Bereits zum zweiten Mal stimmt das Schweizer Stimmvolk über das Covid-19-Gesetz ab. Ein näherer Blick zeigt die gravierenden Mängel des vorliegenden Gesetzes. Eine Analyse.

Von Ralph Studer

Zunächst ein Blick auf den Inhalt dessen, was zur Abstimmung kommt. Es umfasst
– ein umfassendes Test- und Contact-Tracing-System der Bürger (Art. 3b),
– den Zugang zu Kultur, Restaurants, Freizeit und Sport, der Ungeimpften (Art. 6a) verwehrt bleiben soll,
– einen Nachweis von Studenten, um Bildungsstätten besuchen zu dürfen (Art. 6a).

Von verschiedenen Juristen wird diese Gesetzesänderung zudem als gefährlich bezeichnet, u.a. aufgrund der Verletzungen folgender Grundrechte und Grundsätze der Bundesverfassung (BV):[1]

– Rechtsgleichheit vor dem Gesetz und Diskriminierungsverbot (Art. 8 BV)
– Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere Bewegungsfreiheit, sowie das Recht auf psychische und physische Unversehrtheit (Art. 10 BV)
– Schutz der Privatsphäre und vor missbräuchlichem Gebrauch persönlicher Daten (Art. 13 BV)
– Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV)
– Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV)
– Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV)
– Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV)
– Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV)
– Bedingungen, wann Grundrechte eingeschränkt werden dürfen (Art. 36 BV)

Mit diesen in der Corona-Krise erfolgten Einschränkungen der Grundrechte wird ein schwerwiegender und weitreichender Präzedenzfall geschaffen, der die Gefahr birgt, auch in späteren Fällen herangezogen zu werden.

Indirekter Impfzwang

Dies ist noch nicht alles. Dass es sich bei der Zertifikatspflicht um einen allgemeinen, indirekten Impfzwang handelt, ist nicht von der Hand zu weisen. Neben dem teilweise massiven sozialen Druck und dem durchaus nachvollziehbaren Wunsch, wieder uneingeschränkte Bewegungsfreiheit zu haben, ist die Pflicht zur Selbstzahlung der Tests für viele Menschen zu einer erheblichen (finanziellen) Belastung geworden, v.a. für junge Menschen, also Menschen, die in keinster Weise zur Risikogruppe gehören. So unterliegen diese Personen faktisch einem indirekten Impfzwang. Mittlerweile lassen sich die Menschen vor allem deshalb impfen, weil sie wieder Normalität wollen. Ein an sich komplett sachfremdes Argument, hat es doch mit dem Zweck einer Impfung (Schutz vor Ansteckung oder Verhinderung eines schweren Krankheitsverlaufs) rein gar nichts zu tun. Mit einer neuartigen, wenig langzeitlich erforschten Impfung erkaufen sich die Menschen ihre Freiheit zurück. Der Staat nimmt diese Entwicklung in Kauf bzw. fördert diese durch die Zertifikatspflicht. Ein solcher allgemeiner, indirekter Impfzwang findet aber weder im Epidemiengesetz noch im Covid-19-Gesetz eine Rechtsgrundlage und stellt somit eine Rechtswidrigkeit dar.[2]

Namhafte Rechtsprofessoren melden sich zu Wort

Wenige Rechtsprofessoren getrauen sich, sich namentlich in der Öffentlichkeit und in den Medien kritisch zu diesem Covid-19-Gesetz zu äussern. Zu diesen wenigen gehören namhafte Professoren wie Alexander Kley von der Universität Zürich und Marcel Niggli von der Universität Freiburg. [3] Niggli verweist auf die offenkundigen Ungereimtheiten und führt gravierende rechtsstaatliche Bedenken gegen das Gesetz ins Feld:

– Die Covid-Verordnung SR.818.101.26 wurde seit Bestehen insgesamt 31-Mal verändert (praktisch im zwei Wochen-Rhythmus). Begriffe wie „Lockdown“, „Lockdown light“ usw. werden verwendet, Begriffe, die in ihrem Gehalt nicht klar definiert sind. Die ständigen Veränderungen führt zur rechtlich unhaltbaren Situation, dass der normale Bürger kaum mehr weiss, was wann und wo gilt. Unbestimmtheit und ständige Veränderungen sind mit einem Rechtsstaat nicht vereinbar.

– Nach der momentanen Sichtweise wird ungeimpft mit gefährlich gleichgesetzt. Es spielt keine Rolle, ob Ungeimpfte krank oder infektiös sind, sondern es zählt nur die Tatsache, dass sie ungeimpft sind.

– Art. 3 des Covid-19-Gesetzes enthält ein umfassendes digitales Contact-Tracing. Was heisst denn „umfassend“? Wo beginnt der Begriff, wo hört er auf? Umfassend ist an sich „grenzenlos“.

– Art. 3a des Covid-Gesetzes sieht für Geimpfte, die gemäss Gesetz erwiesenermassen geschützt sind, keine Quarantäne vor. Wenn aber die Geimpften sich auch anstecken oder übertragen können, ist eine solche Unterscheidung haltlos und falsch.

