Vor vollem Haus sprach der renommierte Politikjournalist Ralf Schuler am Samstag, den 26. Oktober 2024, im Gemeindezentrum der Liebfrauenkirche in Zürich. Sein Vortragsthema „Mechanismen der Macht – und wie wir aus der Schweigespirale kommen“ ist angesichts von Cancel Culture und zunehmender Meinungskonformität in unserer Gesellschaft aktueller denn je.
Von Ralph Studer
Nach der Begrüssung durch die Geschäftsführerin Beatrice Gall und Stiftungsratspräsident Michael Freiburghaus von Zukunft CH führte Ursula Baumgartner, Leiterin des Bereichs Bioethik bei Zukunft CH, inhaltlich die fast 300 Zuhörer in den Vortragsnachmittag ein. Anhand verschiedener Beispiele aus der Schweizer Universitäts- und Medienlandschaft zeigte sie, wie unsere heutige Gesellschaft in der Schweiz von Manipulation und Propaganda umgeben ist.
Meinungskonformität?
Dass wir „in Zeiten der Regenbogenbewegung angekommen sind“ stellte Ralf Schuler in seinem rund einstündigen Vortrag anschliessend fest. Diese Ideologie wuchere in vielfältiger Weise in unserer Gesellschaft. Man frage sich zunehmend, wie diese Art von „Meinungsgleichschritt“, den wir heute erleben, in der Gesellschaft möglich geworden sei, so der langjährige Journalist, der bis 2022 Leiter der Parlamentsredaktion bei der deutschen BILD-Zeitung war.
Allerdings würde diese Einschätzung nicht von allen geteilt, kommentierte der Politikjournalist. In einem Streitgespräch mit einem Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) habe dieser beispielsweise bestritten, dass eine Meinungskonformität bestehe. Der Meinungsgleichschritt liege vielmehr daran, dass „kein Widerspruch ertragen“ wird, so der FAZ-Journalist. Gegenteilige Beispiele seien lediglich „anekdotische Evidenz“.
Dieser Sichtweise widersprach Schuler klar. Bei Corona oder LGBTQ-Themen würden die Meinungskorridore zunehmend enger. In Deutschland habe Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Reglementierung der Tech-Plattformen gefordert. Der in Kraft getretene Digital Services Act (DSA) in der EU gehe genau in diese Richtung. Das erinnere ihn an die ehemalige DDR, in der er aufgewachsen sei und wegen eines „falschen Zitats keinen Studienplatz“ erhalten habe.
Es sei auch nicht überraschend, dass der Begriff „Populismus“ so negativ besetzt sei. Bei genauerem Hinsehen setzten sich insbesondere sogenannte „populistische“ Parteien für Themen ein, welche die Menschen beschäftigten. Dies zeuge von einem Demokratieversagen der bisherigen etablierten Parteien.
Auswüchse von Ideologien
Anhand verschiedener Beispiele, die von „Fleisch essenden Männern, die angeblich dadurch Frauen unterwerfen“ über „Elektrokleinstfahrzeugführende“ als Ausdruck einer überbordenden Gendersprache bis hin zum „Pride Month“, der bis in die kleinsten Dörfer missionarisch vorangetrieben werde, reichten, gab Schuler einen Überblick über die skurrilen und bizarren Auswüchse heutiger Ideologien. Dies alles seien Entwicklungen, die eine Mehrheit der Bevölkerung ablehne, wie z.B. auch ein drittes Geschlecht.
Neuer Sozialismus
Vermehrt werde auch die öffentliche Meinung kanalisiert. In Deutschland würden per Gesetz zertifizierte Meldestellen eingesetzt, um „illegale Inhalte“ im Internet zügiger zu löschen. Solche Stellen seien dafür zuständig, Inhalte zu prüfen und den digitalen Plattformen zu melden. Der Staat statte auf solchen Wegen private Anbieter mit Zensurkompetenz aus, kritisierte der Journalist.
