Das Selbstbestimmungsgesetz ist in Deutschland seit November 2024 in Kraft. Eine genauere Analyse zeigt, dass dieses Gesetz gravierende Mängel aufweist und ein „neues Menschenbild“ zementieren will. Ein Weckruf für die Schweiz, diesen Weg tunlichst zu vermeiden.

Von Ralph Studer 

Kaum ein Gesetz hat in den letzten Jahren weltweit für so viel Zündstoff gesorgt wie das von der abtretenden deutschen Ampelregierung durchgesetzte und am 1. November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz (SBGG). Dieses löst das sogenannte „Transsexuellengesetz“ von 1980 ab und ermöglicht eine einfachere Änderung des Geschlechtseintrags in offiziellen Dokumenten ohne die bisher dafür notwendigen Gutachten.

Einmal im Jahr das Geschlecht wechseln

Das neue Gesetz erlaubt es Erwachsenen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu ändern. Es ist keine ärztliche Begutachtung, psychologische Diagnose oder gerichtliche Entscheidung mehr erforderlich. Eine Änderung ist ein Mal pro Jahr möglich.

Minderjährige ab 14 Jahren können ihren Geschlechtseintrag mit Zustimmung der Eltern ändern. Falls die Eltern nicht zustimmen, kann das Familiengericht die fehlende Zustimmung ersetzen.

Laut Gesetz muss der ursprüngliche Geschlechtseintrag vertraulich behandelt werden, um den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten. Bei einem Verstoss gegen das sogenannte „Offenbarungsverbot“ könnte nach dem SBGG ein Bussgeld von bis zu 10‘000 Euro drohen. Demnach dürfen Menschen frühere Geschlechtseinträge ohne Zustimmung der Betroffenen nicht offenbaren oder ausforschen.

Ein neues Menschenbild

Früher wurden eine amtsgerichtliche Entscheidung mit zwei Gutachten, ob diese Empfindung auch dauerhaft ist, und medizinische Eingriffe für den Geschlechtswechsel verlangt. Dies fällt nun alles weg. Stattdessen werden Rechtswirkungen an ein rein subjektives Empfinden geknüpft. Rechtlich stelle dies ein absolutes Novum dar, so Dr. Felix Böllmann, Leiter der Rechtsabteilung von ADF International. Ein neuer Vorname, ein Pass mit anderem Geschlechtseintrag sehe nach einer Kleinigkeit aus, was aber nicht der Realität entspreche. Der Praxistest stehe noch aus. Mit diesem Gesetz könne jeder Einzelne selbst bestimmen, was Mann und Frau sei. Er könne auch „divers“ eintragen bzw. den Geschlechtseintrag ganz offenlassen. Es gebe nichts Objektives mehr. Böllmann sagt deutlich: „Es geht hier um ein neues Menschenbild.“

Keine Beratungspflicht für Minderjährige

Bedenken zum SBGG äussert auch Marion Felder, Professorin für Inklusion und Rehabilitation an der Hochschule Koblenz, unter Berufung auf eine Reihe von Studien. „Die Änderung des Personenstands“, so Felder, „dient der sozialen Transition, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch zu einer medizinischen Transition führt.“ Zudem gebe es „keine Evidenz, dass die Änderung des Personenstands für die psychische Gesundheit der betroffenen Kinder wirklich sinnvoll ist, umso mehr, als dass das Gesetz noch nicht einmal für Minderjährige eine Beratungspflicht vorsieht.“ Dazu kommen bei vielen der betroffenen Kinder zusätzliche psychische Erkrankungen und teilweise auch Missbrauch. „Solche Dinge“, so Felder, „müssen abgeklärt werden, bevor es zu irreversiblen Behandlungen kommt.“

