In unserer europäisch-amerikanischen Welt wird schon länger auch in den Kirchen die so genannte „Gender-Theorie“ diskutiert: Die Annahme einer menschlichen Selbstbestimmung des eigenen Geschlechtes unabhängig von dessen natürlicher Festlegung diskutiert. Bei den orthodoxen Christen stand diese Frage bisher im Hintergrund anderer heisser Eisen. Dies hat sich nun geändert.

Von Heinz Gstrein

Bisher standen Themen wie Homosexualität, Abtreibung oder „Sterbehilfe“ eher auf der Diskussionsagenda. Und auch das jüngste ostkirchliche Konzil von Kreta im Juni 2016 hat nur von einer „vorgegebenen männlichen und weiblichen Rolle“ gesprochen, ohne „Gender Mainstreaming“ beim Namen zu nennen. Seit diesem Frühjahr aber haben in Griechenland Weisungen des Unterrichtsministeriums für Gender-Unterricht an höheren Schulen ab Herbst 2017 die Kirche zu einer klaren und detaillierten Stellungnahme veranlasst. Weitgehend hat das Rundschreiben der Schulbehörde über „Biologisches und sozial erworbenes Geschlecht, Überwindung der geschlechtlichen Stereotypen, Kampf gegen Homo- und Transophobie“ helle Empörung bei Eltern, Seelsorgern und in breiten Kreisen der griechischen Lehrerschaft ausgelöst.

Das in der Orthodoxie richtungweisende Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel veröffentlichte daher über das ihm nahestehende Athener Kirchenportal „amen.gr“ eine ausführliche Untersuchung des namhaften Jugendpsychologen Erzpriester Vassileios Thermos unter dem Titel „Einige Gedanken zu Geschlecht, Eltern, Kirche“. Er macht darin immer aggressivere und einflussreichere Homo- und Transsexuellenlobbys sowie in akademischen Kreisen das Vordringen des „Konstruktionismus“ verantwortlich: Dieser betrachtet die sexuellen und andere Persönlichkeitskompenenten weniger als natürlich vorausgesetzte, sondern sozial erworbene bzw. aufgedrängte Neigungen und Verhaltensweisen. Es gehöre daher zu den Menschenrechten, das eigene Geschlecht frei zu bestimmen bzw. es auch beliebig oft zu wechseln, auch ohne dass damit äussere Geschlechtsveränderungen verbunden sind.

Dagegen müsse nun – so Thermos – klar gesagt werden, dass es sich dabei aus der Sicht des von Gott als Mann und Frau geschaffenen Menschen um eine der schlimmsten Irrlehren der Geschichte mit katastrophalen Folgen für Familie und Gesellschaft handelt. Tatsächlich „zwischengeschlechtliche“ Menschen sind eine – wie statistisch trotz aller Dunkelziffern klar erwiesen – verschwindende Minderheit. Bei ihnen sind Geschlechtsveränderungen auch aus orthodoxer Sicht nach gründlicher Prüfung und vorhandenen physiologischen Voraussetzungen durchaus zulässig. Bei allem, was darüber hinausgeht, handelt es sich um eine geradezu Verdrehung der göttlichen Schöpfungsordnung.

Seitdem hat sich in Griechenland zusehends die in den orthodoxen Kirchen verspätetet angelaufene Auseinandersetzung mit der Gender-Lehre intensiviert. Stand zunächst die Aufnahme der Theorie von der freien Geschlechtswahl anstelle ihrer Naturgegebenheit in den Lehrplan der Schulen im Mittelpunkt, so verhärtet sich nun der kirchliche Widerstand gegen die Abschaffung der Merkmale „männlich“ oder „weiblich“ bzw. „Vater“ und „Mutter“ in den öffentlichen Registern und Urkunden.

Die orthodoxe Metropolis von Korfu (Kerkyra) veranstaltete dazu Mitte Mai einen weit beachteten Informationsabend unter dem Motto „Neigung und Laster“. Der Autor des gleichnamigen Buches, der schon erwähnte Psychiater und heutige Seelsorger Vasssileios Thermos, wies eingehend auf eine „nicht mehr wegzuleugnende Tatsache“ hin: Immer mehr gläubige Christen halten die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern und damit die Berechtigung anderer sexueller Beziehungen als zwischen Frau und Mann einfach für „modern und fortschrittlich“. Sie sind sich dabei der Unvereinbarkeit dieser Ansichten mit dem Welt- und Menschenbild des Evangeliums nicht bewusst. Die Gender-Lehre führe dazu, in der Bibel und der gesamten kirchlichen Tradition verurteilten Praktiken nicht nur zu dulden, sondern sie sogar als „beispielhaft für eine neue Gesellschaft“ zu propagieren. Gleichgeschlechtliche Neigungen habe es immer gegeben. Es sei die Aufgabe einer ebenso menschenfreundlichen wie verantwortungsvollen Pastoral, jene vor ihrem Ausarten ins Lasterhafte zu bewahren. Im heute linkssozialistisch-antiklerikal regierten Griechenland, das die Gender-Vorgaben aus Brüssel rücksichtsloser als die ebenfalls orthodoxen EU-Staaten Bulgarien, Rumänien und Zypern umsetzt, seien aber noch die meisten Seelsorger damit eindeutig überfordert, zog Thermos Bilanz.