Was wir heute erleben, sei die Form eines neuen Sozialismus, der von einem radikalen Gleichheitsbild ausgehe und „das Beste für alle will“, stellte Schuler fest. Diese Ideologie vereine u.a. Anliegen im Bereiche Queer, Umwelt, Klima, Kampf gegen rechts, „Recht“ auf Abtreibung und sehe sich selbst als Repräsentant der Demokratie. Dabei werde jedoch vergessen, dass das auf der sozialistisch-kommunistischen Ideologie basierende Weltbild auf dem Reissbrett entworfen sei und mit der Wirklichkeit nicht übereinstimme. Per Gesetz werde dann erklärt, was nicht bewiesen werden könne. So werde die Realität dem eigenen Weltbild angepasst. Dieser neue Sozialismus wirke ähnlich zerstörend wie der alte und kappe den wirtschaftlichen Wohlstand.
Bürger finanzieren links-grüne Medien
Schuler legte die Finger auch in andere Wunden. Muslimischer Antisemitismus, Bandenkriege, steigender Schusswaffengebrauch, Clan-Kriminalität usw. verlange nach Reaktionen. Doch diese blieben aus. Wokeismus, Zeitgeist und Identitätspolitik hätten sich zu einem Weltbild verdichtet, das solchen Entwicklungen nichts entgegensetze. Stattdessen bestehe in Deutschland seitens Regierung ein missionarischer Eifer, der sich beispielsweise in einer feministischen Aussenpolitik artikuliere.
Dazu komme, dass die Bürger in Deutschland die öffentlichen Medien, deren Themenwahl mittlerweile massiv ins links-grüne Spektrum verschoben sei, durch „Zwangsgebühren im Betrag von neun Milliarden Euro“ finanzierten müssten. Genau diese Medien transportieren mit der Gender-Sprache wiederum ein ganzes ideologisiertes Weltbild.
Dazu passe die „staatlich verordnete Allgegenwart der Regenbogenfahne“, die sonderbar anmute, und dies vor allem bei Polizei und Gerichten. Wer dagegen protestiert, wird schnell mal verklagt, stellte Schuler fest.
Falsche Meinungen zur Diskussion bringen
Dies sei auch Ausdruck eines Meinungsklimas, das von ungeschriebenen Grundsätzen beherrscht sei. Verletze man diese, hätte man in der gegenwärtigen Medienwelt und Gesellschaft die entsprechenden sozialen Folgen zu tragen. Kritisch Denkende, so Schuler, erhielten keine Bühne mehr, würden nicht mehr zu Podien eingeladen oder ihre Bücher würden nicht mehr aufgelegt.
Dagegen erhielten Minderheiten starke mediale Aufmerksamkeit. Schuler bezog sich hierbei auf die sogenannte „False-Balance-Theorie“, wonach es zu einer medialen Verzerrung kommt, bei der die Meinung von Minderheiten ungebührlich viel Raum gegeben wird, sodass fälschlich der Eindruck entsteht, Minderheitenmeinung und Mehrheitenmeinung seien gleichwertig.
Freie Diskussionen würden kaum mehr gepflegt, beklagte Schuler im Weiteren. Dabei sei es doch das Beste, falsche Meinungen zur Diskussion zu bringen und mit Argumenten zu widerlegen. Miteinander zu reden, bringe auch die verschiedenen Lager wieder zusammen, hob Schuler hervor.
Was tun?
„Was kann man gegen diese Entwicklung tun?“ Diese Frage werde ihm oft gestellt, kommentierte der Politikjournalist abschliessend. Im Hinblick auf die Zukunft erachtete er das Modell der Volksabstimmungen in der Schweiz als erfolgversprechendes Gegengewicht und befürworte eine Reform beim öffentlichen Rundfunk. Es brauche vor allem wieder Mut statt Wut: den Mut nämlich, sich wieder ins Gespräch zu bringen. Als starke Grundpfeiler und Werte der Menschen bezeichnete er Freiheit und Demokratie. „Die Demokratiefeinde sind immer unterlegen“, zeigte sich Schuler überzeugt und motivierte so das Publikum, an diesen Pfeilern festzuhalten.