Missbrauch und Sicherheitsrisiken für Frauen

Bekannte Feministinnen wie Alice Schwarzer und Rona Duwe haben gegen das SBGG die Protestaktion „Lasst Frauen sprechen“ ins Leben gerufen. Selbst die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem, forderte Deutschland auf, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, um einen Missbrauch des Gesetzes zu verhindern und weibliche Schutzräume zu erhalten. Andernfalls würden Sicherheit, Privatsphäre und andere Menschenrechte von Frauen und Mädchen untergraben, so die gebürtige Jordanierin. Duwe verdeutlicht konkret die Gefahren dieses Gesetzes: „Wenn nur ein einzelner Mann dank Transidentität im Frauengefängnis sitzt oder Zugang zu einem Frauenhaus hat, dann ist auch das schon eine grosse Gefährdung für eine grosse Gruppe von Frauen.“

Rechtlich ist nach dem SBGG unklar, was gilt, wenn ein „Trans-Mädchen“ (biologischer Junge, der sich als Mädchen fühlt) Zugang zur Mädchenumkleide oder -toilette in der Schule wünscht oder auf Klassenfahrten im Mädchenzimmer übernachten will. Kann sich die Schule in solchen Fällen auf ihr „Hausrecht“ und den Jugendschutz berufen? Darf sie die grundlegenden Rechte anderer Schüler, namentlich das Interesse biologischer Mädchen an Intim- und Privatsphäre, priorisieren? Oder setzt sich die Schule einem „Diskriminierungsvorwurf“ aus, wenn sie den Zugang verweigert? Diese wesentlichen Fragen sind ungeklärt und die Beantwortung hängt von der künftigen Rechtspraxis ab.

Es braucht Anlaufstellen

Auch aus entwicklungspsychologischer Sicht sind einige Aspekte im SBGG klärungsbedürftig. Bei den bisherigen politischen Diskussionen ging es bis anhin nur um die betroffenen Kinder und Jugendlichen, welche ihren Personenstand ändern. Völlig ausser Acht gelassen wurden die anderen Jugendlichen, die in der sensiblen Phase der Pubertät mit dem „Geschlechtswechsel“ des betroffenen Schülers konfrontiert sind und in ihrem Prozess der eigenen Geschlechtsidentität verunsichert werden können. Diese anderen Kinder, so der Entwicklungspsychologie Dr. Markus Hoffmann, würden allein gelassen, und dies gerade in einer Phase, in der sie ihre eigene Identität erlangen und absichern wollen. Auch die anderen hätten ein Recht auf ihre eigene Entwicklung.

Weil ein „Geschlechtswechsel“ vor allem im schulischen Umfeld des betroffenen Kindes zu Verwirrung und Unsicherheit führe, sei es nicht selten, dass das betroffene Kind bei den Schulkameraden ein Abwehr- bzw. sogar Mobbingverhalten auslöse. Es brauche deshalb, so Hoffmann, Anlaufstellen in den Schulen sowohl für die betroffenen Jugendlichen als auch für die Mitschüler, um die Schüler in ihrer Verunsicherung und ihren Fragen zu unterstützen und zu begleiten.

Vor allem Mädchen betroffen

Die gegenwärtige Entwicklung betrifft besonders Mädchen, die ihr Geschlecht ändern wollen. Vor allem Mädchen, so Hoffmann, stünden mit dem Eintritt der Pubertät vor einer schwierigen Aufgabe. Denn ihr Körperfettanteil nehme zwischen 8 und 22 Prozent zu, manche Mädchen litten unter der Brustentwicklung und die Regelblutung werde von 33 Prozent als unangenehm empfunden. Während die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper bei jungen Männern mit ca. 16 Jahren abzunehmen beginnt, wächst er bei jungen Frauen bis in die letzten Schuljahre stetig an, hält der Entwicklungspsychologe fest.

