Die Soziologien Eva Illouz beschreibt in einem bemerkenswerten Aufsatz im „Philosophie Magazin“ die „Gefühlsutopie“ als modernes Kulturphänomen, das eine gelingende Paarbeziehung vor schier unauflösbare Herausforderungen stellt. Gleichzeitig bildet für die Wissenschaftlerin der Hebräischen Universität Jerusalem das Paar, das auf Kontinuität angelegt ist, einen unverzichtbaren „Gegenentwurf zum kapitalistischen Imperativ der Flexibilität“.
Das Problem, wieso heute das Paar-Sein so schwierig geworden ist, fasst Illouz in drei Punkten zusammen:
„Unsere psychologische Kultur hält Mann und Frau ständig dazu an, sich in ihr Selbst, ihre Bedürfnisse, ihr Innenleben zu vertiefen. Diese Bewegung nach innen erzeugt ein ausgeprägt eigennütziges Bewusstsein und hat dazu beigetragen, dass aus Paarbeziehungen Zweckgemeinschaften einer neuen Art geworden sind – begründet nicht durch moralische Pflichten oder gesellschaftliche Konventionen, sondern durch das Streben zweier Individuen nach Genussmaximierung. Diese Rezentrierung des Ich macht nichtberechnende Handlungsweisen wie Verzeihen oder Selbsthingabe schwer, denn sie bestärkt eine Fixierung auf die eigenen Vorhaben und Ziele unabhängig von jenen des anderen.
Zudem überschneidet sich die Kultur der Bedürfnisse und der Selbsterkenntnis mit dem Prinzip Gleichberechtigung als eine neue kulturelle Definition sozialer Bindungen besonders zwischen Männern und Frauen. Die Norm der Gleichberechtigung erzeugt Spannungen, weil sie impliziert, dass Mann und Frau berechnen, bemessen und abwägen, was sie einander geben, sowohl was die Hausarbeit als auch was den emotionalen Austausch betrifft. Dem demokratischen System ist die Gleichberechtigung inhärent, doch im privaten Bereich erweist sich ihre Durchsetzung als schwieriger, ist sie verbunden mit einer ständigen Prüfung dessen, was jede/r beiträgt.
Die dritte Schwierigkeit für Paare ergibt sich aus dem Problem der Langeweile, seinerseits ein Ergebnis davon, dass das Aufregende eine Norm der Paarbeziehung geworden ist. Das Aufregende steht für ein neues Reservoir an Erfahrungen und Empfindungen, und es ist institutionalisiert worden durch die Produktion neuartiger Erlebnisse in der Sphäre der Freizeit. (…) Besonders augenfällig wird diese Aufregungskultur im Bereich der Sexualität, von dem erwartet wird, dass er ein nicht versiegender Quell begeisternder Neuerungen sei.“
All diese Beobachtungen führen Illouz zur Frage, ob wir heute überhaupt noch Paarbeziehungen bräuchten, da diese doch das Individuum in seiner Entwicklung hemmten und oft Verwirrung, Konflikte, Einsamkeit und Schmerz schüfen. Dennoch hält Illouz es für notwendig, die soziale Form des Paares zu verteidigen, dessen Wert gerade darin liege, dass es sich dem herrschenden Ethos unserer Zeit widersetzt:
„Das monogame Paar (…) ist de facto eine Proklamation gegen die Kultur der Auswahl und der Optimierung, gegen die Vorstellung vom Ich als einem Schauplatz ständiger Aufregung, Vergnügung und Selbstverwirklichung. Das Paar steht in gewisser Weise für eine Ökonomie der Verknappung. Es erfordert somit Tugenden und Eigenschaften, in denen uns die moderne Kultur nicht mehr trainiert. Es erfordert die Fähigkeit, einander als einzig zu betrachten, nicht zu berechnen, Langeweile zu dulden, Selbstentwicklung aufzuhalten, mit einer oft mittelprächtigen Sexualität auszukommen und echte Hingabe einer vertraglichen Unsicherheit vorzuziehen.“
Das Paar repräsentiert Illouz zufolge zunehmend Werte, „die sich als wahre Alternative zu denen des Marktes erweisen.“ Sie schliesst mit einem markanten, herausfordernden Satz, der wohl viele Zeitgenossen in ihrem Selbs- und Paarverständnis provozieren dürfte:
„Vielleicht sind Liebe und Paarbeziehung auf einem langen historischen Umweg wieder der radikale Gegenentwurf zum vorherrschenden Zeit-Ethos geworden, nicht im Sinne einer Übertretung, sondern als Bejahung jener schweren und mühseligen Standhaftigkeit, die uns an andere Menschen und an unser altes Ich bindet.“