Kann Weiblichkeit toxisch sein? Ja, ist Psychoanalytikerin und Künstlerin Jeannette Fischer überzeugt. Im Kontrafunk-Gespräch vom 2. März 2025 diskutiert sie mit dem Journalisten und Buchautor Giuseppe Gracia über weibliche Machtausübung und übergriffige „Mutterliebe“.  

Von Regula Lehmann

Der Alarmismus in Bezug auf Männer ist in unserer Gesellschaft hoch. Während in Medien und politischen Debatten ganz selbstverständlich von „toxischer Männlichkeit“ gesprochen wird, ist wenig Bewusstsein für die Gewalttätigkeit oder Übergriffigkeit von Frauen vorhanden. Laut Jeannette Fischer projizieren viele Frauen heute – unbewusst oder absichtlich – die eigene Toxizität auf den Mann.

Wenn Mütter toxisch handeln

In ihren Ausführungen nimmt Psychoanalytikerin Jeannette Fischer Bezug auf eine Situation, die sie kürzlich in einem Hallenbad beobachtet hat: Eine Mutter verhielt sich beim Spielen mit ihrem Teenagersohn stark sexualisiert und übergriffig, doch niemand intervenierte. Die Psychoanalytikerin ist überzeugt, dass die Badegäste das gleiche Verhalten keinesfalls toleriert hätten, wenn es sich um einen Vater mit seiner Teenagertochter gehandelt hätte.

Frauen gesteht man also stillschweigend zu, was man bei Männern sehr schnell als übergriffig anprangert. Wenn Frauen das Ziel verfolgen, Macht über ihr Gegenüber zu haben, es zu kontrollieren oder für das Stillen eigener Bedürfnisse zu benutzen, ist dies jedoch ein toxisches Verhalten, das ebenso schwerwiegende Schäden verursachen kann wie männliches, toxisches Verhalten.

Frauen sind wie Männer – nur besser!?

Die Projektion der „guten“ Frau und fürsorglichen Mutter sei laut Fischer gesellschaftlich nach wie vor etabliert. Dies gelte nicht nur in konservativen Kreisen, sondern gerade auch im Feminismus. Der Mythos, dass Frauen besser, in Sachen Gewalt „reiner“ oder “unschuldiger“ sind als der Mann, wirkt stark in links-feministische Kreise hinein.

Obwohl Mutterschaft im Feminismus tendenziell abgewertet wird, ist Mutterliebe in diesem Frauenmythos irgendwie doch über alles erhaben. Ein möglicher Grund dafür ist, weil mit Hilfe der Mutterliebe das Bild der gewaltlosen Frau im Gegensatz zum Image des tendenziell übergriffigen, gewaltbereiten Mannes am Leben erhalten wird. Frauen tun im Zuge des Feminismus zwar alles, was Männer tun, legen aber gleichzeitig viel Wert darauf, das Bild der nichttoxischen, gewaltfreien Frau hochzuhalten. „Frauen sind wie Männer – nur besser!“, könnte diese Haltung zusammengefasst werden.

Der „toxische Mannals Projektionsfläche

Projektion sei dazu da, sich von etwas zu entledigen, indem man es einem anderen anhänge, erklärt Fischer. In der Projektion laufe immer eine Entwertung mit: Das Gegenüber werde entweder schlecht gemacht oder idealisiert. In beiden Fällen gehe nicht um die reale Person, so wie sie tatsächlich ist, sondern um die eigenen Vorstellungen und Zuschreibungen. Wer sein Gegenüber jedoch nicht als Person meine und wahrnehme, entwerte es. Nur die Anerkennung der Differenz und die ehrliche Auseinandersetzung mit der realen Person ermögliche Beziehungen auf Augenhöhe.

Die Psychoanalytikerin sieht in der unangebrachten Überhöhung der Frau eine Fehlhaltung, die sowohl Männern wie auch den Frauen schadet. Frauen in der Position des Opfers festzuhalten oder als Frau aktiv diese Rolle für sich zu beanspruchen, ist aus ihrer Sicht ebenfalls eine Form von Gewaltanwendung. Denn das verunmögliche eine ehrliche Auseinandersetzung.

Männlichkeit ist nicht toxisch. Weiblichkeit auch nicht.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass weder Männlichkeit noch Weiblichkeit an sich toxisch sind. Tatsächlich zerstörerisch ist bei beiden Geschlechtern hingegen ein Verhalten, welches das Ziel verfolgt, Macht oder Kontrolle auszuüben. Im Kern geht es darum, dass sowohl Männer wie auch Frauen ihr Gegenüber als reale Person ernst nehmen, statt darin ein Objekt oder eine Projektionsfläche zu sehen. Wo eine wahrhaftige Auseinandersetzung mit dem anders Gearteten stattfindet, wird sowohl die Männlichkeit wie auch die Weiblichkeit für beide Geschlechter zum Segen, der das Haus nächster Generationen baut und Zukunft ermöglicht.

Das ganze Kontrafunk-Gespräch können Sie hier nachhören.