Der Grat zwischen Spass und Depression ist schmal: Eine neue Studie weist darauf hin, dass Tiktok seinen Usern in hohem Tempo deprimierende Inhalt vorlegt. Besonders gefährlich ist dies laut Tagesanzeiger vom 24. April 2023 für psychisch labile Jugendliche. Ein Fall aus den den USA zeigt die Dramatik auf.
Ein Kommentar von Regula Lehmann
„Unsere Mission ist es, Kreativität zu inspirieren und Freude zu bereiten“, so die Selbsterklärung von Tiktok. Doch das sehen viele inzwischen anders. So zum Beispiel Anwältin Laura Marquez-Garrett, die sagt: „Es gibt eine wirklich dunkle Seite von Tiktok, die die meisten Erwachsenen nicht sehen.“ Ursache für diese Einschätzung ist der Selbstmord eines 16-jährigen US-Amerikaners im Februar 2022, der zuvor mit rund eintausend Videos über Suizid, Hoffnungslosigkeit und Selbstverletzung von Tiktok eingedeckt worden war. Die Situation ist leider kein Einzelfall. Das „Social Media Victims Law Center“ vertritt sechzig Fälle, in denen soziale Medien Depressionen, Suizid, Drogenabhängigkeit und Essstörungen mitverursacht haben. Marquez-Garrett sagt hierzu: „Sie können ein Kind und einen Elternteil im selben Raum haben, die zusammen Tiktok auf ihren Handys ansehen, und Sie würden ein völlig anderes Produkt sehen. Unsere Kinder sterben. Sie entwickeln schädliche Abhängigkeiten von diesen Produkten und erleben beispiellose Raten von Depressionen, Angstzuständen und Suizid. Wie viele 16-Jährige, die sich umbringen, braucht es noch, bis die Leute erkennen, dass das nicht in Ordnung ist?“
Echokammer des Destruktiven
Für den Algorithmus von Tiktok ist die Zeit, die Jugendliche mit Verwenden der App verbringen, offensichtlich mehr wert als deren seelisches Wohlergehen. Merkt der Algorithmus beispielsweise, dass Videos über Depression zu einem intensiven Social-Media-Engagement führen, empfiehlt er dem User immer öfter Inhalte zu diesem Thema. Dies hält die Jugendlichen an der App – und spielt Geld ein. Doch destruktive Gedanken und Gefühle der User werden dadurch permanent verstärkt – eine teuflische „Echokammer“ entsteht.
„Dünn, dünner, am dünnsten“ – die Magersucht-Challenge
Am 21. August 2022 berichtete die Onlineplattform BRISANT unter dem Titel „Dünn, dünner, am dünnsten“ über einen Magersucht-Challenge mit dem Namen „Skinny-Check“: Offensichtlich minderjährige Kinder und Jugendliche, manche erst 12 oder 13 Jahre alt, laden dabei auf TikTok Videos ihrer abgemagerten Körper hoch. Ausgemergelte Minderjährige feiern ihre Essstörungen und magern um die Wette – mit Jeans, die um die Beine schlackern, hohlen Wangen und herausstehenden Schlüsselbeinen. Weshalb Tiktok diese „Challenges“ erlaubt, ist schwer nachvollziehbar. Engagierten Eltern kann jedenfalls nur geraten werden, die Smartphone-Aktivitäten ihrer Kinder im Blick zu haben. Sowohl bei Apple als auch bei Android ist es über die sogenannte Familienfreigabe möglich, zu steuern, welche Apps Kinder herunterladen dürfen. Empfehlenswert sind auch Suchmaschinen wie beispielsweise Swisscows, die problematische Seiten konsequent blockiert.
Teenager besonders gefährdet für Manipulation
Psychologen machen darauf aufmerksam, wie schwer es für Teenager ist, der Manipulation durch Social-Media-Algorithmen zu widerstehen. Ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, Gefühlslagen zu beurteilen und Impulse zu kontrollieren, ist noch unzureichend. Wie das amerikanische Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center angibt, erklärte eine überwiegende Mehrheit der zum Thema befragten jungen Menschen, dass sie sich von den Dramen auf Social Media überfordert seien. Mehr als ein Viertel der Studienteilnehmer gab zudem an, dass die sozialen Medien ihr reales Lebensgefühl nicht positiv, sondern negativ beeinflussen.