhoben deshalb eine Abstimmungsbeschwerde beim Bundesgericht. Doch das Gericht erteilte der Beschwerde eine Absage. Die Begründung: Die Volksinitiative sei vor bald zehn Jahren lanciert worden, weshalb es nachvollziehbar sei, dass „zumindest Teile der Volksinitiative nicht mehr vom Willen der Initianten getragen werden“. Der Rückzug sei somit nicht zu beanstanden: „Obgleich die Auffassung der Beschwerdeführer, dass eine aufgehobene Volksabstimmung erneut durchgeführt werden müsse, im Grundsatz zutreffend sei, könne im vorliegenden Fall aus diesen Gründen darauf verzichtet werden“, heisst es im Urteil.
Weiterhin wies das Bundesgericht darauf hin, dass HLI gar nicht beschwerdeberechtigt gewesen sei, weil der Verein keine Partei noch eine politische Vereinigung sei. Das Gericht wolle – entgegen früherer Urteile – nun wieder „zur engeren Definition des Beschwerderechts zurückkehren“. So ging das Gericht auf die von HLI aufgeführten Punkte gar nicht ein, u.a. auf ein umfangreiches Gutachten, das die Organisation in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten kam zu einem anderen Schluss als die Bundesrichter: nämlich, dass durch die Aufhebung einer Volksabstimmung wegen Verletzung der politischen Grundrechte den Stimmberechtigten eine Wiederholung der Abstimmung unter rechtskonformen Voraussetzungen durchaus zustehe.