Menschen in Identitätskrisen neigen nach Hoffmann dazu, radikale – nicht selten ideologische – Lösungen zu wählen, wie sie mit dem SBGG angeboten werden. Das Gesetz biete eine scheinbare Lösung, die das eigene Leiden „verkürzt“, ja, ihm „ein Ende setzt“. Der Betroffene könne nun in die Rolle des anderen Geschlechts schlüpfen und müsse sich folglich nicht mehr mit den Widersprüchen zu seinem eigenen biologischen Geschlecht auseinandersetzen.

Pubertätsblocker als Vorstufe zur Geschlechtsumwandlung

Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht, dass der Vollzug einer Transition eng mit der Verabreichung von Pubertätsblockern zusammenhängt. Nehmen die Betroffenen Pubertätsblocker ein, folgt in 80 Prozent eine Transition. Wird darauf verzichtet und die Entwicklung des Jugendlichen „ausgehalten“, entscheiden sich nur 20 Prozent oder weniger für eine Geschlechtsumwandlung, so Hoffmann.

Warten und aushalten

Für Zurückhaltung bei Pubertätsblockern spreche auch die Tatsache, dass Langzeitstudien zur Wirkung fehlen und der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung oft im fehlenden Selbstwert der Betroffenen liege, der auch durch eine Transition nicht gelöst werde, mahnt Hoffmann. Der Entwicklungspsychologe geht davon aus, dass das SBGG keine Entspannung bei den Fallzahlen bringen wird. Vielmehr ist „das Gebot der Stunde warten, aushalten und die Entwicklung [der Jugendlichen] beobachten“.

In eine ähnliche Richtung geht auch der Jugendpsychiater Alexander Korte. Es brauche zuerst eine intensive psychiatrische und psychologische Untersuchung, Beratung und Begleitung, wenn es um den Wunsch nach Pubertätsblockern und anderen medizinischen Eingriffen geht.

Auch Wissenschaft und Demokratie in Gefahr

All das zeigt deutlich, dass das SBGG grundlegend die Rechte und Sicherheit von Frauen und Kindern tangiert und den Betroffenen eine „schnelle Scheinlösung“ anbietet. Doch die Folgen gehen noch viel weiter. Mit diesem Gesetz werden Wissenschaft und Demokratie in Frage gestellt. „Wir finden“, so die Feministin Duwe, „das Ganze nimmt mittlerweile orwellsche Ausmasse an, denn es soll uns verboten werden, zu sagen, was wir sehen. Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Glaubensfreiheit sind wichtige Pfeiler der Demokratie und die werden durch dieses Gesetz angegriffen, wenn man nicht mehr sagen darf, was man sieht und gezwungen wird, einen bestimmten Glauben anzunehmen. Denn genau das ist es letztlich: Dass man sein Geschlecht wechseln kann, ist nicht wissenschaftlich, sondern eine Weltanschauung, ein Glaube, der nun der ganzen Gesellschaft aufoktroyiert werden soll.“

Daraus für die Schweiz lernen

Ziel des SBGG ist es, „die Grundrechte aller Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität zu verwirklichen, indem die tatsächliche geschlechtliche Vielfalt akzeptiert wird“. Wenn dabei aber rechtlich mehr Probleme geschaffen als gelöst werden, entwicklungspsychologische Erkenntnisse vernachlässigt werden und in weibliche Schutzräume eingedrungen wird, hat dieses Gesetz sein Ziel verfehlt.

Am gravierendsten ist allerdings, dass mit diesem Gesetz ein neues Menschenbild in der Rechtsordnung etabliert werden soll. Dieses schafft die binäre Geschlechterordnung von Mann und Frau faktisch ab und beseitigt jegliche biologische und objektive Wirklichkeit. Ein Aufbauen auf  nur subjektivem Empfinden schafft die Grundlage für jeglichen Missbrauch, ideologisiert das Recht und schadet damit grundlegend der Glaubwürdigkeit des Rechtordnung und des Rechtsstaats insgesamt.

Die Schweiz tut gut daran, aus diesem missglückten deutschen SBGG zu lernen und etwaige Nachahmungen zu vermeiden.

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