– Das Gesetz sieht ausdrücklich für bestimmte Artikel eine Verlängerung bis ins Jahr 2031 vor. Diese unverhältnismässig ausgedehnte Verlängerung lässt darauf schliessen, dass der Bundesrat keine Diskussionen mehr über das Gesetz will, die unangenehm werden könnten.

Das Verhalten der Behörden und der Medien in der Coronakrise habe totalitäre Züge angenommen hat, so Niggli. Es sei von der Politik auch unsinnig, das Covid-19-Virus ausrotten zu wollen, ein Virus, das bekanntlich saisonal auftritt wie andere Grippeviren und zudem ständig mutiere. Vielmehr, ist Niggli überzeugt, müssen wir uns der Aufgabe stellen, mit diesem Virus zu leben.

Undemokratisches Vorhaben

Auch Andreas Kley kritisiert das Covid-19-Gesetz als verfassungswidriges Vorhaben. In diesem Gesetz hat das Parlament dem Bundesrat in Form von vielen „Kann-Vorschriften“ ein Kompetenzpaket geschnürt und seine eigene Aufgabe, die Rechtsetzung, nicht wahrgenommen.[4] Was auf den ersten Blick harmlos klingt, ist auf den zweiten ein gravierender Verstoss gegen die Demokratie. Gemäss Artikel 164 BV ist das für den Gesetzeserlass zuständige Parlament verpflichtet, die grundlegenden Bestimmungen über die „Einschränkungen verfassungsmässiger Rechte“ oder die Festlegung von „Rechten und Pflichten von Personen“ im Gesetz festzulegen. Gerade dies tut das Parlament im Covid-19-Gesetz nicht. Das Parlament hat sich aus der Verantwortung gezogen und diese Arbeit dem Bundesrat übertragen.[5] Somit verkommt das Covid-19-Gesetz zu einem inhaltsarmen Blankettgesetz, einem „Ermächtigungsgesetz“. Durch diese Übertragung kann der Bundesrat in Eigenregie entscheiden und, an Parlament und Volk vorbei, Regeln erlassen, gegen die das Referendum ausgeschlossen ist. Die Demokratie wird somit ausgehebelt.

Verstoss gegen die Bundesverfassung

Kürzlich hat auch der ehemalige Bundesrichter Karl Spühler klar dargelegt, dass das Covid-19-Gesetz in mehrfacher Hinsicht gegen die Bundesverfassung verstösst. Es werde das Diskriminierungsverbot verletzt, die Zertifikatspflicht sei unverhältnismässig und führe zu einer elektronischen Überwachung des sozialen Lebens.[6]

Etliche Schweizer Juristen haben sich inzwischen zusammengeschlossen. Gemeinsam rufen sie gegen das Covid-19-Gesetz auf.[7] In ihrem Aufruf machen diese Juristen klar, dass bei dieser Abstimmung vom 28. November 2021 viel auf dem Spiel steht. Wie obige Ausführungen verdeutlichen, verstösst das vorliegende Covid-19-Gesetz nicht nur gegen den Rechtsstaat und die Demokratie. Zudem wird die Kluft und Spaltung in der Gesellschaft zementiert. Statt die Gräben zu überwinden und die Einheit wiederherzustellen, werden diese noch weiter vertieft. Stattdessen wäre es essentiell, wieder gemeinsam an Lösungen und Strategien für einen Ausstieg aus der Corona-Krise zu arbeiten. Nur so wird es gelingen, einen Weg aus der Krise in ein geordnetes Miteinander zu finden und mit vereinten Kräften einen gesellschaftlichen und politischen Neuanfang zu bewerkstelligen, der auch rechtlich mit Verfassung und Demokratie einhergehen.

[1] Vgl. https://www.declaration-juristes.ch/d/aufruf/ (abgerufen am 18.11.2021).

[2] Vgl. https://jusletter.weblaw.ch/blog/gerber15092021.html (abgerufen am 18.11.2021).

[3] Vgl.  https://rumble.com/vopi3d-video-referat-prof.-marcel-niggli-03.11.2021.html?fbclid=IwAR1NYU3zzQWbuHS6q2J83QL1h7pFoJHs3qh9QWew1FHirpRXRSH-XxoKAs0 (abgerufen am 18.11.2021).

[4] Vgl. https://www.nzz.ch/meinung/aenderung-des-covid-19-gesetzes-ein-weiterhin-verfassungswidriges-vorhaben-ld.1650569 (abgerufen am 18.11.2021).

[5] Vgl. https://www.nzz.ch/meinung/aenderung-des-covid-19-gesetzes-ein-weiterhin-verfassungswidriges-vorhaben-ld.1650569 (abgerufen am 18.11.2021).

[6] Vgl. Spühler K., Verfassungswidrig, in: Schweizerzeit vom 22.10.2021.

[7] Vgl. https://www.declaration-juristes.ch/d/aufruf/ (abgerufen am 18.11.2021).