An der kürzlich veranstalteten Feier Ende August zum 50-jährigen Bestehen der Christlichen Ostmission (COM) nahmen in Worb rund 500 Leute teil. Der Worber Gemeindepräsident Niklaus Gfeller (EVP) würdigte die Arbeit des Hilfswerks und stellte fest: „Die COM ist im ganzen Gemeindegebiet die Organisation mit der weltweit grössten geografischen Ausstrahlung.“ Gfeller dankte der Organisation „für das Engagement für die Ärmsten und für die Menschen in Not.“ Wie es zur Gründung der Ostmission kam, was die Highlights in der Geschichte waren und was zukünftig geplant ist, erzählt Gallus Tannheimer, Missionsleiter der COM, Ursula Baumgartner von Zukunft CH im Interview.

Zukunft CH: Warum und von wem wurde die Ostmission vor 50 Jahren gegründet?

Tannheimer: Joseph Bass und seine Mitstreiter der Underground Evangelism (UE) waren nachhaltig betroffen von der Not der Christen hinter dem Eisernen Vorhang und starteten diverse Hilfsaktionen für diese verfolgte Christen. Verschiedene Personen aus der Schweiz begannen ab 1971 eine Filiale der UE in der Schweiz mit ersten Tätigkeiten. Ab März 1971 wurde die Zeitschrift „Christus dem Osten“ versendet. Am 14. September 1973 wurde der Verein Christliche Ostmission unter Leitung von Pfarrer Hansjürg Stückelberger* (Präsident) gegründet. Erster Missionsleiter der COM war Benjamin Wittwer. In den ersten Jahren war die Zusammenarbeit der Christlichen Ostmission mit Underground Evangelism sehr eng. 1981 löste sich die Christliche Ostmission von Underground Evangelism und wurde unabhängig.

Zukunft CH: Was hat sich in diesen 50 Jahren an der Arbeit der Ostmission verändert?

Tannheimer: Vieles hat sich in den Jahren seit der Gründung der COM verändert. Geblieben ist: Die Christliche Ostmission hat sich immer dort engagiert, wo die Not sichtbar wurde. Dabei war und ist es für die COM zentral wichtig, dass die Hilfe langfristig angelegt ist. Am Anfang stand der Bibelschmuggel. Je nach Land und Möglichkeit wurde auch humanitäre Hilfe geleistet. Die Arbeit umfasste die gesamte Sowjetunion und kommunistische Staaten, inkl. Osteuropa und das damalige Jugoslawien. Schon sehr früh wurden Länder in Zentralasien (inkl. Nordkorea) unterstützt. Ebenso war die COM stark involviert in der Flüchtlingshilfe. Flüchtlingsarbeiten gab es in Thailand, Somalia, Kambodscha und Portugal. Der Hauptfokus der COM lag geografisch gesehen immer auf den kommunistischen oder ehemalig kommunistischen Ländern. Das ist sozusagen die DNA der COM. Wo Not herrschte, wurde die Ostmission aktiv.

Ebenfalls typisch für die COM ist es, neuartige Projekte zu lancieren: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion startete die COM im August 1991 in Rumänien ein umfassendes Projekt zur Landwirtschafts- und Unternehmerförderung. Aus dieser Arbeit entstand ROMCOM, die bis heute aktiv ist und Tausenden geholfen hat, aus der Armut und Hoffnungslosigkeit zu entfliehen. 2003 startete die COM als eines der ersten christlichen Werke in der Schweiz den Arbeitsbereich Kampf gegen Menschenhandel. Betroffen von der Not in den Projektländern erkannte der damalige Missionsleiter Georges Dubi die Notwendigkeit, nicht nur in den Projektländern der COM aktiv zu werden, sondern auch in der Schweiz Menschen aufzurütteln, zu informieren und die Dimension des Menschenhandels aufzuzeigen.

Zukunft CH: Was war das beeindruckendste Erlebnis in den 50 Jahren?

Tannheimer: Wie jede Organisation ist die COM auch von den politischen Gegebenheiten und der Geopolitik beeinflusst. Die aktuellen geopolitischen Ereignisse halten auch uns auch heute auf Trab. Die Führungsleute der COM haben aber in der Vergangenheit nicht nur die Not und die Schwierigkeiten gesehen, sondern auch immer wieder gehandelt und neue Ideen lanciert, um die Not zu lindern. Das finde ich sehr bemerkenswert in der Arbeit der COM. Dieses Streben nach Innovation beeindruckt und motiviert mich!

Ein Beispiel ist der Fall der Berliner Mauer. Wer hätte 1989 gedacht, dass aus dem langjährigen Friedensgebet von Christen in der Nikolaikirche in Leipzig (damalige DDR) so viele Veränderungen passieren würden? Das über Jahrzehnte getrennte Deutschland vereinigte sich. Dass diese Veränderung in Deutschland friedlich über die Bühne ging, ist für mich ein Wunder. Ein weiterer Meilenstein war, dass die Sowjetunion von den Gründungsstaaten Ukraine, Russland und Weissrussland (heute: Belarus) im Dezember 1991 offiziell aufgelöst wurde.  In dieser Zeit wurden Staaten unabhängig und etliche strebten eine Mitgliedschaft in der EU an. Das sind gewaltige Umwälzungen von grosser Tragweite. Dass wir als COM auf diese Veränderungen nicht mit einer Schockstarre, sondern mit wirkungsvollen und professionellen Projekten antworteten, finde ich ebenfalls beeindruckend.

Ein weiteres Beispiel ist, dass es ab 1996 möglich war, unter den Ostwerken in der Schweiz zusammenzuarbeiten. Werksverantwortliche schlugen bewusst ein neues Kapitel auf: ein Kapitel der Kooperation. So entstand die Aktion Weihnachtspäckli. Zunächst sammelten Werke separat. Es entstand aber der Wunsch, gemeinsam eine Aktion Weihnachtspäckli durchzuführen. So besteht seit 2006 eine erfolgreiche Kooperation von vier Werken (AVC, COM, HMK, LIO), die jährlich rund 120’000 Weihnachtspäckli für den Osten sammelt. Eine tolle Erfolgsgeschichte! Es zeigt: Wenn wir zusammenarbeiten, sind wir stärker und wirkungsvoller.

Wichtig ist für uns zudem das Gebet als Lebenshaltung. Gott kann die Geschichte verändern und Gebet verändert Situationen und öffnet Türen. Das erleben wir in der Arbeit der COM immer wieder neu. Wir sind überzeugt, dass Gebet ein zentrales Element unserer Arbeit ist. Aber es ist klar: Gebet ohne zu handeln, ist Religiosität. Gebet führt zur Tat!

Zukunft CH: Wo ist aktuell der Einsatz am dringendsten?

Tannheimer: Wie Sie sicher vermuten, ist die Not in der Ukraine riesig. Neben dem Krieg ist auch die psychische Anspannung und die allgegenwärtige Unsicherheit für Menschen zermürbend. Dazu kommen Todesfälle in den Familien, Verletzte, Traumatisierte, usw. Das Leid ist allgegenwärtig. Die Sehnsucht nach Frieden gross. Wir sind dankbar, dass wir mehrere Partner im Land haben und so auf verschiedenen Ebenen unterstützen können: Wir leisten mit unseren Partnern vor Ort humanitäre Hilfe (Lebensmittelhilfe und Hilfe mit Kleidern) in Sapporischja und Mukatschewo, wir unterstützen christliche Kinderclubs und ihr Umfeld im ganzen Land (ca. 350 Clubs) und leisten eine medizinische Arbeit mit dem Transport von schwerkranken Kindern in geeignete Spitäler im In- und Ausland sowie der Trauma-Bewältigung und Trauma-Ausbildung lokaler Mitarbeiter.

Kinderclubs in der Ukraine

Auch das Problem des Menschenhandels beschäftigt uns sehr stark. Weltweit ist das Bewusstsein bei der Bevölkerung zu wenig präsent. Es ist mit 50 Millionen Opfer von Menschenhandel weltweit und mit 2,5 Mio Opfern pro Jahr eine riesige Herausforderung. Es wird in vielen Ländern noch zu wenig dagegen gemacht. Manchmal können wir uns des Eindrucks einer zu milden Strafverfolgung nicht erwehren und ärgern uns darüber.

Zukunft CH: Welche unerwarteten Schwierigkeiten und Chancen sind Ihnen bei Ihrer Tätigkeit begegnet?

Tannheimer: Die Corona-Pandemie hat uns herausgefordert. Es war bisher einmalig, dass Reisen nicht mehr möglich war und unsere Seminare, Schulungen, Vorträge, Projektreisen etc. gestrichen werden mussten. Das war nicht einfach, aber wir haben neue Wege gefunden. Da wir in allen Projektländern mit bewährten und kompetenten Partnern arbeiten, konnten wir alle Projekte gut weiterführen und sogar eine grosse Hilfsaktion mit Lebensmitteln starten.

Die Sanktionen der EU und der Schweiz für bestimmte Länder haben zudem den Zahlungsverkehr massiv erschwert. Auch hier haben wir gute Lösungen gefunden. Es bleibt aber eine Herausforderung. Herausforderungen wie diese sind in unserer Arbeit an der Tagesordnung. Es ist immer wieder spannend, Lösungen zu finden und uns an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Wir sehen in den vielen Herausforderungen immer auch Chancen.

Zurzeit sind wir involviert beim Aufbau einer christlichen Ausbildungsstätte in einem kommunistischen Land. Das ist für mich ein Wunder. Noch vor zehn Jahren war dies undenkbar. Nun hat die Regierung dem Bau zugestimmt und wir freuen uns über dieses Grossprojekt. Wir freuen uns über dieses Projekt, das nach unserer Einschätzung auch eine regionale Ausstrahlung haben wird.

Zukunft CH: Was ist für die nächsten Jahre geplant?

Tannheimer: Wir werden weiterhin in den Bereichen Humanitäre Hilfe, Kampf gegen Menschenhandel und Gewerbeförderung aktiv sein. Verstärkt im Fokus ist für uns Zentralasien unter dem Stichwort „Fokus Seidenstrasse“. Wenn Christen verfolgt werden, sehen wir es als unsere Pflicht, genau diese Gruppe zu unterstützen. Wir sind aber auch gespannt, welche Türen Gott für unsere Arbeit aufstösst und wo sich neue Möglichkeiten ergeben.

Zukunft CH: Wir wünschen der COM viel Erfolg dabei!

Gallus Tannheimer (geb. 1968) ist Missionsleiter der Stiftung Christliche Ostmission (COM). Er ist verheiratet mit Ruth. Gemeinsam haben sie drei Söhne. Seine Ausbildung absolvierte er am Theologischen Seminar St. Chrischona und der Akademie für Christliche Führungskräfte (ACF). Tannheimer war Jugendpastor und Pastor in Basel und Bern (1997–2012) und ist seit 2012 in der COM tätig (seit 2019 als Missionsleiter).

 

*Hansjürg Stückelberger ist auch der Gründer und Ehrenpräsident der Stiftung Zukunft CH.